Gedanken von Annelise Zwez nach dem Gespräch mit Adrian Fahrländer und Mariann Bissegger-Imhof im Alten Schützenhaus in Zofingen im Hinblick auf die Führung in ihrer Ausstellung am 14. Mai 1992

 

Adrian Fahrländer ( geb. 1955 ) arbeitet seit mindestens 10 Jahren mit Figuren aus Holz – erstmals 1982 in der Galerie Brättligäu, als Künstler der Galerie „Junge Talente“ präsentierten. Da eine der damals gezeigten Arbeiten sich seither in der Kunstsammlung meines Freundes befindet, bin ich ihr in den letzten 10 Jahren tausendfach begegnet. Wenn ich heute Arbeiten von Adrian Fahrländer sehe, so ist das immer wie ein sich weitender Spannungsbogen vom Damals zum Heute, wobei ich auch Zwischenstufen kenne, den Arbeiten in mehreren Ausstellungen, unter anderem auch hier, begegnet bin. Bei einem ausgesprochen jungen Künstler spricht man oft von seinen Lehrern.

Bei Adrian Fahrländer ist der Kreuzpunkt – ich sage nicht die Beeinflussung – sehr markant. Adrian Fahrländer hat während vier Jahren bei Schang Hutter gearbeitet. Noch heute erinnern Fahrländers Figuren an frühe – nicht heutige – Figurentypen Schang Hutters. Von Schang Hutter ausgehend assoziiert man auch hier sofort „Sozialkritik“, denn Schang Hutter ist – vielleicht zusammen mit der Basler/Aargauer Künstlerin Valery Heussler – einer der wenigen gesellschaftskritischen Künstler der Schweiz. Wenn ich nachlese, was ich damals , 1982 zu ersten Begegnung mit Adrian Fahrländer, geschrieben habe – ich hatte ja bei so vielen nur jeweils einen Satz zu schreiben – so taucht da sofort der Begriff „Figuren, die ihrer Ohnmacht Ausdruck geben“ auf. Das ist ein Hutter-Satz.

Das alles ist lange her. Adrian Fahrländer hat mit Nachdruck und Konsequenz weitergearbeitet. Im Gespräch mit ihm hier im Schützenhaus habe ich gemerkt, dass ich das mit der Sozialkritik, mit den Figuren, die klare Inhalte zum Ausdruck bringen wollen, weglegen oder zumindest differenzieren muss. Denn auf die Frage, ob diese Figuren mit ihren Quadratköpfen politisch zu verstehen sind, gibt der Künstler eigentlich keine Antwort. Er spricht vom Baumstamm, von der Motorsäge, die Geraden schneidet und – von allen vier Seiten beschnitten – eben ein Quadrat ergibt. Erst nach längerem etwas ratlosem Hin und Her begreife ich, dass die Figuren für Adrian Fahrländer längst zu einem Motiv geworden sind, das sich nicht mehr unmittelbar auf einzelne Menschen der Gesellschaft bezieht, sondern dass sie so etwas wie eine Form geworden sind, die dem Künstler quasi gehört und mit welcher er Ausdrucksvielfalt erprobt, mit welcher er selbst um Ausdruck ringt. Die Figur ausschöpfen, ihr tausend Facetten geben, sie an Grenzen und darüber hinaus führen, Tabus brechen, ihre Randzonen beobachten – das scheint den Künstler zu faszinieren.

Weil er sie quasi entmenschlicht, entindvidualisiert hat, kann er auch recht brutal und rücksichtslos mit den Menschenformen umgehen. So schonungslos wie die Menschheit eben mit den Menschen umgeht. Adrian Fahrländers Figuren werden dann zur bitterbösen Satire.

In diesem Raum waren vor einiger Zeit schon mal Figuren – oder, präziser, Köpfe, ausgestellt. Erinnern sie sich an die Psychogramme der Eva Aeppli? Dort, dort ging es um die tiefenpsychologischen Ausdrucksformen von Menschen verschiedener astrologischer Prägung. „Zodiac“ nannte die in Paris lebende Zofinger Künstlerin den 12er Kreis. Hier geht es um Anderes. Hier geht es um die Spannung zwischen dem Menschen als Ding, als Typus ausserhalb der eigenen Gefühlswelt, um die Figur als Figur, auch um die Kunstfigur als Kunstfigur einerseits und um die Apelle, die trotzdem von diesen Menschen ausgehen.

Das ist gar nicht so einfach nachzuvollziehen. Bevor ich Sie frage, möchte ich noch einen Vergleich ziehen: Der Lenzburger Bildhauer Peter Hächler arbeitet seit langer Zeit mit Prismen und Würfeln.Mit diesen Elementen sucht er spielerisch nach immer neuen Möglichkeiten des Ausdrucks. Da haben wir keine Mühe, das nachzuvollziehen, ist doch das Element eine abstrakte, eine geometrische Form, die höchstens über die mathematische Grundregeln hinüberweist auf die Strukturen des Lebendigen. Hier aber geht ein anderer Künstler in gewissem Sinne ähnlich vor indem er immer das Motiv Mensch einsetzt und zwar in einer letztlich doch ähnlichen Typisierung. Die Wirkung ist aber nicht diesselbe, da die emotionelle Betroffenheit immer mitagiert, da der Betrachter Mensch und das Motiv Mensch trotz allem immer direkt miteinander kommunizieren.

Dass Adrian Fahrländer so handelt, hat vielleicht zwei Gründe: Zum einen erlaubt es ihm, die Figuren „nackt“, das heisst ohne Rücksicht auf Moral und Aesthetik, zu zeigen. Zum andern kann er sich selbst so aus der Sache halten, ist er so emotionell quasi nicht betroffen und kann so zu einer Radikalität vorstossen, die er selbst vermutlich nicht in sich trägt.

Eine in hohem Masse inhaltliche Kunst, die eigentlich keine sein will und es letztlich doch ist.

Das waren Worte zu meiner Betroffenheit, meine Versuche Antworten zu finden auf die Apelle der in weiches Holz gesägten Figuren.

Wie gehen Sie mit diesen Figuren um, was sagen sie Ihnen? Oder möchten Sie etwas anderes noch dazu fragen?

( Thema: Mann / Frau – wer denkt sich was zu wem )

 

 

Mariann Bissegger-Imhof

 

Ich habe Mariann Bissegger nicht gekannt bis zu dieser Ausstellung hier – das hängt einerseits damit zusammen, dass die Berner Künstlerin noch nie im Aargau ausgestellt hat, das hängt aber wohl auch damit zusammen, dass sich Künstlerinnen weniger vehement in Szene setzen und damit selbst denen, die in Bezug auf Künstlerinnen besonders hellhörig sind, verborgen bleiben. Last but not least sei auch erwähnt, dass die Zahl der professionell tätigen Künstler und Künstlerinnen heutzutage so gross ist, dass ein Ueberblick für niemanden möglich ist.

Die beiden haben schon früher einmal, in Burgdorf, gemeinsam ausgestellt. Auf den ersten Blick erscheint die Kombination äusserst sinnvoll. Die Figuren scheinen in Kontakt miteinander zu treten. Erst mit der näheren Auseinandersetzung mit beiden beginnt man zu spüren, dass nicht die Gemeinsamkeit das Entscheidende ist, sondern der Kontrapunkt. Im Gegensatz zum radikalen, entpersönlichten Umgang mit dem Menschen bei Adrian Fahrländer, finden wir einen sehr behutsamen, einen vorsichtigen, einen liebevollen Umgang mit der Figur. Wir sehen auch zwei Arten von Figuren – Figuren, denen wir uns vielleicht verwandt fühlen und Figuren, die eher geistiger und seelischer Gestalt sind. Und da sehen wir dann auch wieder Parallelen zu Fahrländer. In diesen gelängten Figuren ohne Arme mit Beinen, die in einen Spitz münden, diesen Figuren, die nicht agieren können klingt das Moment des Seins ohne eigene Aktivität, ohne eigene Gestaltungsmöglichkeit an. Etwas, das auch bei Adrian Fahrländer da ist – mit den genannten Vorbehalten. Aber was bei Adrian Fahrländer – schon durch die bildhauerische Form – wesentlich materieller erscheint, ist bei Mariann Bisegger sehr stark im geistigen und seelischen Bereich anzusiedeln. Die Figuren spiegeln Gefühle, Empfindungen, die nicht einfach Mensch sind, sondern Aspekte des Menschen berühren.

Und dann ist da die Farbe. Bei Fahrländer ist sie monochrom, mit derselben Direktheit aufgetragen wie die Formen mit der Säge herausgehauen sind. Die Pastellkreide mit ihrer Pulvrigkeit betont diese Direktheit noch. Auch Mariann Bisegger braucht starke Farben – gelb und blau insbesondere, zumindest in dieser Ausstellung. Aber hier scheinen die Farben Symbolcharkter zu haben. Diese Gelb sind doch Licht, Luft, Geist und diese Blau – bedeuten sie nicht seelische Tiefe, auch Dunkelheit. Klingt da nicht von Ferne Kandinskys berühmte Schrift „Vom Geistigen in der Kunst“.

Kunstgeschichtlich sind Adrian Fahrländers Skulpturen leichter einzuordnen als die Bilder von Mariann Bisegger. Im Rahmen der expressionistischen Strömungen der 80er Jahre haben viele Bildhauer mit der Motorsäge gearbeitet. Sie bilden zusammen eine fassbare Gruppe, die von Josef Felix Müller bis Baselitz, von Hans Thomann bis Karl Rennertz usw. reicht. Bei Mariann Bissegger ist das schwieriger. Die Kunst von Frauen ist sehr oft schwieriger zu definieren, weil sie sich in der Regel einen Deut und die „männlichen“ Einteilungen in Stile kümmert.Sicher spielt der Surrealismus als Vergangenheit eine Rolle. Er gab die Möglichkeit in Bereiche des Irrealen, des Unbewussten vorzudringen. Nur, was wir hier sehen, ist weder ein Magritte, noch ein Chririco noch ein Dali. In den 60er Jahren bildete sich eine Kunst heraus, die bei uns in der Schweiz sehr stark wirkte, etwa auftauchte in Begriffen wie „Innerschweizer Innerlichkeit“ oder auch „Neue Sensibilität“,“Neue Wahrnehmung“ vielleicht sogar „Individuelle Mythologie“. Der letztgenannte Begriff scheint mir hier zu weither geholt, aber die Sensibilität und die Innerlichkeit, die passen wohl und ein Stück Religiosität im Sinne einer Suche nach den geistigen Wurzeln unseres Daseins ist gewiss auch mit drin. So haben wir denn vielleicht den Kreis, in den diese Bilder passen.

Sie passen überdies in die Berner Kunstszene. Ich habe Mariann Bissegger gefragt, ob sie den jung verstorbenen, jüdischen Maler Thomas Kratky gekannt habe. Und sie bestätigte mir, dass sie von einer Ausstellung des Berners stark beeindruckt gewesen sei. Dieser junge Berner hat in wenigen Jahren ein Werk voller menschlicher Anteilnahme und vor allem voller Intensität, menschlicher Intensität geschaffen, das ganz offensichtlich Wirkung zeigt, auch in den Werken von Mariann Bissegger. Ich spreche bewusst von Wirkung nicht von direkter Beeinflussung, ganz abgesehen davon, dass da ein Altersunterschied besteht und Mariann Bissegger längst malte vor Kratky. Aber – und da bin ich nun im Handicap wie Sie auch – ich kenne von Mariann Bissegger nur die Bilder, die hier sind.

Dass in gewissen Bildern die Natur – Pflanzen – denselben Stellenwert zu haben scheinen wie die Figuren in anderen Bildern ist ein Zeichen der Zeit. Die Natur ist bedroht, darum haben wir das Bedürfnis, sie zu schützen, sie ist uns wichtig, wir fühlen uns nicht nur als Teil von ihr, wir wollen Teil von ihr sein. Da ist Emotionelles mit im Spiel bei der Wertsetzung, die noch vor 30/50 Jahren kaum jemand begriffen hätte.

Mariann Bissegger zeigt im Vergleich zu Adrian Fahrländer ein sehr reiches Werk – im Sinne von Vielfalt, auch der Techniken. Vieles in diesen kleineren Blättern sind Formen und Gebilde, die Mariann Bissegger einfach hat entstehen lassen – aus einer möglichst grossen Leere heraus, mit möglichst wenig bewusster Linienführung. Dem Traum ähnlich, der Tagesaktualität mit der Summe des im Gehirn Gespeicherten vernetzt. Die kleinen Bilder „lesen“ heisst praktisch sie zerstören, denn sie sind nichts anderes als Bilder der Fülle der Bilder, die in uns sind, in millionen- , milliardenfacher Variation.