Dem Sein im Körper Sprache geben (Kat. „hauttief“ 1994)

Zum Thema des Körperbewusstseins in der Kunst des 20. Jh.

www.annelisezwez.ch     Erschienen im Katalog „hauttief“, Ausstellung im Helmhaus in Zürich, 1994

 

Das Hinterfragen der Individualität, das Erforschen der Regungen des Körpers sind eines der grossen Themen des 20. Jahrhunderts. Es ist naheliegend, dass die frühesten am Selbst Mass nehmenden Darstellungen die sichtbare Körperform als Motiv wählen. Die ersten innere Befindlichkeit zum Ausdruck bringenden Selbstakte sind vermutlich jene von Paula Modersohn-Becker ( 1876 – 1907) aus dem Jahre 1906. Sie entstehen, analog zum 1907 gemalten „Selbstbildnis als Akt in ganzer Figur“ von Richard Gerstl (1883 – 1908), in einer Zeit der Trennung und der Krise.

 

Am Beispiel von Paula Modersohns ganz in Brauntönen gehaltenem Selbstakt mit Kind lässt sich der für das Thema zentrale Unterschied zwischen emotionsgetragenem Eigenbild und fremdem Abbild erkennen. Hin- und hergerissen zwischen Emanzipation und Kinderwunsch vermag die Künstlerin dem nackten Selbst eine fühlbare Intensität von Trauer und Gespanntheit einzuschreiben; das Kind auf ihrem Schoss im Vergleich puppenhaft. Während Modersohn indes trotz des Horchens auf die Impulse der körperlichen Spannungen in sich ruht, zeigt Richard Gerstls Akt von 1907 eine schonungslose Nacktheit, die vor Zerstörung nicht zurückschreckt, obwohl der Künstler intensiv bei sich selbst zu sein scheint.

 

Wo das ausgesetzte Körperbild malerischer Ausdruck einer gezielten Umsetzung in sich erkannter Bewusstheit ist und wo der Körper als theatralischer Träger einer Botschaft eingesetzt wird, ist zur Zeit des Expressionismus nicht immer – und letztlich wohl nur subjektiv, das heisst wiederum am Eigenen messend – zu beurteilen. Zweifellos wäre es verfehlt, alle Selbstakte aus dieser Zeit als „hauttiefe“ Aeusserungen erkannten Körperbewusstseins zu interpretieren. Die expressive Dramatik eines Egon Schiele und auch jene einer Käthe Kollwitz stehen deutlich in Gegensatz zu Richard Gerstl und erst recht zu der nordische Schwere und französische Peinture verbindenden Malerei von Paula Modersohn.

 

In der Schweizer Kunst der Zeit findet man indes Gleichgerichtetes: zum Beispiel in der dreifigurigen Gouache „Les Baigneuses“ von Alice Bailly ( 1922), in der lebensgrossen  Bronze „Frau 1928“ von Alice Guggenheim und – etwas literarischer – im Oelbild „Sitzende Frau mit Katzen“ von Helen Dahm (1915). Solcherart von Innen an die Ränder der Haut stossende Befindlichkeit ist nicht zwingend an den Selbstakt gebunden, sie kann sich auch in einer annektierten, fiktiven Figur oder in einem Modell ausdrücken, nicht aber in einem namentlich benannten Bildnis. Mit Ausnahme von Randsituationen ist Körperbewusstsein allerdings immer gleichgeschlechtlich.

 

Die bisherigen Beispiele sind, mit Ausnahme von Gerstl, sind alle weiblich. Männliche Selbstakte, die den Körper nicht als heroische Zeichen von Männlichkeit, sondern als ganzheitliche Gefässe menschlicher Existenz zeigen, gibt es in dieser Zeit ( und auch später) kaum.(1) Zu erwähnen sind aber Hermann Scherers Holzskulpturen „Mann und Weib“ von 1924 sowie das „Liebespaar“ aus dem selben Jahr, auch wenn der Künstler seine körperliche Befindlichkeit in beiden Skulpturen auf das Weibliche projiziert und sich selbst seltsam unbeteiligt darstellt. Das im Ausdruck enthaltene Wissen und die Trauer ob dieser Trennung weist indes auf das Bewusstsein ihrer Tragik; eine Struktur, die eng mit dem Patriarchat verbunden ist und erst heute von jungen Künstlern gesprengt wird.

 

Körperbewusstsein wie es in diesem Text formuliert werden soll, ist geprägt von Introspektion. Sein Mass ist das Selbst. Seine Aeusserung ist (fast immer) leise, wortlos. Der das Aussen beobachtende Blick – ein zentrales Instrument der Kunst – hat für einmal eine zweitrangige Funktion. Es ist nicht Zufall, dass Paula Modersohn ebenso wie Alice Bailly in den  genannten Bildern die Augen geschlossen halten oder – bei Helen Dahm und späten Zeichnungen von Richard Gerstl – mit offenen Augen nichts sehen (wollen).

 

Der am  ganzen Leib erfahrbare Tastsinn, der seine Regungen durch den Körper zum Hirn schicken muss, um Bewusstsein auszulösen, ist hier bedeutungsvoller – und zwar auf drei Ebenen: Der realen im Sinne von Berührungen mit Materie und Wahrnehmen von Eigenschaften; der vorstellungsmässigen durch Integration von Visuellem und den damit verbundenen Erinnerungen in den eigenen Körper. Tasten ist aber nicht nur Erforschen von Aeusserem, sondern ebenso Erfassen von Innerem. Den eigenen Körper oder Teile davon spüren – in sie hineinatmen –  heisst, sich auf die Ränder konzentrieren, die Impulse abtasten und fühlend erkennen.

 

Die drei Tast-Formen sind auf je eigene Art mit der Körperwand, vielleicht auch nur jener eines Organs, der Haut, verbunden und überdies sind sie strukturell miteinander vernetzt, da sie alle an die neurologische Umsetzung durch das Hirn gebunden sind. Ihre Summe ist möglicherweise das, was wir als Bewusstsein unseres eigenen Körpers zu erfahren vermögen, auch wenn damit über den Charakter der Wahrnehmung noch nichts ausgesagt ist.

 

Die in den letzten Jahren – meist mit Blick auf den Neo-Expressionismus – immer wieder und meist pejorativ formulierte „Trennung“ von Kopf und Körper ist, so betrachtet, falsch. Richtig ist einzig der Vorwurf einer zu wenig reflektierten Kommunikation zwischen Kopf und Körper, denn das exakte Bestimmen der eigenen Befindlichkeit ist ein hochpräziser Vorgang und als solcher von grundlegender erkenntnistheoretischer Bedeutung.

 

Es gibt Thesen, die behaupten, der Körper nehme sich selbst nur im Schmerz wahr. Das stimmt, so formuliert, wohl nicht. Zweifelsfrei ist der Schmerz aber die deutlichste Form der Körperwahrnehmung – sie ist gleichzeitig aber auch eine passive, während das bewusste seismographische Wahrnehmen von Körperregungen aktiv ist. Letztere Form steht hier im Vordergrund, doch weil die Grenzen  fliessend sind, erweitern Ueberlegungen zum „Körper im Schmerz“ das Denkfeld. Elaine Scarry schreibt dazu im gleichnamigen Buch:…“der Schmerz ist wohl auch deshalb so widerwärtig, weil er zwischen der eigenen Realitätswahrnehmung und der Realität der anderen eine unüberwindbare Mauer errichtet….

 

Für einen Menschen, der Schmerzen hat, ist der Schmerz fraglos und unbestreitbar gegenwärtig, so dass man sagen kann, „Schmerzen zu haben“ sei das plausibelste Indiz dafür, was es heisst, „Gewissheit“ zu haben. Für den anderen indes ist dieselbe Erfahrung so schwer fassbar, dass „von Schmerzen hören“ als Paradebeispiel für Zweifeln gelten kann. So präsentiert der Schmerz sich uns als etwas Nichtkommunizierbares, das einerseits nicht zu leugnen, andererseits nicht zu beweisen ist.“

 

Als Ausweg aus dem Dilemma der Nichtkommunizierbarkeit im Bereich des Köperbewusstseins nennt Scarry die Kraft der Vorstellung, die sich Objekte – „Agenten“ – schafft, um letztlich doch Sprache zu erreichen. Diese Objekte oder Agenten können Gegenstand künstlerischen Ausdrucks sein. Ob sie bei der Körperform bleiben oder sich – entlang der künstlerischen Entwicklung – auflösen, umwandeln, neue Form annehmen, ist dabei von der Struktur her unwesentlich. Entscheidend ist, ob die Intensität so stark ist, dass das, was an der Basis Eigenbewusstsein ist, über die Vorstellung der Kunstbetrachtenden in die künstlerische Rezeption überzuspringen vermag.

 

Diese Beobachtungen finden in der Kunst des 20. Jahrhunderts reich und kontinuierlich Widerhall. Die wohl intensivste und unmittelbarste  Umsetzung des eben Formulierten findet sich in den „Introspektiven Erlebnissen“(2), welche die Oesterreicherin Maria Lassnig schon ab 1949(3) bildnerisch zu gestalten beginnt und in den 60er Jahren in Paris zu Malerei ausweitet, die in ihrer Zeit einzig ist. Da beschränkt sich Maria Lassnig zum Beispiel darauf, den sitzenden Körper von hinten nur über die Umrisslinien einzukreisen.

 

Der Pinsel sucht dabei nicht die schöne Gestalt, sondern die Wahrnehmungslinie, die nicht identisch ist mit der effektiven Körperform, sondern einem vorstellungsmässigen Tasten entlang dem eigenen Körper entspricht. Die Künstlerin wählt die Rückensicht, wohl deshalb weil der Mensch seinen eigenen Rücken selbst nicht sehen, das heisst, als Körperteil nur wahrnehmen kann. Die Unterlage, auf der die Künstlerin im Bild sitzt, ist nicht dargestellt, aber die Berührung des Gesässes mit der geraden Linie, das heisst mit dem Gegendruck, ist wahrnehmungsmässig so präzis gezogen, dass sich das Spüren unmittelbar auf die Bildbetrachtenden überträgt. Entscheidend dafür ist die ausschliessliche Konzentration der Künstlerin auf den Malakt ohne jegliche Reverenz an irgendeine Theatralik.

 

Wichtig sind indes nicht nur diese Körperbewusstsein unmittelbar darstellenden Werke, sondern, dass Maria Lassnig die darin entwickelte spezifische Körper-Sensibilität in all ihre späteren, in der Regel thematisch klar definierten – oft auch politischen – Bilder zu integrieren vermag. Das heisst: Körperbewusstsein ist nicht zwingend an seine eigene Thematik gebunden, sondern eine Sprache, mit der sich Verschiedenstes – unabhängig vom gewähltem Medium – ausdrücken lässt.

 

Interessant ist  auch die Abgrenzung der Werke von Maria Lassnig gegenüber der zeitgleichen österreichischen Körperkunst eines Arnulf Rainer und vor allem auch der Wiener Aktionisten. Rainer  versucht unter anderem über fotografische, meist auf das Gesicht beschränkte Einzelposen, neue Menschen in sich zu entdecken. Der technische Blick von aussen auf das Fragment Gesicht verhindert dabei aber die eigentliche, körperliche Introspektion.

 

Nitsch, Brus, Mühl, Schwarzkogler u.a. zielen mit ihren letzte Tabus sprengenden Aktionen  bewusst auf körperliche Grenzerfahrungen, ohne dabei jedoch das im Leib Erlebte selbst als Erkenntnis zu thematisieren. Ihr Tun bleibt darum Theater. In spannenderem Kontext zu Maria Lassnigs „Body-Awareness-Zeichnungen“ steht die expressive Malerei von Francis Bacon. Wenn es dem Iren auch von Anfang an sehr viel stärker darum ging, emotionellen Schmerz in körperliche Darstellungen einzubringen, so ist doch die malerische Präsenz der in den Raum ausgesetzten Figuren von so starker körperlicher Intensität, dass das Physische und das Psychische als Ganzheit wahrgenommen werden kann.

 

Der Unterschied zwischen Lassnig und Bacon ruht indes nicht nur in der hier formulierten Definition von Körperbewusstsein als wortlosem Zustand ohne theatralische Botschaft, sondern auch in der vorgefundenen Grundhaltung gegenüber dem je eigenen Körper. Maria Lassnig – und mit ihr sehr viele Künstlerinnen – gehen von einem als Refugium erlebten Körpergefühl aus, während Francis Bacon  – und mit ihm viele der wenigen Künstler, die sich bisher mit dem Thema befasst haben – den männlichen Körper aus einer a priori feindlichen Beziehung heraus einbringt.

 

Maria Lassnig hat dazu einmal geschrieben: “ Selbstdarstellung…ist nicht Narzissmus…,sie ist vielmehr Einsamkeit des Kritischen, Unvermögen der Ausbeutung eines anderen, Meditation und Aussetzen eines wissenschaftlichen Skalpells an einem willigen Selbst. Frauen sind der Zurückgezogenheit in sich selbst besonders ausgeliefert; noch sind sie es, so wurde es ihre Stärke.“(4) Ergänzt man dazu Elaine Scarry, die sinngemäss sagt, Körperbewusstsein sei nichtsprachliche Gewissheit und in Zeiten grosser Orientierungslosigkeit ein Faktor des Rückzugs, aber auch der Neuorientierung, so ergibt sich ein Bild, das – zumindest in Aspekten – zeigt, warum sich gerade Künstlerinnen immer wieder von dieser Thematik anzogen fühlen und warum sie gerade heute brennend aktuell ist. Allerdings gilt dabei gleichzeitig der Satz von Cindy Sherman: „Wer die Wahrheit im Körper sucht, wird Narben verursachen“.

 

An der Oberfläche der Kunstszene ist die Entwicklung indes nicht linear. Ab den späten 60er Jahren bis hinein in die 80er Jahre finden die am stärksten beachteten Künstlerinnen selten die Zeit, in ihr Selbst zu horchen. Es ist die Zeit des Aufbruchs, vielleicht gar der Revolution. Erstmals grenzt sich das Weibliche aus einer Position der Selbstbehauptung gegenüber dem Männlichen ab. Verfolgt man zum Beispiel die Videos und Performances von Ulrike Rosenbach, die vielleicht erste bewusst feministische Künstlerin, so zeigt sich darin, dass es ihr primär um die Darstellung des Kollektivs „Frau“ geht und nicht um ihrer persönliche Identität, wenn auch die eigene Biographie, der eigene Körper die Triebfeder der künstlerischen Produktion ist. Wenn sich die Künstlerin während 60 Minuten in ein Video-Kabel einwickelt und sich wieder davon befreit und derweilen mit der Video-Kamera in der Hand eine Vielzahl von Frauenbildnissen aus verschiedenen Epochen und Kulturen anpeilt und auf den Monitor überträgt, so ist ihr Tenor das Frau-Sein innerhalb einer vergessenen und verdrängten Geschichte und erst daraus folgernd ein Ich-Sein: „Meine Verwandlung ist meine Befreiung“ (U.R.).

 

Aehnlich fraubestimmt, aber doch näher am Ich-Körper, arbeitet Valerie Export, die in ihrem „Tapp- und Tastkino“ (1968) den Männern ihre Brust zum Betasten anbietet. Dass die weibliche Brust, rein von der Nervenzahl her, ausgerechnet einer der am wenigsten selbst-wahrnehmbaren Körperteile ist, zeigt die Ambivalenz der Aktion zwischen Provokation und Körperbewusst-sein. Indes gelingen Valerie Export mit ihren „Körperfigurationen“ ( ab 73) – der Körper als Dreieck, als Linie, als Kreis zwischen Natur und Architektur –  eindrucksvolle „Externalisierungen innerer Zustände“ ( V.E.) Miriam Cahn hingegen, die anfangs der 80er Jahre sagt: „Mein Frausein ist mein öffentlicher Teil“ und Zuordnungen zum Weiblichen respektive Männlichen vornimmt, setzt die Grenzen nicht als „Ich“, sondern als  weibliches Kollektiv , wenn auch hier das eigene Erleben der Massstab ist.

 

Entwicklung schiebt sich in Parallelen unterschiedlicher Beachtung voran. So führt die Linie von Maria Lassnig in die Gegenwart eher durch den Untergrund. Betrachtet man die grossformatigen, dunklen Graphit-Zeichnungen unterirdischer Architekturen, die Marianne Kuhn in dieser Zeit auf dem Papier kniend um sich herum geschaffen hat, so kann das durchaus wörtlich genommen werden. Die 70er und 80er Jahre sind für die Künstlerinnen eine äusserst schmerzhafte Epoche der Bewusstseins-Bildung. Heidi Buchers „Häutungen“, Erika Pedrettis Flugobjekte stehen als signifikante Beispiele unter vielen.  Dass sich unter den „Neuen Wilden“, die gleichzeitig ihre „wilden Triebe“ mit Farbe und Gestik auf die Leinwand schleudern – zweifelsohne eine Reaktion auf den Aufbruch der Frauen – kaum Künstlerinnen befinden, wird dadurch erklärlich.

 

Erst in den späten 80er Jahren und meist bei jüngeren Künstlerinnen wird jener Grad erreicht, den Pipilotti Rist meint, wenn sie sagt: „Frausein ist das Normale“. Erst in dieser Zeit gelingt es den Künstlerinnen, das latente Gefühl des Getretenwerdens, des Minderwertigen, des Opferseins, zumindest in ihrem  Willensbewusstsein, abzustreifen und aus einer Position des Selbstverständnisses heraus zu arbeiten. Während jedoch die weibliche Methode mehrheitlich Rückzug und Besinnung zur Neuorientierung einsetzt – selbst wenn dies nach aussen als Provokation verstanden wird – geht der erst in den letzten Jahren einsetzende  analoge Wandel bei den Künstlern selten über Introspektion ( etwa bei Thomas Kratky oder Oliver Krähenbühl), sondern meist über Dekonstruktion (  z.B. bei Josef Felix Müller, Balz Klöti, Anselm Stalder, Hans Thomann und Arnold Helbling).

 

Bezogen auf das aktuelle Schaffen von Schweizer Künstlerinnen in diesem Themenkreis kann primär eine Erweiterung der Metasprache beobachtet werden. Das, was Elaine Scarry  als „Agenten“ bezeichnet, als aus der Vorstellung wachsende Objektivierungen wider die Sprachlosigkeit des Körperbewusstseins, wird ausgefächert. Das heisst, das Körperbild oder Teile davon sind nicht mehr die einzige Möglichkeit, Befindlichkeiten des Seins auszudrücken. Die bekannte Struktur, dass Künstlerinnen Materialien oft anders einsetzen als ihre männlichen Kollegen, nämlich unmittelbarer und autonomer, wird hier relevant.

 

Während Künstler, die sich mit Körperlichkeit auseinandersetzen,  die Sprachlosigkeit eventuell durch Sprache aufheben ( z.B. Gary Hill), verbleiben manche Künstlerinnen im Gleichgerichteten. Das heisst, sie antworten auf ihr erspürtes Körperbewusstsein, das ja primär ein Zustand ist, mit dem Einsatz von Materialien, welche in ihrer Vorstellung diesen Zustand spiegeln. Dabei entfällt der Umweg über begriffliche Definitionen. Die nichtsprachliche Materialebene kann in diesem Fall die Präzisere sein, da die erforderlichen Wahrnehmungsstrukturen über den Tast-Sinn ,wie er eingangs beschrieben wurde, analog sind. Ein gutes Beispiel hiefür sind im Kontext dieses Kataloges die Arbeiten von Cécile Huber, die fast ausschliesslich über ertastete und erinnerte Materialbeschaffenheiten zu Form und Inhalt ihrer Installationen gelangt, wobei über das Erinnern zur physischen Objektivierung immer auch die Psychische hinzutritt.

 

Ein anderes  Beispiel sind die Werke von Annemarie Ciàs, die aus Landkarten fragile Körper formt, die in ihrer sensiblen und verletztlichen Hautstruktur die Befindlichkeit ihrer selbst tragen. Diese Analogien dürfen niemals unkritisch als harmonische Strukturen bezeichnet werden. Oft sind es gerade die Widersprüchlichkeiten, die der inneren Spannung Ausdruck geben. Als Beispiel die Arbeiten von Elisabeth Nembrini: Das Weiche, Warme, Tierische ihrer aus verfilztem Haar geformten, schlaffen Organstrukturen werden in der Unvereinbarkeit der Lust, die Dinge an sich zu drücken und dem Schauder ob dem Materialwechsel vom Fleisch zum Fell, von Innen zum Aussen, vom Leben und zum Tod zu einem körperlichen Stress-Erlebnis.

 

Vergleichbar, aber extremer noch, ist das Moment des Kippens bei der Arbeit von Gabriella Gerosa. Sie nimmt das Herz – Inbegriff der Wahrnehmung des eigenen Lebens – und externalisiert es als Objekt in Formalin. Dann stellt sie die Einmach-Gläser mit den Tier-Herzen aus dem Basler Schlachthof so neben- und übereinander, dass sie ein Art Amphitheater bilden. Gespielt wird das Stück vom Leben und vom Tod. Doch nicht nur der Tod ist da, auch das Töten, unser tägliches Tötenlassen. Wiederum ist das Tier Sinnbild des Eigenen und des Eigenen im Anderen. Es spielt in der Kunst allgemein, und bei Künstlerinnen ganz speziell, eine wichtige Rolle.(5) Das Verhältnis zu untersuchen wäre in sich eine Ausstellung wert.

 

Basis dieser Mensch-Tier Beziehungen ist, analog zum Einsatz von Materialien als Ausdruck von körperlichem Bewusstsein, Scarrys „Agentenschaft“, das heisst, das Tier, dessen Sprache wir nicht verstehen, kann – zumindest in der menschlichen Vorstellung – einen Zustand ausdrücken, der über Sprache nicht verständlich gemacht werden kann. Als weiteres Beispiel sei in diesem Zusammenhang auf die behutsam aufge-zeichneten Tierskelette – oder auch nur Andeutungen dazu –  von Marianne Flury hingewiesen, die damit Bilder für Verletzlich-keiten, für Schmerzen auch, schafft, seien diese nun körperlicher oder emotioneller Art (falls die beiden Ebenen überhaupt zu trennen sind).

 

Das Bedürfnis, dem Pochen, dem Brennen, dem Stechen, dem Blitzen, dem Spannen, der Hitze, der Schlaffheit, dem Vibrieren, dem Aufbäumen, dem Kreisen, dem Glühen, dem Lasten, der Schwere … aber auch der Schwerelosigkeit, der Weichheit, der Stille, der Ruhe, der Leere, der Härte, der Müdigkeit ….im Körper Ausdruck zu geben ist so gross wie die Kraft der Vorstellung, es zu externalisieren. Der Körper selbst bietet den Kunstschaffen-den nach wie vor viele Möglichkeiten, das Unbenennbare im Innern zu entäussern. Die körperbetonte Performance, in der die Bewegung und die Form den Ausdruck tragen, ist eine Möglichkeit ( Monica Klingler).

 

Eindrückliche Beispiele finden sich aber auch in der Malerei, der Skulptur, dem Video oder der Fotografie. Treffend ist in diesem Zusammenhang Silvia Bächlis Formulierung, wenn sie in Bezug auf eine Zeichnung, die einen mit einem Jupe bekleideten Körper von Taille bis zum Knie zeigt, sagt: „Ich versuchte, mich malend so zu zeigen wie ich mich im Spiegel empfinde“. Verändert man das Zitat dahingehend, dass es heisst: „Ich versuche meine Hände so zu zeigen, wie ich sie spüre“, so könnte das die Arbeit charakterisieren, welche Dorothee Sauter zeigt. Denn die in einem Gussverfahren geformten Hände entsprechen den Hohlräumen, welche die Finger und die Handballen der Künstlerin beim Eingraben in Ton zurückgelassen haben.

 

Nicht immer ist die äussere Form sichtbar. Bei vielen Zeichnungen von Ilona Ruegg hat man den Eindruck, sie zeigten nur die im Innern gefundenen Energien, seien sie zu Knäuel verdichtet, eingeschnürt oder heftig in Bewegung. Der Körper ist, wenn überhaupt, nur als verfremdetes Skelettgerüst erkennbar. Das Verfremden ist ein vielbegangener Weg, um das Aeussere anders als in seiner Aeusserlichkeit zu zeigen.

 

Eine neuere Möglichkeit dazu bietet die Video-Technik. Pipilotti Rist und auch Muda Mathis arbeiten damit. Das Ausgangsmaterial ist, dem Medium entsprechend, abbildend, doch die Arbeit am Computer, das Vergrösseren, das Schneiden, das Drehen, das Hin und Her, die Geschwindigkeit zielen darauf, die Ebenen zu verschieben, Raum und Zeit, dem Traum gleich, aus den Angeln zu heben, direkt mit den Impulsen des Körpers zu vernetzen. Ist dabei der Körper selbst das Thema der Arbeit, so kann es gelingen, das in sich und ausser sich sein, so zu verstricken, dass nurmehr der bewegte Zustand zählt, während die Sprache die Essenz längst nicht mehr zu greifen mag.

 

Die Essenz war immer schon ein wichtiges Wort – man denke nur an die „quinta essentia“ der Alchemisten, jener Stoff, der durch Erhitzen und Vermischen mit den bekannten Elementen Gold schaffen würde. Gewiss nicht in einem materiellen, wohl aber im Sinn eines Erkenntnisprozesses, der über die eigene Befindlichkeit letztlich das eigene Sein zu ergründen sucht, ist Körperbewusstsein „Quinta Essentia“. Mili Jäggi benennt ihre Malerei als Suche nach dieser Essenz – eine Suche, die im Skeptizismus der alten Griechen wurzelt, damals als das Wort noch besagte, dass der Mensch sein eigenes Rätsel nie werde lösen können. Die Suche danach ist indes so alt wie die Menschheit.

 

Mili Jäggi bleibt in ihrer Suche beim Körper – nur ganz delikat tragen ihre Papiere Körperform, aber ganz klar sind sie ein gespiegeltes Vis-à-Vis, das unten in der Mitte der Wadenbeine ( die untersten 35 Zentimeter des Körpers, so sagt die Künstlerin, seien zu stark mit dem Boden verhaftet) und oben knapp über dem Kopf endet. Das Malen ist dabei ein Dialog der Befindlichkeit des Körpers mit Farbe respektive Licht. In den Schichten, in den Klängen sind die Vibrationen der Moment-Bruchteile des Erkennens eingelagert.

 

Irgendwie erinnern die Arbeiten von Mili Jäggi an jene von Agnes Martin und – so fern und nicht fern das klingen mag – an die neuen Werken von Leiko Ikemura. Die Körperform ist in ihren plastischen Keramik-Arbeiten wesentlichen ausgeprägter, doch auch hier wird der Körper als Ganzheit zum Ausdrucksträger – es wird nicht unterschieden zwischen Kopf und Körper – alles ist „Gesicht“.(6) Zur Farbe als Licht-Ausdruck der inneren Befindlichkeit kommen bei Ikemura der innen-körper-bewusste Einsatz von Form und Struktur des Tons, sodass unvermittelt ein assoziativer Dialog mit den „Body-Awareness-Zeichnungen“ von Maria Lassnig entsteht.

 

Körperbewusstsein zum Ausdruck zu bringen ist – wie hier gezeigt – in den verschiedensten Medien möglich. Die Fotografie ist hierbei vielleicht die schwierigste Position, da es ihr Gebundensein an den Aussen-Blick erschwert, das „Eingebettete auszusetzen“ (7). Hannah Villiger ist dies über ihre Fotografie als skulpturales Medium betrachtenden Körper-Inszenierungen ein Stück weit gelungen. Katrin Freisager geht einen Schritt weiter, indem sie den Eigen-Körper nicht in den Vordergrund stellt, sondern gleichsetzt mit den zugeordneten, Befindlichkeit ausdrückenden Objekten über und unter ihm, das fotografierte  Körperbild wird so quasi in seine externalisierten Zustände integriert. Dass selbst ein konzeptueller Ansatz das Thema zu greifen vermag, zeigt die Arbeit von Marie Sacconi: Das Buch dient ihr als Metapher für den Körper. Indem sie seine Seiten zu langen Zöpfen flicht, befreit sie es aus der Bedingtheit von Papier und gedruckter Sprache.

 

                                                                                              Annelise Zwez

 

Ich danke Sabine Gebhard, Marie-Louise Lienhard, Brigitta Malche, Regine Mätzler und Irene Tanner für die reichen Gespräche im Vorfeld von Ausstellung und Katalogkonzept. Ohne sie hätte dieser Text nicht entstehen können.

 

(1) Angemerkt seien zum Beispiel die beiden Selbstakte darstellenden Farbstiftzeichnungen von Sigismund Rhigini aus dem Jahre 1933 resp.1936.

(2) vgl. Brief von Maria Lassnig an Marie-Louise Lienhard, Feb. 94.

(3) Bezeichnenderweise sind es Maria Lassnig, Arnulf Rainer und andere, die in dieser Zeit die Bedeutung der bis 1931 verschollenen Werke von Richard Gerstl erkennen.

(4) Aus: „Maria Lassnig“, Zeichnungen, Albertina Wien 1977.

(5) Als Beispiele seien Werke von Esther Altorfer, Suzanne Baumann, Annette Barcelo, Stephanie Grob, Adelheid Hanselmann, Annemarie Klingler, Meret Oppenheim und Klaudia Schifferle genannt.

(6) vgl. Katalog „Gesichte“, Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen, 1993.

(7) vgl. Titel des Werkes von Maria Lassnig in diesem Katalog.