Kocher Lis Ansprache Berner Galerie März 1992

Princesse de l’imagination

 

 

www. annelisezwez.ch

 

Sehr geehrte Damen und Herren

Liebe Lis

 

Lis Kocher war in den letzten Jahren manchen Monat mit einem Schiff unterwegs auf dem Meer, von Norden nach Süden, von Osten nach Westen und vice versa. Die entscheidensten Erlebnisbereiche trafen sich a) im Menschen b) in der Natur. Und dies in einer Fülle und einer Vielfalt, dass das Einzelne kaum mehr fassbar war. Die einzige Konstante war und ist das eigene Ich, Filter aller Wahrnehmungen und Zentrum der Empfindungen. Dies ist die Ausgangssituation für die Bilder, die Lis Kocher in den „Festland-Monaten“ in Antibes gemalt hat und die nun hier in der Berner Galerie zu sehen sind. Unterwegs auf dem kleinen/grossen Schiff hatte sie in Skizzenbüchern bereits die Grundlagen dazu geschaffen.

Zwei Hauptthemen sind fassbar – da die Wetterkartenbilder, dort die Teddies. Im Gespräch haben wir herausgefunden, dass beide Grundthemen eine Art Raster, eine Art Gefäss sind für vielfältigste Aeusserungen. Dass dabei die Wetterkarten dem Bereich Natur und die Teddies dem Menschen nahestehen, liegt auf der Hand. Ja, die Hand, die, in dem sie malt, seltener klebt, zur Darstellung bringt, was sie an Impulsen seelischer, geistiger und intellektueller Art erreicht. Das Spektrum ist breit – es reicht von ( fast ) neutralen, sich primär mit den Phänomenen der malerischen Erscheinungsweise befassenden Europa-Wetterkarten, die verschiedene malerische Stimmungen auf der Basis analoger Informationen aufzeigen, bis, auf der anderen Seite des Spektrums, bis zur „Princesse de l’imagination“, die als Landkarte der geistigen Prägungen, Landkarte der gefühlsmässigen Verwandtschaften in der Senkrechten die im Ich gewachsenen Phantasiewelten aufscheinen lässt. „Princesse de l’imagination“ ist auch eine „Hommage“ an die Welt der Frau von Else Lasker-Schüler über Rosa Luxemburg, von Meret Oppenheim bis Miriam Cahn. Dass neben den grossen Namen auch Freundinnen und, vor allem – nahe der Senkrechten – die eigene Tochter Erwähnung findet, entspricht der Künstlerin, die Nähe und Ferne, Erkenntnis und Erfahrung immer als Einheit erlebt und in ihrem Bildschaffen auch so zum Ausdruck bringt.


Ein Hinweis auf die Entstehungsgeschichte von „Princesse de l’imagination“ mag dies erläutern. Als Lis Kocher ihr Atelier in Antibes bezog, war da zunächst noch wenig eingerichtet und so wurde jedes kleine Ding zu einem Gegenstand, einem Material des eigenen Umfeldes. So entstanden als Erstes die Schachteln, die Boxen, die Objekte der Senkrechten ( noch ohne das Paul Klee gewidmete Kleiderbügel-Objekt). Die Neubesinnung, die Neu-Situierung des Ichs in einer neuen Situation forderten sie heraus. Lis hängte sie anfänglich einzeln an die noch kahlen Atelierwände. Sie erinnern mich vage an die Traum-Boxen, die Lis Kocher um 1970 in einer Umbruchzeit als erste Frau-Ich-bezogene Arbeiten schuf ( davon etwas mehr später). Viel später, auch spät in Bezug auf viele Bilder hier, entstanden die beiden malerischen Hochformate links und rechts. Der Zusammenhang war der Künstlerin noch nicht klar, nämlich hier das Innen-Ich, verpackt in Kästchen, in die man nicht ohne weiteres hineinsehen kann, und dort das von der Aussenwelt geprägte Ich.


Wir können die Zusammengehörigkeit der beiden Hälften an der fiktiv-geographischen Namensverteilung im Vergleich zu den Hauptstädten Europas ablesen, aber auch daran, dass die Meret nun zweigeteilt, links und rechts von der Senkrechten erscheint. Aber Halt, na ja, sie können nun sagen Zufall, aber ich, ich mag den Zufall nur, wenn man ihn mit Bindestrich als Zu-Fall schreibt, wenn er unsere eigenen unbewussten Steuerungen miteinschliesst. Und wer hat Lis Kocher, wer hat die Künstlerinnen, die hier im Bern der späten 60er Jahre die entscheidenden Prägungen erfahren haben, mehr geprägt als eben, Meret Oppenheim, die mit ihrem bewussten Auftreten als Frau und mit ihren sensiblen, Intuition und Intellekt vernetzenden Werken eine wichtige Identifikationsfigur war, auch wenn dies viele erst später, als die Frauenbewegung zur Kraft wurde, realisierten.


Man vergesse nicht, der Durchbruch der künstlerischen Persönlichkeit Meret Oppenheims erfolgte erst in den 70er Jahren. Warum ich, als Nicht-Bernerin oder vielleicht als Bernerin im zweiten Glied, das hier so sage, hat indirekt mit „Princesse de l’imagination“ zu tun. Im Zusammenhang mit einem Text mit dem Titel „Künstlerinnen im Kraftfeld der Berner 68er Jahre“, den ich kürzlich für den Museums-Katalog der Malerin Suzanne Baumann schreiben durfte, habe ich mit einigen dieser Künstlerinnen wichtige Gespräche geführt, unter anderem mit Lis Kocher. Ich habe sie dabei nach ihren weiblichen Prägungen, nach ihren „grossen Schwestern“ gefragt. Und da tauchten bereits einige der Namen, die im Bild notiert sind, auf; Else Lasker-Schüler zum Beispiel, Rosa von Luxemburg, oder, natürlich, Meret,  Niki de St.Phalle usw. Das Bild ist nachher entstanden. Vermutlich – ich habe Lis Kocher nicht dazu befragt – vermutlich hat meine Frage ein Nachdenken ausgelöst und so wie bei mir Nachdenken eben Texte ergibt, malt eine Künstlerin eben ein Bild.


Nun bleibt die Frage, wie denn die Objekte und die Bilder zusammengefunden haben. Durch  Zu-Fall natürlich. Sie gerieten ganz einfach im Atelier in die Nähe voneinander und plötzlich machte es „klick“. Sehen, wahrnehmen, betroffen sein, agieren – eine psychische Reihe, die sich im Schaffen von Lis Kocher immer wieder orten lässt. Anfänglich waren jedoch die Objekte oben und unten bündig eingepasst. Erst hier in der Galerie – vielleicht mit einem Anflug von Selbstbewusstsein, von Freude, hier die neuen Arbeiten zeigen zu dürfen, kam dann die Lust, der Mut, den Kopf zu heben, das altarnahe Moment zuzulassen. Dabei kam dann das Kleiderbügel-Objekt noch dazu, das mit seinem Verweis auf Paul Klee wohl eine mit Meret Oppenheim vergleichbare Grundsubstanz mit hineinbringt, und auch die abgegrenzte Frauen-Phalanx sprengt.


Wenn man so lange über ein einzelnes Werk spricht, vernachlässigt man andere, ich weiss, doch da ist soviel Lis Kocher drin, dass sich eigentlich vieles übertragen lässt, insbesondere die Art und Weise wie sich aussen und innen in allen Bildern von Lis Kocher verschränken. Schauen sie doch wie verschmitzt, phantasievoll und gleichzeitig drängend sich der „Filosof“ – für mich eine Mischung aus Telefon, Küchengerät und Mikrofon und das alles im psychischen Umfeld einer Seereise weit ab vom Puls der Städte – wie Lis Kocher diesen „Filosof“ ins Zentrum einer geographischen Mal-Wetterlage setzt. Oder mit welch surrealem Touch sie die Augen-Brüste – wer sagt denn, dass man auf dem Meer nicht mit den Brüsten schauen kann – Wind und Wetter aussetzt in „Femme meteo“.


Eigentlich schimmert die „Princesse de l’imagination“ überall als Wesensart durch. Das Ich als Filter aller Wahrnehmungen als Zentrum aller Empfindungen habe ich eingangs formuliert. Sehr schön lässt sich ja dieses Moment auch an den Teddies, an den „nousnours im Französischen, ablesen. Auf dem Schiff unterwegs war Lis Kocher daran, in ein Schülerheft mit Linien und einer seitlichen Vertikale als Raster ein Gesicht zu malen, mit Salzwasserfarben. Unverhofft seien die Farben verlaufen und plötzlich habe sie in der neuen Form einen Teddy erkannt – einen Teddy, keinen Bären. Lis Kocher korrigiert, wenn man im Gespräch den falschen Begriff braucht. Nun ist das ja sehr komplex. Lis Kocher wehrt sich gegen Teddy als Spiegel einer Kindheitserinnerung. Und doch, die Substanz ist natürlich gegeben. Ein Teddy ist etwas Liebenswertes, ein Teddy ist – aus der Kindheitsbeziehung – auch etwas Vermenschlichtes, etwas, das für etwas Anderes steht. Und so ist das natürlich auch mit diesen Teddies.

Lis Kocher ist unterwegs durch die Meere, von Ufer zu Ufer, einer unermesslichen Zahl von fremden, anderen Menschen begegnet. Die Rassen ,die Mentalitäten, die Eigenarten waren im Rahmen kurzer Proviant-Stops nicht fassbar. Nur die Ausdrucksweise, das Lächeln, das Schauen, der Ausdruck des Da-Seins haben sich eingeschrieben, weil sie universell sind. Und der Teddy mit seinen wandelbaren Eigenschaften ist für Lis Kocher das Gefäss, das Symbol für dieses Menschliche, das an keine fixierten Körper gebunden ist, das sich im Emotionellen, nicht im Materiellen formt. Und zwar nicht als analytisch-psychische Studie, sondern als zaghafte, als kindliche – und dies in kleeschem Sinn – Annäherung an etwas nicht ganz Fassbares, nicht ganz Formulierbares. Die etwas linkische Malweise vieler Teddies und die fast naive Art der dazugehörenden Seelenbilder, sind bewusster – oder vielleicht besser, im Nachhinein als richtig erkannter Ausdruck dieser Zurückhaltung, dieser liebevollen Scheu, dieser seelischen Annäherung, die niemals entlarven will.


Bilder wie wir sie hier und heute sehen, entstehen nicht aus dem  Nichts. Es sind Bilder einer Frau, die schon manche Facette des Lebens am eigenen Körper erfahren hat, das Leben liebt, und manchmal auch hasst, aber das Schwarze immer wieder vertreibt mit der Kraft der Phantasie, die sich nicht an die Regeln der Ratio, nicht an die Strukturen des Patriarchats, auch nicht an die Gepflogenheiten des Kunstmarktes halten muss. Da wirkt der Geist der 68er Jahre weiter. „Die Phantasie an die Macht“ hiess es damals. Weg mit der Moral, weg mit allem „Müssen“, weg mit allem Tradierten – es lebe die Anarchie. Lis Kocher hat das geliebt damals und auch gelebt. Gleichzeitig hat sie sich aber von Bern nach Biel, dann in den Jura, später wieder nach Biel und nun nach Antibes zurückgezogen. Es gab Zeiten, da wollte sie die Kunst-Welt erobern, aber dann hat sie wieder alles mit schwarzer Farbe überstrichen. Hinaus, hinein; fort und wieder zurück; Power, dann Mutlosigkeit; sonniges Wetter, dann Sturmböen; wüchsiger Regen, dann Trockenheit; bissige Kälte, dann milde Wärme. All das gärt, all das ist der Nährstoff, aus dem diese Bilder und  auch unzählige zuvor gewachsen sind.