Kunst von Frauen Hintergründe und Motivationen

Vortrag Basel 1991

www.annelisezwez.ch

Vortrag von Annelise Zwez anlässlich der Vernissage

des Buchkataloges der GSMBK, Sektion Basel

18.Oktober 1991

 

HINTERGRUENDE UND MOTIVATIONEN

 WEIBLICH-KUENSTLERISCHER PRODUKTION

 

Sehr  geehrte Damen und Herren

17 und 1, 19 und 4, 18 und 3, 9 und 2, 16 und 5, 15 und 2. Wenn ich hier zu den Hintergründen und Motivationen weiblich-künstlerischer Produktion spreche, sind sie vermutlich alles so sensibilisiert auf eine  ganz bestimmte Problematik, dass Sie ahnen, was die Zahlen, die ich eben angeführt habe, bedeuten könnten. Und Ihre Ahnung ist richtig: Es sind Künstler- respektive Künstlerinnen-Vertretungen an grossen Ausstellungen dieses Jahres. Wer mit den markant höheren Zahlen gemeint ist, muss ich Ihnen nicht sagen.

 

Als ich 1989 die Gelegenheit hatte für das Schweizerische Kunst-Bulletin eine grössere Arbeit zur Präsenz respektive Nicht-Präsenz von Künstlerinnen in Schweizer Museen zu schreiben, errechnete ich – meiner Liebe zur Statistik folgend – einen Anteil von 6 bis maximal 10 Prozent Künstlerinnen in Museumsausstellungen bezogen auf die Jahre 1983 bis 1988. Wenn ich obige Zahlen im Prozente umrechne, so komme ich auf 14%, was immer noch sehr wenig, aber zumindest mehr ist. Nun sind Statistiken immer nackte Zahlen, die keine Erklärungen beinhalten. Hinterfragen ist indes wichtig, weil die linearen Begründungen selten richtig sind.

 

Schauen wir uns einige Zahlenverhältnisse, über die ich als Kunstkritikerin aufgrund meiner eigenen Teilnahme an den Ausstellungseröffnungen Hintergrundwissen habe, genauer an. Erstens: 17 und 1. Das sind 17 Künstler und die einzige Künstlerin, die in der Ausstellung „Extra Muros“ in La Chaux-de-Fonds, Neuenburg und Lausanne vertreten waren. Als ich im Frühling die erste Presse-Ankündigung erhielt und – wie es meiner „déformation professionelle féminine“ entspricht – sogleich das genannte Zahlenverhältnis auszählte, wurde ich wütend und für einmal habe ich die Wut nicht hinuntergeschluckt, sondern bin unverzüglich an die Schreibmaschine gesessen und habe dem Deutschschweizer Vertreter im verantwortlichen Organisationskomitee, dem Konservator des Kunstmuseums Winterthur, Dieter Schwarz, einen Brief geschrieben, in dem ich meinem Unmut Luft machte. Ich wies insbesondere darauf hin, dass eine Ausstellung, die mit 700-Jahrfeier-Geldern veranstaltet werde, somit kultur- und gesellschaftspolitischen Charakter habe, die Künstlerinnen, die Hälfte der in unserem Land künstlerisch Tätigen, doch nicht einfach übergehen könne und lieferte gleich einen Rattenschwanz von Namen mir wichtig erscheinender Künstlerinnen nach. Die Antwort war so banal wie ich sie erwartet hatte. Sie hatte indirekt immerhin zur Folge, dass mich kurz vor der Eröffnung eine Kollegin aus dem Raum Winterthur anrief und anfragte, ob wir nicht einen Boykott der Berichterstattung starten sollten. Ich lehnte ab, weil ich nicht glaubte, dass irgendjemand von einem Boykott einer gewissen A. Zwez Kenntnis nehmen würde. Also meldete ich mich für die Pressekonferenz an. Mich interessierte unter dem Aspekt Frau einerseits die Arbeit von Marie-José Burki, der Genfer Objekt- und Video-Künstlerin, andererseits hoffte ich, ein Gespräch mit Cathérine Quéloz, der für die Ausstellung mitverantwortlichen Genfer Kunsthistorikerin, führen zu können.

 

Zu meiner Freude waren insbesondere die Video-Arbeiten von Marie-José Burki hervorragend. Lassen Sie mich die in La-Chaux-de-Fonds gezeigte Installation nacherzählen. Ein Raum – vier Monitore auf Augenhöhe, an jeder Wand einer. Vier Videostreifen gleichzeitig. Bewegte Bilder vorne, links, rechts, im Rücken. Zu sehen: Tiere – Wildtiere, zweifellos im Zoo gefilmt. Meist Nahaufnahmen, meist der Kopf. Eindrückliche Bilder, schöne Tiere, stolze Tiere. Zu hören: Nichts als das Wort „Animaux“, dafür unablässig und sprachlich reich differenziert: schnell – kurz, hoch – tief, spitz – flach usw. Im Zentrum stehend erlebte man ein scheinbar angeregtes Gespräch zwischen den Tieren – kein Klagelied, sondern eine der Würde der Tiere entsprechende Diskussion, getragen von einer offensichtlich intensiven seelischen Beziehung der Künstlerin zur Welt der Tiere, einer Beziehung, die keine Hierarchie zwischen Mensch und Tier kennt. Beim Ueberdenken war ich hin- und hergerissen: Darf man das? Darf man ausblenden, dass diese Tiere ja im Zoo, das heisst in Gefangenschaft leben? Darf man in der Kunst ein positives Bild von Tieren zeichnen, wo wir doch alle wissen, dass es unseretwegen schlecht bestellt ist um die Menschen- , Verzeihung, um die Tier-Rechte? Ich kam zum Schluss: Man darf, denn selbstsichere Präsenz, kraftvolles Dastehen, Verteidigung der eigenen Schönheit bringt eigentlich mehr als Klagelieder. ( Ich nehme an, Sie haben den feministischen Unterton herausgehört.)

 

Aufgrund der Video-Installation ist mir auch klar geworden, warum sich diese Künstlerin – im Gegensatz zu anderen – an der Ausstellung beteiligt und nicht aus politischen Gründen ihre Teilnahme verweigert hat. Sie geht von kraftvoller Präsenz und nicht von Abwesenheit aus. Womit wir bei einem zweiten wichtigen Punkt angelangt wären: Nach Aussagen der Verantwortlichen wären grundsätzlich einige Künstlerinnen mehr vorgesehen gewesen, doch haben – unter anderem bekannte Baslerinnen – ihre Teilnahme abgesagt; die Boykott-Geschichte kennen Sie ja. Wir müssen die Verhältniszahl 17 und 1 also ein bisschen revidieren. Nur, das reicht noch nicht. Vor allem gilt es hier zwei Aspekte auszuleuchten. Erstens: Liegen die geringen Beteiligungszahlen von Künstlerinnen zum Teil daran, dass Frauen Angebote grundsätzlich kritischer beleuchten, nachhaltiger auf die Kongruenz zwischen ihrem Wollen, ihrem Verantwortungsgefühl und ihrer Lust in der Oeffentlichkeit zu sehen, betrachten? Ich glaube, diese Frage müssen wir bejahen und sie auch positiv werten, denn die Strategie der konsequenten und hinterfragten Prüfung von Angebot und eigenem Bedürfnis ist eine wichtige Möglichkeit der Frau, sich gegen männliche Machthunger-Rezepte, gegen Karriere um jeden Preis zu wehren.Nur müssen die Künstlerinnen dabei analytisch unterscheiden zwischen Schneckenhaus-Politik, zwischen bequemem Rückzug ins Private, zwischen Angst vor Verletzungen und ihrer Lust nach öffentlicher Präsenz, nach Bedeutung und künstlerischer Bestätigung. Risiko auf sich nehmen ist da mindestens so wichtig wie konsequent absagen.

 

Nun, die im Fall „Extra Muros“ gemeinten Künstlerinnen hatten es wohl leicht, abzusagen, stehen sie doch zweifellos genügend im Licht. Auf die Frage, warum denn nach Absagen nicht andere Künstlerinnen eingeladen worden seien, erhielt ich eine vage Antwort, so ungefähr: Es geht doch nicht um Quoten, sondern um Kunst, unsere primäre Auswahl war richtig und darum nicht veränderbar usw. usf. Cathérine Quéloz, die ich im Speziellen daraufhin ansprach in der Erwartung, sie als Frau habe sich doch sicher für die Teilnahme von Künstlerinnen eingesetzt, vertrat die Ansicht: Wenn man bedenke, dass die Frauen ja erst sehr kurz überhaupt in der Kunst erscheinen würden, dann sei ihre Präsenz in wichtigen Ausstellungen gesamthaft betrachtet doch eigentlich schon sehr ansprechend. Ich schluckte dreimal leer, versuchte etwas zu entgegnen, blieb aber grundsätzlich sprachlos. Wieder einmal hatte ich erlebt, dass Frausein überhaupt nicht impliziert, dass man sich für Frauen einsetzt. Stichwort: Mangelnde Solidarität. Ein altes und bekanntes Moment in der feministischen Diskussion. Eigentlich glaubte ich, das sei Vergangenheit, aber zu dieser Erkenntnis war ich wohl in meinem Elfenbeinturm gelangt.

 

Verlassen wir nun 17 und 1 und rücken die erfreulichere Zahl  16 und 5 – immerhin – ins Zentrum. Hier handelt es sich um die Skulpturenausstellung entlang der Reuss zwischen Baden,Wettingen und Neuenhof im Aargau. Warum ist es hier – wo es doch tatsächlich weniger plastisch arbeitende Künstlerinnen gibt – gelungen, eine Vertretung von 25% zu realisieren, obwohl auch hier die Einladungen just zur Boykott-Unterschriftszeit versandt wurden und bei der ersten Runde zahlreiche Absagen – auch von hier Anwesenden – eingingen. Die Antwort ist ziemlich einfach: Hier hat man sich angesichts erster Negationen nicht in den Schmoll-Winkel gestellt, sondern  nach weiteren Möglichkeiten gesucht und – noch wesentlicher – in der Auswahlkommission waren unter anderem Leute, denen Werke von Künstlerinnen wichtig sind und – ebenso entscheidend- da war im Speziellen eine Kunstkritikerin – meine Kollegin Sabine Altorfer – die schon so oft und so viel über spezifische Eigenarten von Kunst und Frau nachgedacht hat, dass sie im entscheidenden Moment genügend Namen nennen, genügend Werke von Künstlerinnen mit Ueberzeugung vorstellen konnte. Und da sind wir wohl an einem Kernpunkt: Die Kunst von Frauen ist zu wenig bekannt und darum oft in bestimmenden Momenten nicht greifbar, im Gedächtnis nicht präsent.

 

Das hat viele Gründe. Zum einen, ganz lapidar, in der geringen Vertretung von Künstlerinnen in grösseren Ausstellungen. Das reicht aber nicht. Eine heute tätige Künstlerin hat grundsätzlich Möglichkeiten, ihre Werke öffentlich zu zeigen. Die Infrastruktur der Kunstpräsentation ist so weitverzweigt, dass es nicht endlos viel Eigeninitative braucht, um zu Ausstellungen zu gelangen. Aber: Der Beachtungsgrad dieser Ausstellungen von Künstlerinnen ist nicht genügend hoch und es gibt markante geschlechtsbezogene Unterschiede bei den Besucher- respektive Besucherinnenzahlen. Nun sind die weiblichen Besucherzahlen bei Ausstellungen immer sehr viel höher als die männlichen – das hängt wesentlich mit den immer noch bestehenden Gesellschaftsstrukturen, vielleicht aber auch mit spezifischem Interesse, zusammen – doch bei Ausstellungen von Künstlerinnen ist das Verhältnis noch viel extremer, der Anteil der Besucherinnen  ist überproportional, mit Ausnahme vielleicht der Top-Ten-Künstlerinnen, die das Siegel allgemeiner Akzeptanz – und vor allem auch Marktrelevanz – tragen. Ich denke da, baselbezogen, an Cindy Sherman, Hanne Darboven, vielleicht auch Rosmarie Trockel.

 

Die Feststellung des Phänomens bringt uns nicht weiter. Um zu Gründen zu gelangen, müssen wir graben. Wir können beobachten, dass kunstinteressierte Frauen Ausstellungen besuchen, egal ob ein Künstler oder eine Künstlerin ausstellt. Ihre mehrheitlich männlich geprägte, intellektuelle Erziehung, ihre Kenntnis der männlichen Kunstgeschichte erlaubt es den Frauen ohne weiteres, auf Werke von Künstlern einzugehen, ihre Konzepte nachzuvollziehen. Und – weil sie Frauen sind – gelingt ihnen das Analoge – auf einer partiell anderen Ebene – auch angesichts der Werke von Künstlerinnen. Und sie empfinden dies als selbstverständlich. Dass diese Fähigkeit der Frauen, aufgrund ihres Seins und ihrer Ausbildung bildnerische Aeusserungen von Künstlerinnen und Künstlern zu begreifen, etwas Kostbares ist, dass eigentlich fast nur die Frauen können, ist viel zu wenig untersucht. Die Männer sind in der höheren Ausbildung mehrheitlich zu Männern in die Schule. Sie sind also quasi gleichgeschaltet, in einer Einheit mit sich selbst. Was ich erzähle sind selbstverständlich keine bewussten Strukturen.

 

Aber wir wissen ja, spätestens seit C.G. Jung, dass die unbewussten Motivationen ebenso stark sind. Und darum müssen wir vielleicht begreifen, warum die Männer oft im Kern mehr Mühe haben, künstlerische Formen von Frauen zu begreifen. Sie verstehen sie nicht, können wie nicht mit derselben Einheit nachvollziehen wie Werke von Männern. Während die Frauen, wie gesagt, aufgrund des Dualismus von männlicher angelernter Intellektualität und weiblichem Empfinden sowohl ins eine wie ins andere Boot sitzen können, also androgyn sind. „Die Frauen müssen uns mitnehmen auf ihrem Erkenntnisweg“, sagte mir einmal der Zürcher ( ehemals Basler ) Kunstkritiker Fritz Billeter.

Die Frauen besitzen da einen Schatz, dessen sie sich viel zu wenig bewusst sind und den sie ( noch ) viel zu wenig ausspielen. Selbstverständlich spielt beim genannten unterschiedlichen Beachtungsgrad von Ausstellungen von Künstlerinnen respektive Künstlern auch unser traditionell patriarchalisches Wertsystem eine grosse Rolle, an dem zu pickeln schwieriger und langwieriger ist als das Verständlichmachen einzelner Aspekte weiblichen Kunstschaffens.

Nun implizieren die hier entwickelten Gedanken natürlich, dass es einen Unterschied gibt zwischen Kunst von Männern und Kunst von Frauen, einen Unterschied, der über strukturelle, gesellschaftliche bedingte Momente hinausgeht. Und das gilt es im Folgenden zu untersuchen, zumindest – da das Thema sehr komplex ist und sich Inneres und Aeusseres, Eigenes und durch die Zeit, die Gesellschaft Aufoktroiertes ständig vernetzt – in einigen Punkten zu beobachten.

Ich kenne den Satz: „Es gibt keine Männerkunst, es gibt keine Frauenkunst, es gibt nur Kunst“ sehr wohl. Nur bin ich nicht derselben Ansicht. Für mich ist diese These nichts anderes als die alte Angst der Künstlerinnen, wegen des weiblichen Anteils in ihrer Kunst von den Männern, vom Markt nicht akzeptiert zu werden. Und von Seiten der Männer Angst, das Weibliche in ihren eventuell doch hervorholen, analysieren und akzeptieren zu müssen. Es ist richtig, man kann den Satz auch anders lesen, indem man ihn als Gleichwertigkeit von Kunst von Männern und Kunst von Frauen interpretiert, und dann bin ich selbstverständlich einverstanden, doch meine ich zu wissen, dass dort, wo er aufschimmert, die erste Schlussfolgerung im Vordergrund steht.

Und dann widerspricht er der von Meret Oppenheim schon 1975 formulierten Forderung, wonach Kunst androgyn zu sein habe. Androgyn – zweigeschlechtlich – dieses Wort habe ich doch heute abend schon einmal gebraucht. Dort, wo es um die Verständnisfähigkeiten von Kunst durch Frauen respektive Männer ging, da also, wo die Frauen den Männern gegenüber quasi einen Vorsprung haben indem sie lernten, männliche Denkweisen zu verstehen und auch zu imitieren, und dabei gleichzeitig als weibliche Wesen zu empfinden. Was  für die Rezeption von Kunst gilt, ist logischerweise auch Kapital für die Kunstproduktion. Sofern, und das muss klar betont werden, sofern die genannten Strukturen ins Bewusstsein dringen,sofern die Künstlerin gelernt hat, mit diesem ihr Gegebenen zu spielen und sich nicht einfach als Masse Mensch treiben lässt. Kapital, sofern sie in ihrer emanzipatorischen Entwicklung soweit fortgeschritten ist, dass sie zum weiblichen Teil in ihr ein positives Verhältnis hat und es damit auch einsetzen kann, und zwar bewusst – vielleicht nicht während des künstlerischen Prozesses, aber doch in der Analyse.

 

Versuchen wir nun ganz konkret, einige Momente spezifisch weiblichen Interesses, weiblicher Denk- und Empfindungsart herauszuschälen, wohl wissend, dass Frau nicht gleich Frau ist, dass Frau die Hälfte der Menschheit ist und es somit milliardenfache Individualität gibt, die sich in unterschiedlichen Tendenzen und Gewichtungen, auch in unterschiedlicher Abgrenzung gegenüber dem Männlichen, manifestiert.

Die für mich wichtigste, offenste und damit allgemeingültigste Unterscheidungsstruktur ist die des relationalen Denkens von Frauen. Dieses Denken in Beziehungen habe ich nicht selbst erkannt, wohl aber lange darüber nachgedacht. Ich habe es in den Studien der Amerikanerin Carol Gilligan und im feministisch-philosophischen Gedankengut der Wienerin Patricia Klinger gefunden.

 

Patricia Klinger war anlässlich des Symposiums „Wissenschaft, Künste und alles andere“ im vergangenen November in Basel. Der Kern der Aussagen  von Gilligan resp. Klinger – sowie ich ihn verstehe – beruht auf der These der identifizierenden Einheit von Mutter und Tochter auf er einen Seite, der abstrahierenden Distanz von Mutter und Sohn andererseits. Damit ist nicht rollenspezifische Erziehung gemeint, sondern tief verwurzelte Struktur mit entsprechend unbewussten Manifestationen. Aus dieser Kernthese ergeben sich grundsätzliche Positionen gegenüber der Welt. Das Mädchen und später die Frau gehen von Einheit aus, die sie zu engen Beziehungen zu den Menschen, zum Körper, zur Erde befähigen. Sie betrachten diese Beziehungen als gegeben, müssen also nicht darüber reflektieren, sie auch nicht analytisch in Worte fassen. Sie leben dieses Vernetzte, dieses Beziehungsmässige, egal ob sie sich dessen bewusst sind oder nicht. In empirischen Studien hat Carol Gilligan dieses Muster auf Verhaltensebene umgesetzt, während Patricia Klinger aus diesem Vernetzten, gleichzeitig auf gleicher Ebene Nebeneinanderstehen die postmoderne Struktur abliest. Der Knabe oder später der Mann – das gehört hieher, da wir uns nur im dialektischen Prozess gewisser Dinge bewusst werden können – gehen also nicht von Einheit, sondern von Differenz aus und nehmen so eine von der Erde abgehobene, auf die Erde zurückblickende, die Erde beobachtende, die Erde analysierende Position ein.

 

Das ist eine geballte Ladung, ich bin mir dessen bewusst, ich habe sie auch nicht auf Anhieb begriffen. Wir können auch sogleich fragen, ob neue Rollenverteilungen zwischen Mutter und Vater die These für die Zukunft ändern wird. Vielleicht, doch nur sehr langsam, da Veränderungen ja ein  wirklich androgynes Denken, Handeln, Empfinden von Mutter und Vater voraussetzen würde und davon ist auch die jüngere Generation – vor allem die der Männer- gesamthaft betrachtet noch weit entfernt, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen.

 

Ich will versuchen, die eben skizzierte Behauptung unterschiedlicher Weltsichten von Mann und Frau in einem Bild darzustellen: Gerade die Tätigkeit der Künstlerin bietet sich da an. Denn sie weiss um den enormen Unterschied der Positionen, ob sie a) Werke eines anderen Künstlers, einer anderen Künstlerin betrachtet, oder ob sie b) hinter den eigenen Werken steht, die eigenen Werke erklären sollte. Die Formulierung der Beobachtung, des auf Distanz Betrachtbaren ist oft leichter als die Analyse des auf gleicher ebene stehenden. Verwechseln wir nicht, es geht bei diesem Bild nicht um spezifisch Weibliches, sondern um das Verständlichmachen verschiedener Positionen, wobei die Beobachtung primär dem Männlichen, die empirische Identifikation primär dem Weiblichen entspricht. Vergessen wir beim ganzen Gedankengang auch nicht, dass die Frauen nicht nur Frau und die Männer nicht nur Mann sind, zumindest nicht von den potentiellen Möglichkeiten her.

 

Das beschriebene Muster männlicher Analyse kontra weibliche Intuition bietet uns in der Praxis zum Beispiel eine Erklärung dafür an, warum es in der Weltgeschichte ebenso wie in der Kunstgeschichte lange Zeit kaum Theoretikerinnen, kaum beobachtend analysierende Frauen gegeben hat, warum ganz allgemein  in Worten formulierte, kritische Texte von Frauen rar sind. Beobachtung erfordert ständig Erklärung dafür an, warum das rein Konzeptuelle in der Kunst nur wenige Künstlerinnen interessiert. Es bietet ferner eine Erklärung an, warum erotisches Empfinden von Mann und Frau nicht einfach reziprok ist. Und es bietet überdies eine Erklärung dafür an, warum die Männer oft Mühe haben, Kunst von Frauen zu verstehen.

 

Muster sind indes immer zu einfach, um alles zu erklären. Differenzierung ist wichtig. Bezogen auf die gesellschaftliche Entwicklung bis zurück in die Frühzeit des Patriarchats, kann man feststellen, dass sich die genannten Grundstrukturen viel zu sehr getrennt entwickelt haben, statt sich ganzheitlich zu ergänzen. Durch das – weitgehende  – Fernhalten der Frauen von den Erkenntnissen männlicher Beobachtung ( zum Beispiel in der Wissenschaft) einerseits, durch das Abgrenzen der Männer gegenüber „Zweitrangigem“, also dem empirisch Wissenden, Körper- und Erdnahen, entstand eine Schere, die sich auseinander, statt miteinander entwickelte. Die Wandlung, die zum Heute führte, ist eine lange, langsame und noch nicht abgeschlossene. Und sie ist erneut tendenziell einseitig. Diesmal aber – vielleicht ist es gewagt, das zu sagen – diesmal aber zugunsten der Frauen. Das heisst: Durch vermehrten Zugang zu schulischer Ausbildung, die ja quasi männliche Ausbildung ist, zumindest in den intellektuellen Fächern, haben viele Frauen heute Wesentliches in Sachen Beobachtung hinzugelernt. Das Menschsein erlaubt ja das Lernen. Leider haben sie dabei unter Umständen weibliches Empfinden verdrängt. Und – das nun ein Vorwurf an die Frauen – sie haben nicht realisiert, dass sie – wie sagte Fritz Billeter treffend- die Männer auf ihrem Erkenntnisweg mitnehmen müssen. Ich glaube, in dieser dynamischen Zeit stehen wir heute. Es ist eine höchst interessante Zeit. Aber auch eine höchst komplizierte Zeit, denn selbstverständlich stehen wir nicht alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort der Entwicklung, sind wir ganz unterschiedlich strukturiert. Vor allem scheint mir in Bezug auf die Kunst von Frauen wichtig, dass darin die Chance, das Männliche und das Weibliche zu vereinen, ergriffen wird und dass Anstrengungen unternommen werden, das in einer auch den Männern verständlichen Form zu verbalisieren.

 

Greifen wir zum Beispiel das Stichwort „Material“, das ja schon im Wortstamm das Wort „Mater“ oder „Mutter“ enthält, heraus. Künstlerinnen haben sehr oft eine eminent starke Beziehung zu verschiedensten Materialien und zwar nicht eine, die auf das technisch Machbare ausgerichtet ist, sondern auf die empirisch erfahrbaren Qualitäten. Seide… Wolle…. Sisal…. Filz…. Ton… Papier… Oelfarbe …. Graphit… Kohle… – das ist doch eine ganze Welt, eine Welt, die eigentlich keine Worte braucht, da man sie fast einatmen kann. Für Künstlerinnen ist diese Materialausstrahlung oft autonomer Teil ihrer Kunst, teil der Aussage, quasi das Ausatmen ihrer künstlerischen Werke, während Material bei Männern meist Mittel zur Aussage ist. Kürzlich sagte mir ein Künstler, dessen intellektuelle Dynamik ich sehr schätze, Joseph Beuys habe ein neues Materialgefühl in die Kunst eingebracht, zum Beispiel indem er Kupfer und Wärme gleichsetze. Ich war wieder einmal nicht schlagfertig genug, um mehr als die Platitüde, das stimme nicht und in Werken von Frauen gebe es das schon lange, einzubringen. Natürlich begriff mein Vis-à-vis nicht. Darum muss ich es hier quasi nachholen. Vorausgeschickt sei, dass ich Joseph Beuys für einen grossartigen Künstler halte und meine, dass seine „soziale Plastik“ gerade für Frauen viel beinhalte.

 

Doch zurück: Wenn Frauen zum Beispiel Wolle, oder zum Beispiel mit Haaren arbeiten – und dies in einem ausdrucksbetonten, künstlerischen Sinn – dann ist die Wärme dieser Wolle und die Erotik dieser Haare für sie etwas Gegebenes, das nicht formuliert werden muss. Beuys hat daraus ein Konzept gemacht und … siehe da. Wenn eine Frau aus dem Mittelalter stammende Holz-Stücke zu einem Kreis fügt, ohne ein konzeptuelles Gerüst mitzuliefern, dann sagt die männliche Kritik mehrheitlich, das reiche nicht. Ich als Frau kann aber in diesen Kreis sitzen, atmen und eine Fülle fühlen. Dieses Fühlen in Worte zu fassen, fällt indes auch mir sehr schwer, da es mit Mystik, mit Irrationalität, mit unsichtbaren Schwingungen, mit gegebener Beziehung zu tun hat und nicht mit analysierbarer Beobachtung. Das ist nur ein kleiner Aspekte des Themas. Wir könnten nun über Intuition sprechen, über Körper und Ausdruck, über innere Bilder und ihre Visualisierung, über empfindungsmässige Entscheide, über die Bedeutung von Mystik in Werken von Frauen, über Verantwortungspositionen gegenüber der Welt, über unterschiedliche Strukturen im erotischen Empfinden und analog unterschiedlichen Darstellungen oder – dialektisch – über Männerutopien, über entwurzelte Konzepte, über die fragliche Bedeutung von Radikalität usw. Doch das alles würde hier zu weit führen, den Abend sprengen.

 

Ich greife hier nur noch ein wenig erkanntes, aber reichlich spektakuläres Moment heraus: Das der unterschiedlichen Darstellungsstruktur erotischer Empfindungen. Wie Künstler ihrer sinnlichen Begierde Ausdruck verleihen, wissen wir alle – Aktbilder gibt es in tausend Varianten. Hier geht es aber nicht um äussere Erscheinungsform, sondern um die Tatsache, dass die Männer ihr sinnliches Empfinden auf ein „Du“ projizieren, eigene Lust darstellen indem sie einen weiblichen Körper beobachten, vielleicht auch verwandeln, phantasiereich in Farbe und Form umsetzen. Nun gab es in letzter Zeit mehr als eine Ausstellung mit dem Titel „Frauen sehen Männer“. So weit so gut; nur, zu meinen, da kämen dann, analog zum bereits Bekannten von Künstlern, lauter nackte Männer, lauter frauliche Lust in Männerkleidung daher, der täuscht sich. Denn das würde ja implizieren, dass Frauen und Männer gleich empfinden, nur aufs jeweilig andere Geschlecht ausgerichtet. Das ist aber nicht so. Weibliche Sinnlichkeit kommt in „Ich“-Form daher, wächst aus der Beziehung zum eigenen, erwartenden Körper heraus. Das ist vermutlich etwas völlig Ununtersuchtes in der Kunst, jedenfalls las ich kürzlich einen Text einer deutschen Kunsthistorikerin, die einer Künstlerin, die sich selbst mit sinnlichem Ausdruck darstellte, vorwarf, sie würde sich aus männlichem Blickwinkel darstellen.

 

Ich glaube das nicht. Erstmals ging mir das so richtig unter die Haut als ich Werke von Maria Lassnig aus den 60er Jahren sah, wie sie da hockte – nur in Umrisslinien – wie sie ihren Körper in eigene Spannung versetzte. Mit Lesbentum hatte das nichts zu tun, denn es waren eindeutig „Ich“-Figuren. Dieser Erkenntnis nachgehend, habe ich seither viele Werke von Frauen daraufhin beobachtet und immer wieder die sinnliche Beziehung zum eigenen Selbst entdeckt. Immer noch unsicher, habe ich letztendlich ein Buch über „art brut“ geholt und dieses danach befragt, weil mir schien, niemand sonst arbeite so aus dem Urgrund. Und wieder fand ich die Bestätigung: Frauen zeichnen Frauen und dies mit höchster Lust, eventuell einmal Mann und Frau, aber ganz selten nur Männer. Wir haben also auch hier die zwei Positionen, die des beobachtend Schauenden und die des im eigenen Körper Empfindenden.

 

Fragen wir zum Schluss, warum es denn gewissen Künstlerinnen gelingt, sich bei den Männern Akzeptanz zu verschaffen und anderen nicht. Durchsetzen können sich Künstlerinnen, die in ihrem Innern zu Radikalität fähig sind, weil die Männer das lieben, dann Künstlerinnen, denen es gelingt, ihre naturgegebene Beziehungs- und Aeusserungsvielfalt in ein konzeptuelles Gefäss einzubringen, wobei da herrliche Missverständnisse aufkommen können. Dazu eine kleine Geschichte. Der Konservator der Kunsthalle Bern, Ulrich Loock, gehört zu jenen Kunstsachverständigen, die Abstrahierung, Intellektualisierung für etwas Zentrales in der Kunst halten. In letzter Zeit hat jedoch, nicht zuletzt unter dem Druck von Berner Frauen, ein Prozess eingesetzt, der vermehrt emotionelle Momente einbezieht. Einmal – wohl über seinen eigenen Schatten springend – veranstaltete er eine Ausstellung mit der aus Südafrika stammenden Holländerin Catherine Dumas – kürzlich waren ihre Werke bei Stampa zu sehen. Catherine Dumas ist eine radikal-weiblich-gefühlsmässig agierende Künstlerin mit einer grossen Fähigkeit, Beziehungen zu Anderen und zu sich selbst  in Bildern umzusetzen, ihre Motive unglaublich nahe an den Körper heranzunehmen.

 

Ulrich Loock – und ich möchte ihn da nicht lächerlich machen, sondern nur beobachten – betonte an der Pressekonferenz den konzeptuellen, das heisst den männlichen Hintergrund in der Arbeit von Catherine Dumas. So lange bis die temperamentvolle Künstlerin mit ihrem etwa 8 Wochen alten Baby auf dem Arm vom Stillen zurückkam und die Veranstaltung sprengte indem sie mit ihrem sprudelnden Impetus Loocks Denk-Logik vollkommen über den Haufen warf und ihre körperliche Phantasie, ihre Lust am sinnlich-intuitiven Einkreisen ihrer Selbst und des Andern zum alleinigen Motor ihrer Kunst erklärte. Selbstverständlich gehört diese radikale Anti-Haltung, dieses überschäumend Weibliche mit zu ihrem Erfolg, doch im Kern zeigte sie auf, was viele Künstlerinnen betrifft, nämlich das Auseinanderklaffen von männlich intellektualisierender Beobachtung und weiblich-intuitivem Einsatz von Geist, Körper, Phantasie, Geste, Farbe, Empfindung, Lust usw.

 

Vielleicht drängt sich bei einigen nun die Frage auf- und dann will ich wirklich abschliessen – warum denn die „Wilden“ so sehr eine Männerangelegenheit gewesen sei. Und die beste Antwort, die ich dazu am bereits erwähnten Frauensymposium in Basel hörte, war ganz lapidar: Damit meinten die Männer den Aufbruch der Frauen zu Eigenständigkeit mit einem kurzen Brush einverleibt zu haben. Dass dem nicht so ist, wissen und erfahren die Frauen täglich. Weiterkämpfen.

 

 

Anmerkung: Beim hier schriftlich vorliegenden Text handelt es sich um einen auf mündliches Vortragen ausgerichtetes Schriftstück, um im Fluss festgehaltene Gedanken, nicht um ein wissenschaftliches „Paper“. Allfällige Reproduktionen bedürfen der Zustimmung der Autorin.