Die Faszination der Geheimnisse

Grundgedanken zur Situierung des Schaffens von Regula Huegli und Werner Merkofer

„Richtkräfte für das 21. Jahrhundert“ ist der Titel einer Ausstellung im Kunsthaus Zürich (Mai/Juli 1999) mit Werken von Rudolf Steiner, Joseph Beuys und Emma Kunz. Sie ist nicht nur ein Bekenntnis zu dem in den späten 60er Jahren formulierten, erweiterten Kunstbegriff Joseph Beuys‘, sondern auch Bekenntnis zur Spiritualiät als formbestimmende Kraft der Moderne. Die Ausstellung wird eingeleitet mit je einem Hauptwerk von Malewitsch, Kandinsky und Mondrian.

„The Spiritual in abstract art 1890-1980“ war schon 1985 Gegenstand einer grossen und wichtigen Ausstellung in Los Angeles und Amsterdam sowie Thema des umfassenden Buchkataloges mit demselben Titel. Für viele war diese neue Sicht auf die Kunst des 20. Jahrhunderts, die auch von Sandro Boccola in seiner „Kunstgeschichte der Moderne“ vertreten wird, eine Offenbarung.

Endlich wurde die auf rein formale Entwicklungen ausgerichtete Kunstgeschichte durch eine gleichwertige, inhaltliche Kraft ergänzt. Einige wichtige Ausstellungen haben seither dieses Moment aufgegriffen. Erwähnt sei, aus schweizerischer Sicht, zum Beispiel die Gegenüberstellung der Werke von Piet Mondrian und Ferdinand Hodler, 1998 im Aargauer Kunsthaus. „Richtkräfte für das 21. Jahrhundert“ liegt somit im Trend, ist als Ausstellung indes ausserordentlich durch ihren Hang zur Grundlagenforschung.

All das signalisiert, dass die Zeit reif ist, all jene weniger bekannten Künstlerinnen und Künstler mehr zu beachten, die seit Jahren unabhängig und im Dialog mit sich und der Welt vergleichbare „Forschungen“ betreiben. Zu ihnen gehören unter anderem Regula Huegli und Werner Merkofer.

Es gibt weltweit Künstlerinnen und Künstler, die in verschiedensten bildnerischen Sprachen in diesen Kontext gehören. In der Schweiz ist diese Richtung jedoch sehr ausgeprägt; der kunstgeschichtliche Begriff der „Individuellen Mythologien“ – geprägt von Harald Szeemann im Umfeld der von ihm kuratierten „documenta V“ von 1972 – basiert auf einer Beobachtung vom Standort Schweiz aus. Es hat Vieles darin Platz, meint aber grundsätzlich Kunstwerke, die in persönlichen, gängige Vorstellungen trandzendierenden, bildnerischen Forschungen nach dem suchen, „was die Welt im Innersten zusammen hält“.

Die Werke von Regula Huegli und Werner Merkofer haben hier ihre Verwurzelung.

Wenn Regula Huegli am Lago Maggiore auf das Wasser hinaus blickt und die Bewegungen und Spiegelungen darin und darauf betrachtet, so ist ihre Faszination nicht nur das „Schöne“, sondern, darin eingebettet, das Staunen, dass es das so überhaupt gibt und dass sie Analoges, geschärft wie ihr Blick längst ist, in gewandelter Form in allem wiederfindet; sei es im Stein oder der Pflanze, mitten in der Stadt Basel oder im fernen Nepal. Dieses Sehen im Sinne einer optischen, emotionalen und erkenntnisorientierten Kraft in eine visuelle Form zu übertragen, ist die Spannung, die ihr Werk voran treibt.

Wenn Werner Merkofer, ausgehend vom Dreieck, dem Kreis oder der Achterschlaufe, einen Parameter festlegt, nach dem er eine Arbeit entwickeln will und dann im Prozess des Zeichnens die ornamentalen Wechselwirkungen entdeckt, die sich aus der Struktur heraus formen, so ist das – immer neu – das ergreifende Spüren von Kräften und Gesetzmässigkeiten, die im Inneren der Materie und durch sie hindurch wirken. Dass seine Konfigurationen im weiten Feld (meta)physischer Erkenntnisse Entsprechungen finden, ist ihm Bereicherung, vielleicht sogar Glück, aber nicht Sinn seines Schaffens. Sein Medium sei das Bildnerische, sagt er.

Regula Huegli und Werner Merkofer, 1936 respektive 1943 geboren, arbeiten seit langen Jahren im Atelierhaus Klingental, ein Haus, das wie kein anderes die Geschichte der Basler Kunst enthält. Viele Einzelgänger, auch nur sporadisch in der Schweiz weilende Künstler und Künstlerinnen, kreuzen sich in den Gängen des zellenartig konzipierten Gebäudes. Zuweilen vernetzen sich aber auch gewisse Ateliers, es entstehen Freundschaften, die über Künstlerkollegialität hinaus zu wechselseitigen, künstlerischen Impulsen führen. Dies gilt für Regula Huegli und Werner Merkofer. Obwohl ihre Arbeitsweise scheinbar sehr verschieden ist. In gewissem Sinn entsprechen die Methoden dem Cliché wie Mann und Frau zu einem Ziel finden. Regula Huegli lässt sich vom Fluss ihrer Ideen leiten, arbeitet spontan und empirisch, lässt Gefundenes stehen und bearbeitet es weiter. Gefühlsmässige Richtigkeit ist ihr wichtiger als analytische. Werner Merkofer arbeitet mit geometrischer Präzision, geht aus von Formeln, die er konsequent und unter Verwendung der drei Grundfarben umsetzt, um die immanenten Bildeffekte zu erfahren. Um die menschliche Wahrnehmung an die Grenze ihrer Möglichkeit zu führen.

Sowohl im Werk von Regula Huegli wie Werner Merkofer spielt die geometrische Form des Sechseck eine bedeutende Rolle. Regula Huegli fand den wabenförmigen geometrischen Ort über den symbolischen, rituellen Gebrauch des Hexagon in den spirituellen Traditionen Nepals. Für Werner Merkofer ist das Sechseck eine potenzierte Form des Dreiecks, das an der Basis seiner Forschungen steht. Es dient ihm sowohl als Aussenform vieler auf Dreiecksvervielfachungen aufgebauten Zeichnungen wie als Formel für Recherchen von Sechseckstrukturen innerhalb einer Hexagon – Aussenbegrenzung.

Fast liegt auf der Hand, was die beiden Kunstschaffenden gegenseitig fasziniert: Der Ausgleich. Schau präzise hin, scheint er ihr zu sagen. Siehst Du nicht, wie sich alles in allem spiegelt, scheint sie ihm zuzurufen. Doch das allein ist es nicht.

Wer Regula Huegli begegnet, erlebt vor allem ihr begeisterungsfähiges Temperament. Doch die andere Seite, die stille, die sie sucht, wenn sie sich an den Lago Maggiore zurück zieht, um in einfachsten Lebensstrukturen jene meditative Ruhe zu finden, die es erlaubt, jenseits gesellschaftlicher Hektik die Essenz dessen zu spüren, was das Wunder „Welt“ ist, diese Seite gehört ebenso zu ihr. Sie wird seit rund 15 Jahren genährt von zahlreichen, mehrmonatigen Aufenthalten in Nepal, wo diese Form der Lebenserfahrung vitaler in den Alltag wirkt als hierzulande. Beide Seiten wirken in ihrem Werk.

Werner Merkofer sucht das fernöstliche Moment nicht; er findet in unseren Denkvorstellungen genügend Spielraum, um zu immer tiefgreifenderen Erkenntnissen zu finden. Dass er das Pendel benutzt, um Ordnungen und Farbabfolgen zu bestimmen, ist ihm kein Widerspruch dazu. Denn das Pendel ist von denselben, mathematischen Gesetzmässigkeiten geprägt wie sie den Naturwissenschaften zugrunde liegen. Aus dem Konzeptuellen bricht er indes aus, wenn bildnerisch Gefundenes ihm plötzlich in einer Vielfalt anderer Zusammenhänge wiederbegegnet. Dann spürt er sich nahe an dem, was er im Kern sucht und für das Weiterarbeiten braucht.

Vielleicht lässt sich der Unterschied respektive der Nichtunterschied zwischen den beiden Werken in einer Art Gleichnis charakterisieren: Das chinesische Weisheitsbuch „I Ging“ beruht auf Zeichen, die in sechs ganze oder halbe Balken unterteilt sind. Ingesamt sind es 64 Zeichen. Das Konzept wurde vor langer Zeit von chinesischen Mönchen gefunden, die über die Disziplin der Meditation auf die alles Psychische umfassende Struktur stiessen. Den fernöstlichen Erkenntnismethoden stehen die westlichen Naturwissenschaften gegenüber. Auch hier ist die Zahl 64 bestimmend, denn die Moleküle in all unseren Zellen enthalten je 64 genetische Codes, welche die Physis des Lebendigen an der Basis bestimmen. Fritjof Capra schloss daraus in seinem berühmten Buch „Das Tao der Physik“, dass es im Kern keinen Unterschied gibt, zwischen den mentalen Erkenntnissen des Fernen Ostens und den analytischen des Westens.

So betrachtet hebt sich der Unterschied zwischen den Bildwerken Regula Hueglis und Werner Merkofers auf. Was indes bleibt, ist die stärkere Verankerung des Schaffens von Regula Huegli in visuellen Phänomenen der sichtbaren Natur, während Werner Merkofer ganz von abstrakten Strukturen ausgeht. Doch, wie wir eben gesehen haben, ist das Eine in komplexer Form immer auch das Andere. Ihre Begegnung ist Spannung.