Marie-Theres Amici Katalogtext 1999

Die Kraft der Farbe in der Bewegung des Körpers

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in „Hommage au vin“ Nr. 31 1998-1999 des Weinhauses Albert Reichmuth AG in Zürich Auch als Sonderdruck erschienen.

Gedanken zum künstlerischen Schaffen von Marie-Theres Amici

Die Bilder von Marie-Theres Amici tragen alle den Titel „Landschaft“. Die meisten der bisher publizierten Texte zur Malerei der Luzerner Künstlerin gehen davon aus. Hier sei ein anderer Begriff vorangestellt: Die „Natur“. Landschaft ist Natur, aber Natur ist auch Kraft, Bewegung  und Wandel. Natur ist Kristall, Pflanze, Tier, Mensch. Natur ist Erde, Wasser, Feuer, Luft. Und für all das sind die expressiv ausgespannten „Landschaften“ von Marie-Theres Amici malerische Metaphern.

Rot wirkt als aufgefaltete Form von Nordosten Richtung Zentrum. Ueberlagertes Schwarz, ein weisser Fleck und ein mitgetragenes Gelb halten den Ort.Im Südwesten antwortet dasselbe Rot, diesmal mit einem schwarzen Geflecht darüber. Nur klein ist das rot-schwarze Echo unten rechts, doch es reicht, um die Diagonalen aufzubrechen und trotzdem Standbein zu sein. Grün, Blau, Gelb in Schattierungen mit Weiss und Schwarz fliessen, halten, kehren, überwerfen sich dazwischen, darüber, darunter; die Sonne, der Wald, das Wasser, der  Stein.
Natur ist Welt, ist Bild, ist Symbol.

Es gibt Dinge, die können wir nicht benennen, weil sie keine feste äussere Form haben, weil wir sie nur als Vibrationen unterschiedlicher Dichte und Intensität in uns spüren. Darum schaffen wir uns „Stellvertreter“, die mit den Mitteln der benennbaren Welt aufzeigen, was wir als unbenn¬bar in uns wahrnehmen. Marie-Theres Amici nutzt die Malerei, um Wechselwirkungen solcher Art auszudrücken. Denn Grün ist nicht Rot, Gelb ist nicht Blau, das Feste nicht durchlässig, die Gestik des Strichs nicht die Statik der Stille. Wo setze ich mich hin, wo ist mein Ort? Soll ich mich tragen las¬sen von der Wucht des dunklen Grün, Fallenlassen mit dem Blau, Gleiten mit dem Gelb oder Feuer entfachen im Rot? Oder vielleicht doch eher die Mulde suchen, wo das Gelb Licht verheisst, das Blaugrün gebremst ist und das Weiss dem Dunklen die Schwere nimmt?

Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ist die Natur eines der zentralen Motive der Malerei. Bis weit ins 20. Jahrhundert war es das Abbild, welches das Inbild verkörperte. Erst mit dem aus dem Impressionismus herauswachsenden „Informel“ wurde die Malerei in den 40er Jahren selbst zur „Natur“. Sie bildete nicht mehr ab, sondern formte sich selbst als Akt der Wahrnehmung zwischen visuellem Eindruck und expressivem Ausdruck.

Hier setzt Marie-Theres Amicis Schaffen an. Doch einer jüngeren Generation angehörend, verbindet sie nicht nur das Lyrische Frankreichs mit dem Dramatischen des europäischen Nordens und dem betont Expressiven Amerikas, sondern integriert auch das Individuell-Seismographische, wie es zum Beispiel die Zeichnungen eines Cy Twombly charakterisiert. Die „Natur“ ihrer „Landschaften“ bewegt sich frei zwischen den Regungen des Körpers und den Sensationen des Sichtbaren. Sie meinen das eine wie das andere, den Moment ebenso wie die Summe der Momente in der Zeit.

Betrachtet man den Werdegang von Marie-Theres Amici, kann man sehen, dass dieser die Kunstgeschichte nur indirekt spiegelt. Denn ebenso wichtig ist die Atmosphäre von Zeit und Ort. In den späten 70er und 80er Jahren muss sich die Künstlerin und Mutter dreier Kinder stille Nachmittage „stehlen“. Was liegt da näher als die Zeichnung, die mit jedem Strich nach den Regungen und Empfindungen von Ort, Zeit und Körper frägt. Umso mehr als das Subtile in den 70er Jahren in der Innerschweiz „in der Luft liegt“, und die frühen 80er Jahre in der Kunst nicht zuletzt dem Erkunden von Körpergefühlen gelten. Aus diesen seismographischen „Landschaften“ entsteht mit mehr Zeit und Raum die Malerei, wie sie das heutige Werk immer souveräner, immer freier und oft auch grossformatiger ausdrückt.