www.annelisezwez.ch        Annelise Zwez in Aargauer Tagblatt vom März 1993

Zur Ausstellung von Sabine Schall in der Galerie zum Stadtturm in Aarau

Auf der Suche nach Bild-Intensität

Werke von Sabine Schall – 1956 in Aachen geboren – fielen im Aargau erstmals auf, als 1991/92 Aquarelle der Boswiler Stipendiatin an der Weihnachtsausstellung im Aargauer Kunsthaus zu sehen waren. Etwas unglaublich Direktes strahlte aus den subtilen, auf eine einzige Formandeutung reduzierten Blättern. Dann tauchte der Name der Künstlerin wieder auf – im Rahmen der Ausmarchung um die Eidgenössischen Stipendien, die 1992 in Aarau stattfanden. Was in Gruppenausstellungen schwerlich fassbar ist, wird nun in ihrer Einzelausstellung in der Galerie zum Stadtturm vertieft. Zu sehen sind vier Werkgruppen, die in unterschiedlich enger Beziehung zueinander stehen. Drei Aquarelle mit prägnanten, als Kreis, als Rechteck

Bild: Die Abbildung stammt aus einer späteren Zeit, entspricht aber vom Stil, dem sinnlichen Pinselstrich und der emotionalen Spontaneität meiner Erinnerung an die Ausstellung in Aarau.

fassbaren Einzelformen schlagen die Brücke zurück zu etwas älteren Arbeiten. Ein Achterblock mit neuen Ei-Tempera-Blättern, deren Formen- und Farbensprache komplexer geworden ist, bildet das Zentrum der – räumlichkeitsbedingt – kleinen Ausstellung. Von dieser durch die Kraft des Ei-Tempera satt wirkenden Gruppe gibt es eine direkte Linie zu zwei grossformatigen Arbeiten auf Papier, die einerseits Vereinzelungen der kleineren sind, andererseits aber auch einen andere Bewusstheit ausdrücken. Schliesslich weisen zwei Farbfotografien von Raum-Zeichen, welche die Künstlerin mit Pigmenten in den trocken-sandigen Boden einer alten Fabrikhalle gestreut hat, auf ein weitgefächertes künstlerisches Tun. Der Faktor Materialität – im doppelten Sinn, das heisst bezogen auf den rauhen Boden wie auf das Distanzmedium Fotografie – wirkt dabei bestimmend.

Im Kern geht es bei allen Arbeiten von Sabine Schall um Bild-Intensität. Das mag bereits ein etwas abgedroschener Begriff sein, hier ist er aber trotzdem der beste. Als Vergleich sei an die Ausstellung „Höhe x Breite x Farbe“ im Aargauer Kunsthaus ( 1990 ) erinnert. Sabine Schall sucht nach Bildern, die eine fühlbare, aber in Wortsprache nicht formulierbare Befindlichkeit so ausdrucken, dass sie als Energieverdichtung wahrnehmbar ist. Das Medium dazu sind Farbüberlagerungen, Formschichten, Pinselbewegungen, Farbmengen und -beschaffenheit, Positionen innerhalb der Fläche usw. Es geht darum, mit malerischen Mitteln eine Beziehung zwischen dem „Ich“ und dem Bild so zu verdichten, dass sie als Intensität spürbar wird, ohne indes fassbare Aussage zu werden.

Die Gretchen-Frage ist letztlich diejenige, ob eine Künstlerin genügend innere Substanz besitzt, ob wirklich ein existentielles Anliegen nach Ausdruck drängt. Sabine Schall versucht, ihr Leben ganz bewusst auf eine natürliche Grundlage abzustützen. Sie ernährt sich zum Beispiel ausschliesslich makrobiotisch ( das heisst ohne Fleisch, Eier und Milchprodukte) und gibt auch entsprechende Kurse. Das könnte ihre Privatangelegenheit sein. Aber es spiegelt sich darin das Anliegen der Künstlerin, ihren Körper als Teil der eigenen Weltsicht in Denken und Handeln einzubeziehen. Und weil dieser Körper das Gefäss ist, in welchem diese Gefühle sitzen, die nach Bild-Ausdruck drängen, ist in dieser Lebenshaltung eben auch das Füllhorn ihres Kunstschaffens enthalten; eines Kunstschaffens, das qualitativ weit über manch „Bestbekannt-Banalem“ steht.

Indem Sabine Schall Einzelblätter zu Gruppen montiert, verstärkt sie deren Wirkung. Und zwar anders als in den Grossformaten, die losgelöst von der quasi privaten Kommunikation zwischen „Ich“ und Bild Felder aufschliessen, in den auch für die Betrachtenden Raum gegeben ist, in die Bildempfindung der Künstlerin einzutreten.