Eva Ducret Françoise Samuel Brugg 1996

Vernissage-Ansprache Zimmermannshaus 1. Juni

 

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Sehr geehrte Damen und Herren

liebe Eva Ducret, liebe Françoise Samuel

 

Wollte man die bildnerischen Ausdrucksformen der beiden Künstlerinnen, die Marlies del Buono für diese Ausstellung eingeladen hat, von ihrer visuellen Erscheinungsform miteinander vergleichen, wäre das wohl an den Haaren herbeigezogen.

Wir begegnen hier zwei Positionen, die kunstgeschichtlich an ganz verschiedenen Orten anknüpfen.

Sucht man von den Bildern Françoise Samuels ausgehend die Kraftpunkte im Feld der Kunst des 20. Jahrhunderts, so kommen Stichworte wie Picasso – schauen Sie sich die üppigen Figuren an und denken Sie an Picassos postkubistische Phase – dann die Stil­richtung der Sachlichkeit, dort wo sie sich malerisch gibt  – nehmen sie den Tulpen­strauss aus Françoise Samuels Bild auf der Einladungskarte und stellen sie ihn, in etwas veränderter Peinture in ein Bild von Valloton – und dann bedenken sie die Pop-Art, die ganz neue Bezüge zu Formklarheit und Alltag geschaffen hat.

Und vergessen Sie schliesslich nicht, dass Symbolik – evoziert durch Gegenstände, aber zum Beispiel auch Lichtführung und Farbrapports, wichtige Momente in der Malerei von Françoise Samuel, dass Symbolik zur Kunst gehört, seit sie sich formuliert. Bezogen auf die aktu­elle Kunst ist Françoise Samuels Bildwelt hingegen ein eigenartig erratischer Block.


Springen wir dann – irgendwie braucht’s einen Sprung – zu den Arbeiten von Eva Ducret und suchen da die künstlerischen Kraftpunkte, so werden wir zunächst vom gros­sen Feld der Moderne und vor allem auch des „Informel“ angezogen. Schon der zweite Blick bündelt die Sensoren in den 60er Jahren als die Collage ihren Höhepunkt hatte  – nicht nur im Sinne von „coller“, kleben, sondern von schichten und verweben gegenläu­figer Bildelemente, zum Beispiel formbezogen und linear, konstruktiv und frei schwin­gend.

In den Bildern von Eva Ducret finden wir sowohl gemalte wie geklebte „Collage“-Elemente. Allerdings braucht es dann, um den Weg zum Werk von Eva Ducret zu finden, noch die Freiheit der 70er Jahre, verschiedenste Techniken in ein und demselben Bild zu vereinen und überdies den Glaubenskrieg zwischen Gegenständlichkeit und Unge­genständlichkeit aufzuheben. Last but not least nutzt Eva Ducret auch die von den elek­tronischen Bildmöglichkeiten her gewonnene Freiheit im Umgang mit Vergrösserungen, Verkleinerungen, Projektionen, Umformungen usw. Eva Ducrets Werk ist somit stärker in die aktuelle Sprache der Kunst der Gegenwart eingebunden, vergleichbarer mit Zeitge­nossen und Zeitgenossinnen als jenes von Françoise Samuel.


Mit dem eben Gesagten will ich die Werke der beiden Künstlerinnen nicht als postmo­derne Geschichtsklitterungen einkreisen, alle Werke haben Vergangenheit, aber nicht alle dieselbe. Es ist jedoch klar, dass beide Künstlerinnen sich dem Bild widmen – was a priori eine kunsthistorische Position ist – zum Beispiel im Vergleich mit Kunstschaffenden im Bereich der Performance, des Videos oder der elektronischen Kunst.


Kunst hat nicht nur formale Aspekte, sondern – gleichwertig – auch inhaltliche. Auch hier lassen sich die beiden Künstlerinnen eher durch Gegensätze beschreiben, denn durch Gemeinsamkeiten, auch wenn innen und aussen letztlich Spiegelungen ein und des­selben sind. Françoise Samuel erscheint uns primär als Erzählerin von Alltagsszenen, wie wir sie alle kennen. Doch die Stilmittel, die sie einsetzt, lässt die bewegten Szenen nicht einfach als Momentaufnahmen aus einem Bildfluss erscheinen, sondern als etwas im eigentlichen Sinn Festgehaltenes, zum Bild Generiertes. Und dieses Statische gibt die Möglichkeit, die Bildkomposition zu untersuchen, die Lineaturen, die sich aus den Verbindungen der Lichtmomente ergeben zum Beispiel. Und da evoziert das gegen­ständlich fassbare Bild dann plötzlich Dimensionen, die vom äusseren Bild auf die Spiegelung innerer Befindlichkeit weisen.


Eva Ducret hingegen versucht dieser Befindlichkeit, die sich aus dem emotionalen Erle­ben der eigenen Zeit ergibt, unmittelbar Bildgestalt zu geben. Das Bild als Abdruck des Eigenen – bei Eva Ducret darf das oft sehr wörtlich verstanden werden, denn in den meisten ihrer Bilder finden wir gedruckte Elemente – meist sind es die formgebenden, bildbestimmenden, die sich im Prozess der Bildgestaltung mehr oder weniger intensiv mit malerischen Momenten verbinden. Die gedruckte Form ist jedoch selten mehr als der „Stempel“ des Eigenen bei der Erschaffung eines letztlich sich selbst bedeutenden Bildwerkes, das uns zu eigenen „Spaziergängen“ im Bildraum anregen soll.

Da beide Künstlerinnen ihrem Bürgerrecht nach zwar Aargauerinnen sind, bisher aber primär in Gruppenausstellungen in Erscheinung traten – keine Jahresausstellung im Aargauer Kunsthaus ohne Françoise Samuel! – will ich im Folgenden den künstlerischen Lebensweg der beiden nachzeichnen.


Eva Ducret ist 1956 als Eva Niederer in Zürich geboren. Dass sie ihre gestalterische Begabung zum Beruf machen wollte, stand früh fest. Und so führt der Weg 1975 direkt an den Vorkurs der Schule für Gestaltung in Zürich, von da in die Abteilung für freies Gestalten an der Schule für Gestaltung in Luzern und daraufhin an die F+F, an die Schule für experimentelle Gestaltung in Zürich. Eine reiche Ausbildung. Ich kenne keine Werke aus dieser frühen Zeit von 1975 bis 1978, aber es ist ja ein Phänomen, dass man zwar künstlerische Techniken lernen kann, die Kunstgeschichte aufarbeiten kann, dass der künstlerische Ausdruck aber ein Reifeprozess in harter Auseinandersetzung mit eigenen Vorstellungen ist. Um noch tiefer in die Technik der Malerei vorzudringen macht Eva Ducret 1979 eine Anlehre als Restauratorin in Stans.


Für viele Frauen ist es nach wie vor unglaublich schwierig, eigene Lebenswünsche und -zielsetzungen mit Partnerschaft und Kindern zu verbinden. Eva Ducret – damals mit dem Aargauer Künstler Maurice Ducret verheiratet – lässt sich für einige Jahre aufs traditio­nelle Rollenschema ein. Doch eines Tages explodiert das eingeigelte Ich-Bewusstsein. Eva Ducret reist mit ihren beiden Kindern ins grossmütterliche Kalabrien, um ihr Selbst­verständnis als Frau und Künstlerin wiederzufinden. Einfach war der folgende Weg nicht – ich weiss das nur zu gut aus meiner eigenen Erfahrung als alleinerziehende Mutter – doch das künstlerische Wollen wurde durch die Schwierigkeiten nur umso intensiver.


Um den Anschluss in Zürich wieder zu finden, besucht sie ab 1985 die damals ganz neue Weiterbildungsklasse der Schule für Gestaltung in Zürich und arbeitet später als Assistentin daselbst. Sie beteiligt sich nun auch an Ausstellungen und erhält am Ende ihrer Ausbildung auch gleich einen ersten „Kunst am Bau“-Auftrag. Fritz Billeter verweist in seinem Text im Tages-Anzeiger vom Oktober 1988 auf eine ganz wichtige Charakte­ristik im Schaffen von Eva Ducret, nämlich die Faszination der Künstlerin, einen Bildent­stehungsprozess sichtbar zu machen. Ihre Zielsetzung ist nicht, das eine oder andere darzustellen, sondern im Austausch von Eigenem und Anderem zu einer Bildkomposi­tion zu gelangen. Wie streng sie dabei vorgeht, zeigt der Trick, mit dem sie ihr kleines Atelier unweit des Hottingerplatzes in Zürich, „vergrössert“ hat.


Während des Malprozes­ses hängt das sich in Arbeit befindliche Papier – das später auf Pavatex aufgezogen wird – an der Querwand des im Sous-Sol gelegenen Raumes. Die gegenüberliegende Wand hat die Künstlerin verspiegelt, sodass sich für das Betrachten die doppelte Distanz ergibt. Zugleich weist die Spiegelung – in der, ähnlich wie bei Reproduktionen, die Strukturen der Oberfläche wegfallen, auf die reinen Gewichte der Komposition. „Da sieht man jeden Fehler sofort“, kommentierte die Künstlerin anlässlich meines Besuches in Zürich. Auch das ein Hinweis auf das ausgeprägte Bild-Bewusstsein von Eva Ducret. Zum Bild findet sie indes zunächst über ihr Skizzenheft. Sie sei ständig am Zeichnen, sagt die Künstlerin, wo immer sie sei. Ueberall gebe es Ueberraschendes zu sehen und Ideen stellten sich manchmal völlig unerwartet ein. Einzelne Skizzen wachsen dann zu Bedeutung – es kann eine Kugel mit einer reich ziselierten Innenwelt sein, es können Stränge sein, die sich wie Wachstumszonen ausdehnen, es können organische Gebilde sein, aber auch die Erinnerung an die linearen Spannungsbögen der Planken eines ganz gewöhnlichen Ruderbootes.


Immer sind es indes reiche Formen, die auf Entwick­lung und Wandel hinweisen, sei es nach aussen oder nach innen. Die ausgewählten Skizzen vergrössert die Künstlerin so lange bis sie zu Proportionen eines „ausgewach­senen“ Bildes werden. Dann überträgt sie – und das habe ich nie zuvor so gehört – die Form auf Gummi, wie es ihn in der typisch rotbraunen Farbe als Rolle in ihrem Atelier gibt. Dann wird die Form einem Scherenschnitt gleich ausgeschnitten, eingefärbt und aufs Papier gedruckt – einmal, zweimal, dreimal – einmal nach oben, dann umgekehrt nach unten und vielleicht zusätzlich als Ueberlagerung. Die Persönliches tragende Form wird zum Bildelement. Im Gegensatz etwa zur Aargauerin Gertrud Debrunner, die in höchster Konzentration einen Faden aufs Papier legte, um ihn danach im Bildprozess zu befragen – das war ürigens in den Fünfzigerjahren – und anders als bei der kürzlich im hohen Alter verstorbenen Inge Schön, die zunächst eine nach aussen geschlossene Form mit zeichenhaftem Innenleben radierte, um dann vom Druck ausgehend, das Innenleben in den Raum auszubrechen zu lassen, im Gegensatz dazu gestaltet Eva Ducret im Dialog mit der gedruckten Form eine Bild-Komposition.


In einzelnen Bildern könnte man sagen, der Umraum sei das Bett für die gefundene Form, doch meist ist es ein Durchwirken, ein Durchweben, das auf die Komplexität von Innenform und Aussen­raum hinweist, auf Farbe, Licht und Ordnung, auf Wachstum und Veränderung im Dialog mit der Statik von Gebautem und Festgefügtem. In den jüngsten Arbeiten tritt dieser Dialog in eine neue Phase, indem die Gummiform direkt als Collageelement in Erschei­nung tritt.


Françoise Samuel ist praktisch gleich alt wie Eva Ducret; sie ist im Löwenzeichen des Jahres 1957 als Auslandaargauerin in Liège in Belgien geboren, machte dann aber 20 Jahre später Matura in Baden. Und auch bei ihr verlief der Weg zu Gestalterischen linear. Theoretisch könnten sie sich kennengelernt haben als Eva Ducret an der F+F war, besuchte Françoise Samuel die Grafikabteilung der Schule für Gestaltung in Zürich. Als 26jährige lässt sich Françoise Samuel in Brüssel als freischaffende Malerin nieder, wobei zu diese Zeit die Grafik das Leben noch mittragen helfen muss.


1986 tauchen die Werke der Künstlerin dann erstmals an einer Jahresausstellung im Aargauer Kunsthaus auf. Ich erinnere mich gut an das Acrylbild auf Holz „Femme noire devant une affiche“. Wir würden es wahrscheinlich nicht als fremd empfinden, wenn es in dieser Ausstellung hinge. Die üppige, dunkle Frau mit den sich unter dem enganliegenden Kleid runden­den Brüsten und den zu einem kleinen Chignon hinaufgezogenen Haaren, hat densel­ben abwesenden Blick wie viele Frauen – vor allem Frauen – und Männer in dieser Aus­stellung hier. Ihre sinnlich-gerundeten, hell hervorgehobenen Lippen und ihre Leibes­fülle erzählen etwas von ihrem Stolz und ihrem körperlichen Selbstverständnis, gerade die Frau zu sein, die sie ist. Man könnte das Bild, analog den hier gezeigten Werken mit dunkelhäutigen Figuren, als soziale These kommentieren.


Man würde damit aber die Künstlerin zumindest teilweise missverstehen. Für sie sind Menschen mit dunkler Haut­farbe schlicht und einfach „schön“. Und das will sie zeigen, ein soziales Engagement ist für sie hiefür nicht notwendig (was indirekt natürlich eines ist). Dass die Beschreibung der „femme noire“ von 1986 in leichter Veränderung auch auf die Bilder hier um uns passt, hat Françoise Samuel schon oft Kritik eingetragen. Kritik, festgemacht an einem oberflächlichen, einseitig formalen Blick. Ich möchte dieser Kritik drei Punkte entgegen­stellen: Erstens, man schaffe als Künstlerin eine Bildsprache, die soviel Kraft hat, dass sie allen, die sie einmal gesehen haben, in Erinnerung bleibt und zwar jahrelang. Danach suchen viele – Françoise Samuel hat das auf Anhieb geschafft.


Zweitens: Auch ein realistisches Bild, das seine Gegenständlichkeit auf den ersten Blick demonstriert, ist mit dem Erkennen des Inhaltes nicht abgehakt. Man schaue sich einmal an, wie die Künstlerin mit Farben umgeht. Wie sie Kontrast als Steigerung der Ausdrucks benutzt, wie sie umgekehrt, Wandlungen von rot, von grün, von gelb einsetzt, um das Gerüst der Komposition des Bildes zu tragen und darüber hinaus ganz bestimmte Bezüge der Figu­ren zu ihrem Umraum herzustellen. Es war übrigens gerade dieser Aspekt, der die Jury des Aargauischen Kuratoriums letztes Jahr dazu bewog, der Künstlerin ein Werkjahr zuzusprechen.


Und drittens: Das kann ich nicht so kurz und prägnant sagen. Es hat mit Multiplikation zu tun. Und es wurde mir dementsprechend noch nie so bewusst wie in dieser Ausstellung, die mit Recht relativ dicht gehängt ist. Auf den Bildern von Françoise Samuel sind selten mehr als ein bis drei Figuren – das Bild mit den Frauen und Män­nern, die abends die Fabrik verlassen ist eher eine Ausnahme. Und wenn mehrere Figurn da sind – wie zum Beispiel im „Gespräch auf der Südbrücke“ – so sind es doch Einzelfiguren, jede mehr mit sich selbst als mit den anderen beschäftigt. Auch hier wäre die Projektion eines sozialen Aspektes falsch.


Denn es geht der Künstlerin nicht um Kommunikation, sondern um Beispiele von Figuren, die ihr als Malerin und mir als Betrachterin als Modelle zur Verfügung stehen. Ihre Figuren sind ja sehr plastisch – das rührt nicht zuletzt daher, dass die Bilder auf Holz gemalt sind, das die Farbe nicht ein­saugt, sondern als Schicht auf der Grundfläche belässt –  und sie sind meist auch raum­füllend. Ich könnte mir also vorstellen, dass sie hohl sind, dass ich um sie herumgehen und von hinten in sie hineinschlüpfen kann, um zu schauen, ob das „Kleid“ passt, ob ich es fertig bringe, die Brüste so zu stellen, so direkt in den offenen Raum zu schauen, so selbstbewusst mein Ich zu spüren, mich schön zu fühlen.


Dieser Modellcharakter der Figuren wird durch die Umgebungsgestaltung betont, die mich manchmal an Bauklötz­chenlandschaften erinnern, jedenfalls nicht an eine reale Situation, auch wenn die Städte vereinzelt wiedererkennbar sind  – am Kölner Dom zum Beispiel.  Das formale Verharren, das auch mit Formataenderungen nicht grundsätzlich aufgehoben wird –  hat somit auch Modellcharakter. Bezeichenenderweise änderte der Stil ja auch dann nicht als Françoise Samuel 1988 nach Lausanne übersiedelte oder für längere Aufenthalte nach Paris, nach Rio de Janeiro oder nach Köln zog, aber die verschiedenen Orte brachten immer wieder Menschen  – ähnliche und andere – und die Lust der Künstlerin sie ihrem Figurenkabinett anzugliedern ist ungebrochen, vielleicht analog dem Phäno­men, dass auch wir es ein Leben lang spannend finden, andere Menschen zu sehen.

Ich danke fürs Zuhören.