Vom Anderen zum Eigenen

Zum Werk von Lukas Salzmann – Text für Katalog

1986: Die Wirtschaft hat eben eine Rezession überwunden. Der Zukunftsglaube ist gerettet, wenn auch überschattet von immer alarmierenderen Berichten aus dem Bereich der Oekologie.

1986: Lukas Salzmann schliesst seine künstlerische Ausbildung an der Schule für Gestaltung in Zürich ab. Was tun? Was sagen? Wie etwas erreichen? Nagelprobe. Für viele Künstler und Künstlerinnen ist der Abschluss ihrer Ausbildung ein Sprung ins kalte Wasser. Manche schieben ihn hinaus indem sie die Studienzeit verlängern, ins Ausland reisen, an die Akademie in Düsseldorf zum Beispiel – da gibt’s eine ganze Kolonie von jungen Schweizer Kunstschaffenden. Lukas Salzmann, von seiner Art her eher ein Einzelgänger, hat den Kampf allein ausgetragen. Zwei Jahre hat er gewütet. Alles ausprobiert, Stellungen, Stile, Haltungen angenommen. Ein Magnetfeld, das grenzüberschreitend gebündelt hätte, wie wenige Jahre zuvor noch die „Wilden“ mit ihren starken Impulsen für eine „Neue Malerei“, gab es nicht mehr. Die sogenannte „Neue Geometrie“ ( „Neo-Geo“) hatte keine analoge Kraft. Sie etablierte sich ( bei uns vor allem in der Romandie) als eine unter mehreren möglichen Positionen. Ueber weite Strecken drehte sich die Kunst um sich selbst. Die Postmoderne war angesagt. Noch standen indes die Zeichen auf Förderung junger Kunst. Die jungen Kunstschaffenden versprachen Zukunft. Das animierte, trug sie, verminderte ihre Angst vor einem Misserfolg, einem Namenlos-Bleiben.

Dennoch: Die Frage, was mit der eigenen Kunst gesagt werden soll, wer das Selbst ist, das in Bildnerisches umzusetzen sich lohnen würde, diese Frage kann jeder Künstler und jede Künstlerin letztlich nur selbst beantworten. Eine Methode, die dem Menschen, der Materie selbst innewohnt, ist Ordnung, Struktur, Wandlung. Vielleicht hat gerade das – auch als Antwort auf das Emotionell-Expressive der „Wilden“ – in die Geometrie getrieben in der Mitte der 80er Jahre. Eine zweite Annährungs-möglichkeit liegt im Erkunden dessen, was man als Kind oder Jugendlicher schon immer gerne gemacht hat, denn sehr oft liegt da Charakteristisches verborgen. In der geschlossenen Werkgruppe von Lukas Salzmann, die Gegenstand dieses Kataloges ist, finden wir beides.

Wider die Bilderflut

Im Gespräch sagte mir Lukas Salzmann, dass er sehr früh damit begonnen habe, sich Kunst anzueignen indem er sie – dem jeweiligen Stand des Könnens entsprechend – kopierte, meist aufgrund von Postkarten. An diese weniger kunsttheoretische als vielmehr persönlich-dialoghafte Auseinandersetzung mag er sich erinnert haben, als er 1988 damit begann, Bilder aus Zeitschriften auszuschneiden, mit Acrylbinder quasi ins Malpapier einzukleben und zu übermalen. Für ihn, so sagt der Künstler, sei dies ein entscheidender Akt wider die omnipräsente Bilderflut gewesen. Statt bereits auf der Primärebene neue Bilder im Sinne eines linearen Fortschreibens der Moderne zu „erfinden“, bemächtigte er sich zunächst des vorhandenen Materials, um seine Position in diesem Bilderdschungel zu formulieren.

Im Kern ist dies eine klassisch-postmoderne Vorgehensweise. Der Künstler stellt sich nicht mehr an die Spitze einer sich stetig weiter windenden Bildspirale, sondern in die Mitte des seit Jahrtausenden, Jahrhunderten, vor allem aber in den letzten 100 Jahren geschaffenden Bildgutes. Da sich die Kunst, vor allem seit den 60er Jahren, aller nur erdenklicher Bildbereiche bemächtigt hat – man denke an die Arte Povera, an die Pop-Art, an Beuys‘ erweiterten Kunstbegriff, an die „art brut“ – steht dem Künstler in den 80er Jahren quasi das Universum zur Verfü-gung, um einen eigenen Standort zu definieren. Da dieser Stand-ort letztlich aufgrund individueller Biographien definiert wird, geht es für die Künstler letzlich darum, dieses uferlose Welt-Bild in sich hineinzunehmen, zu sortieren und, um das eigene Ich angereichert, wieder auszuschütten.

Das Werk von Lukas Salzmann in diesem Katalog ist ein exaktes Spiegelbild des eben Formulierten.In Zeitschriften wie zum Beispiel dem „National Geographic“ findet er dieses Universum in Form von Abbildungen aus weitesten Themenbereichen in guter Reproduktionsqualität. ( Der Einfluss dieses Magazins auf die zeitgenössische Kunst ganz allgemein wäre eine separate Untersuchung wert.) Lukas Salzmann schneidet, von intuitiven Regungen gelenkt, einzelne Bilder oder Teile davon aus, integriert sie in die Mal-Basis – das Papier – und beginnt nun, darauf zu reagieren. Er verfremdet, verändert, übermalt – und zwar mit satter, substanzreicher Oelfarbe – bis ein Bildkörper entsteht, der den Ausgangspunkt in sich trägt, nun aber die Sprache des Künstlers spricht. Der Weg zurück ist nur noch anhand von Spuren möglich, wenn überhaupt. Das Format des Bildes ist im Vergleich mit der Ausgangssituation nur unwesentlich verändert. Einzig die Kanten sind ausgefranst, unregelmässig. Es ist als wäre aus einem grossen Feld nur ein Teil herausgeholt, sichtbar gemacht. Der Künstler bläht nicht auf, er holt quasi heran und bleibt im Kleinformat. Die Analogie zum technischen Bild – zum verkleinerten Welt-Bild, wie es uns in Zeitschriften und TV präsentiert wird, bleibt gewahrt. Nur die Sprache, das Bild ist verändert.

Das Licht vom Mond

In den frühen Beispielen von 1988 fällt das Bemühen um Gestalt auf; das Herausschälen einer oder mehrer Formen. Doch weder die (Welt-)Kugeln noch die ( Tempel-)Säulen sind exakt definiert – sie scheinen vielmehr aus der Farbmasse auf. Dunkel ist sie meist – blau, nicht schwarz – und das Licht, es stammt eher vom Mond als von der Sonne. Etwas Romantisches klingt an. Es sind Gegen-Bilder. Es sind die Versuche eines Künstlers der „aufgeklärten“ Welt eine innere, nicht mit Aussen-Begriffen definierbare Gefühls-Welt entgegenzustellen. Es sind keine „wilden“ Ausbrüche, keine tobenden Emotionen. Es sind ruhige Bilder, Moment-Aufnahmen – analog der Basis-Reproduktionen – „Blicke“ in Bereiche, wo die Augen eigentlich nichts taugen. Paradox. Denn der Künstler muss schauen beim Malen und wir können die Bilder auch nur über die Augen aufnehmen. Aber ich habe mich erwischt dabei, dass ich schaute und dann die Augen schloss als wollte ich das Bild im Inneren des Körpers spüren, prüfen. Beim zweiten Blick entdeckte ich dann

da und dort die Spuren des Bild-Untergrundes – ein tanzendes Mädchen von Degas zum Beispiel, einen Globus, einige Perlen einer Kette. Und wieder war da die Lust, die Augen zu schliessen, das innere Bild zu ergänzen, das Spüren auszuweiten. Trat ich dann zurück, weg vom Bild, verschwanden alle Details, es blieb nur ein faseriges Helldunkel oder auch ein Rotschwarz, das als unregelmässige Form im Rand definierenden, präzisen Passe-Partout ruhte. Fast wie beim Träumen – manchmal meint man sie greifen zu können, die Schlaf-Bilder, und dann sind sie wieder weg, schwirren nur noch als vage Empfindung durch den Kopf.

Wie kommt der Künstler zu diesen, seinen Bildern. Er lässt sich zweifellos vom Basis-Bild inspirieren, auch wenn er sagt, die inhaltliche Ebene der Bilder interessiere ihn weniger als die rein formale Komposition. Wenn auch kaum von einer Bild-Interpretation gesprochen werden kann, so ist es doch die emotionelle Ebene, welche das Bild auslöst, die den Fluss des Malprozesses in Gang setzt. Je nach persönlicher Befindlichkeit drängt dabei mehr oder weniger Eigenes in die sich malend wandelnde Bildform. Die sinnliche Präsenz der weitgehend schweren Farben unterstützt das Ansinnen. Die Motivation für die Bildproduktion liegt zweifellos im psychischen Bereich, im Drang das Ich und die Welt miteinander zu verkoppeln, um der Macht der Welt nicht zu unterliegen.

Das Bekenntnis zur „Geschichte“

Vermutlich beeinflusst vom Geschehen in der Kunstszene, sucht Lukas Salzmann 1988/89 meist nach der grösstmöglichen Form-Reduktion. Als junger Künstler ist auch die Sicherheit, ob der eingeschlagene Weg der Richtige ist, nicht unerschütterlich. Die Lust des Ausprobierens gehört zwingend zu einem Künstler am Beginn seiner Laufbahn. So lässt sich Lukas Salzmann 1989/90 von der Idee fangen, analoge Bilder – aber ohne Collageelemente – auf altes, gebrauchtes Holz, das er in der Nähe seines Ateliers findet, zu malen. Die satten, mehr und mehr zu Monochromie drängenden Farben auf dem hölzernen Grund verfehlen ihre Wirkung nicht. Der Künstler stösst die Idee weiter bis zur zeichenhaften Form, in Rot und Weiss zum Beispiel. Der analytische Läuterungsprozess, den er mit diesen Bild-Farb-Objekten durchläuft, lässt ihn manches erkennen.

Als er 1991 zur Methode des Uebermalens von Reproduktionen zurückkehrt, steht er an einem anderen Ort. Er weiss nun, dass er Bilder malen will, die in unserer Vorstellungswelt weitere Bilder – man könnte auch sagen „Geschichten“ – auslösen. Ist es zu weit hergeholt, wenn man auf die Zürcher Juni-Festwochen von 1991 verweist, die John Cage und James Joyce gewidmet waren? Das rhythmische Entstehen-Lassen von Musik, das Vernetzen von Assoziationsfeldern innerhalb gewisser Ordnungsstrukturen, wie sie charakteristisch sind für den Amerikaner und den Iren spiegeln sich als Struktur in den erneuerten Intentionen von Lukas Salzmann. Die Analogie weiterzutreiben hiesse allerdings, sie überzubewerten.

Auffallend an den jüngeren Bildern von Lukas Salzmann ist der Dialog. Das heisst, der Künstler muss nun nicht mehr übertünchen, nicht mehr verstecken wovon er ausgegangen ist, sondern er spielt damit. Ein Aquarium macht er zum geheimnisvollen Blick in Meerestiefen, mit einem Zirkuspferd erzaubert er poetische Kinderwelten, eine Lagerfeuer-Szene stösst er zurück in die Zeit der Rituale, drei Menschen in einem Boot führt er an die Grenze einer grünen Berglandschaft. Er tut dies alles nicht illustrativ, sondern malerisch und so ist denn nie sicher, ob die eigenen Assoziationen deckungsgleich sind mit jenen des Künstlers. Lukas Salzmann liebt den Schwebezustand, liebt es, Meister der Wandl

ung zu sein. Goethes Zauberlehrling steht im Raum. Das Meer der Möglichkeiten ist unendlich. Sicherheit ist keine zu haben. Aber vielleicht geht es – wie früher schon – darum, in einem ganz persönlichen Akt, die Macht der Bilderflut zu bannen, die Kraft zu beschwören, sie verwandeln zu können; nicht in Gold, aber in ich-geprägten Bilder-Reichtum.

Das Vernetzen

Wann, so habe ich Lukas Salzmann gefragt, wann hörst Du auf beim Malen, wann ist der Prozess des Veränderns abgeschlossen. Der Entschluss, aufzuhören, so der Künstler, erfolge intuitiv, dann wenn das entstandene Bild etwas in ihm auslöse, das nicht mit Worten definierbar sei. Emotionelles spiele ebenso eine Rolle wie rein Optisches. Von was dieser entscheidende Punkt ausgelöst wird, ist nicht fassbar. Als Faktoren sind ebenso frühere, visuelle Erlebnisse wie auch in der unbewussten Vergangenheit Liegendes denkbar. Die möglichen Vernetzungen des bildnerisch Entstandenen mit der „Festplatte“ des Gehirns sind unendlich. Für die künstlerische Qualität ist massgebend, dass die Bildfindung so offen und gleichzeitig in sich geschlossen ist, dass sie für alle mögliche Dialoge beinhaltet.

Wenn in einem schwarz-braun-gelb-weissen fransend und flecken-artig gerundeten Bild von 16 x 14,5 Zentimeter Grösse als Spur der Basis-Reproduktion braune, im einem Moment der Bewegung festhaltene Beine erkennbar werden und sich davon ausgehend das gelbe,mit Pinselstrichen in Vibration gehaltene Mittelband assoziativ in „Baströcke“ verwandelt und das Weissliche vielleicht zum Licht des Tanzes und das Dunkle zur Intensität der Bewegung wird, dann ist da ein Gefäss, das nicht privaten Charakter hat, sondern aufgrund des grossen Bildspeichers in uns allen zu etwas wird, das, viel breiter noch als eben beschrieben, „Geschichte“ wird. Je nach Lichtverhältnissen gibt das Bild mehr oder weniger seines Untergrundes preis; Gesichter tauchen auf und verschwinden wieder, erscheinen als „echt“ und dann wieder als Zufall, als Phantom. Ob der Künstler im vorliegenden Fall tatsächlich von einem afrikanischen Ritual-Tanz ausgegangen ist, also quasi von einem ethnologischen Bild, das verrät er uns nicht. Es gehört selbstverständlich mit zum „Spiel“, dass der Künstler die Betrachter dann und wann aufs Eis führt, die Dinge so stark verwandelt, dass sie fast zwangsläufig „falsche“ Assoziationen auslösen. Wobei dieses „falsch“ wichtig ist, indem es einerseits indirekt auf den sehr labilen „Wahrheitsgehalt“ von Bildern hinweist, andererseits auf die Nähe des Einen und Anderen aufmerksam macht.

Liebe zum Rätselhaften

In den übermalten Collagen von 1990/91 ist das frühere, romantische Element in der Motivwahl zwar teilweise noch da, aber es sind keine emotionellen Gegenbilder mehr, sondern eher Steigerungen,Verstärkungen mit dem Ziel, die Kraft des Lebens aufzuzeigen. In den analogen Collagen von 1991/92 geht Lukas Salzmann noch einen Schritt weiter. In einem kontinuierlichen Prozess erstarkender Selbstsicherheit, der nicht zuletzt durch das Echo, auf das seine Werke in Ausstellungen stossen, gefördert wurde, wird die Scheu des Künstlers gegenüber dem ursprünglichen Bild kleiner. Unter den jüngsten Collagen finden sich zahlreiche Arbeiten, die gezielt und bewusst auf die gewählte Reproduktion hinweisen. Das Spuren suchen wird in gewissem Sinn hinfällig. Einfacher lesbar werden die Bilder dadurch nur bedingt. Denn so wie Lukas Salzmann schon früher mit der Verzerrung von Abbild und Realität gespielt hat, zum Beispiel indem er einen zinnenbewehrten Turm als scheinbar grosse Festung erscheinen liess, so nimmt er nun Ausschnitte aus Reproduktionen, die scheinbar Erkennbares aussagen, im Grunde aber genauso rätselhaft bleiben wie die früheren Arbeiten, nur anders.

Wir sehen nun zum Beispiel eine Gruppe von Menschen, nur mit weissen Hemden und weissen Kopftüchern bekleidet, die mehr oder weniger nach vorne gebeugt etwas betrachten, eventuell sogar greifen. Dem Stil nach könnte ein französisches Kunstwerk des 19. Jahrhunderts dahinter stecken, doch vielleicht ist das eine Täuschung, es könnten auch Menschen sein, die am Strand dem Meer zuschauen wie es mit der Kraft der Gezeiten kommt und geht. Vielleicht – festzuschreiben ist nichts. Lukas Salzmann hat eine so raffinierte Technik entwickelt, dass wir selbst am noch ungerahmten Original äusserst Mühe haben, das Darunter und das Darüber, den Druck und die Malerei auseinanderzuhalten. Von der Technik her erinnern die Blätter an die „Verfremdungen“ von Martin Schwarz aus den 70er Jahren, doch inhaltlich haben die beiden nichts miteinander zu tun. Uebermalen ist ja ganz allgemein eine weitverbreitete Praxis in der zeitgenössischen Kunst – von Arnulf Rainer und Gaspare Otto Melcher bis Suzanne Baumann und Karin Schaub. In der künstlerischen Zielsetzung sind sie jedoch alle nicht vergleichbar.

Bei Lukas Salzmann bleibt die scheinbar grössere Nähe zum Abbildhaften in den neuen Arbeiten schliesslich so vage, so geheimnisvoll wie die deckenden Verwandlungen in den früheren Collage-Uebermalungen. Das Sehen und nicht Verstehen, die Herausforderung zu interpretieren und doch nicht zu wissen wie, ist spannend. Das Ausschnitthafte wird jetzt noch betont durch eine stärkere Gleichsetzung des ausgeschnittenen Papiers mit der Aussenform des Bildes, die nun als definierte, vieleckige Form – vielleicht sogar noch mit sichtbaren Resten des Druck-Umfeldes – im rechteckigen Passe-Partout liegt. Die Beispiele lassen sich erweitern: Da sind drei hell beleuchtete, weidende Schafe in einer dunklen Landschaft. Sind die wollenen Tiere wirklich Schafe? Dieser Schwanz da, gehört der einem Schaf? Es spielt eigentlich keine Rolle. Rechts davon steht eine schwangere Frau – nur der Stoff der sich über den Bauch wölbt und gerade noch im Licht ist, verrät es. Arme und Beine sind keine zu sehen, und der Kopf ist so im Dunkeln, dass unsicher ist, ob er wirklich da ist unter den dunklen Pinselzügen. Die Landschaft in Nahsicht ist in den hellen Winkeln als wiesenartige Fläche in Waldnähe erkennbar. Und im Dunkel – steht da nicht noch ein Kind? Assoziationen stürmen ein: Mensch – Tier- Natur; das Fressen der Tiere und das Schwangersein der Frau – das Existentielle; das Licht und das Dunkel als extreme Gegensätze in realem wie in übertragenem Sinn; das Warme, Weiche, Leuchtende der Wolle mit dem nahtlosen Uebergang zum ungeborenen Kind; von Ferne taucht sogar die Geschichte vom Hirten, der Hirtin, auf dem Felde auf, denn da ist noch so eine Linie, vielleicht der Hirtenstab. Die Reihe liesse sich fortsetzen.

Sinnliche Felder

Die schwierigste Frage, die sich im Ueberblick auf die fünf Jahre übermalte Collagen stellt, ist die nach dem gemeinsamen Nenner aller Bilder. Von den Motiven her ist er nicht zu fassen. Und die Lust des Künstlers, dem Alchemisten gleich Bilder zu verwandeln reicht auch nicht. Da bleibt schliesslich das Emotionelle, die Frage nach dem Ort des Körpers in dieser Welt, in diesem Leben, im Leben als Ganzes, vom Hier bis zurück in mystische Vergangenheit. Und da klingt’s, wenn man die Bilder befragt. Denn als sinnliche Felder kann man sie alle bezeichnen, als winzige Zonen menschlichen Gefühls vis-à-vis der Fülle des Sichtbaren. Und fast immer ist da das Licht, das als Wärme, als Erhellendes eingreift ins Geschehen. Seine Farbe reicht vom luziden Weiss über helles Gelb bis zu warmem Ocker und feurigem Rot. So wäre dann die Aneignung der fremden Bilder immer auch von der Sehnsucht nach Liebe, von der Sehnsucht der eigenen Sinnlichkeit geprägt. Und das Abbild, das sich malend in reiche Geschichten verwandelt, wäre dann immer auch ein Feld, das es mit sinnlicher Kraft zu erobern gilt. Sigmund Freud lässt grüssen. Die Art und Weise wie Lukas Salzmann dieses Begehren äussert, ist indes so offen, so fliessend, so stark übersetzt, dass sich das Individuelle dem Allgemeinen unterordnet und somit nach aussen strahlen kann.

Gegenkraft

Und da plötzlich gibt der Künstler Gegenkraft. Seit einigen Monaten ist die Produktion der Collagen unterbrochen. Im Versteckten entstehen riesige, schwarz/weisse Bergbilder auf Leinwand. Lukas Salzmann hat die ersten sechs Jahre seines Lebens im Wallis verlebt, da, wo links und rechts immer Berge sind. Da liegt sicher eine Triebfeder. Doch warum der Sprung, wohin führt er? Eine Antwort gibt es noch nicht – nicht einmal der Künstler weiss sie. Er gibt sich Zeit – irgendwann wird er sie wissen. Auffallend ist vorläufig, dass der Künstler den Standort des Malers schwebend ansetzt, das heisst er schaut nicht von unten hinauf, sondern misst sich auf gleicher Höhe mit den Licht- und Schattenfeldern der Berge, ihrer Räume und Flächen. Auch der Kontrast vom Kleinen zum Grossen ist markant- will er von den Bildern der inneren Vorstellung zu Räumen vordringen, die scheinbar real zu erklettern sind? Mehr als Fragen gibt es noch nicht. Die Antworten wird ein späterer Katalog geben. Hier geht es um die fünf Jahre, in denen sich Lukas Salzmann primär mit dem Umwandeln von fremden in eigene Bilder befasst hat.

 

 

 

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