Ursula Baur Katalog Text 1998

Material und Form im Tanz mit dem Körper

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Obwohl ihre Körper ausladend sind, verbindet sie zuweilen nur eine Spitze mit dem Boden. Die Bewegung in der Form hält sie in der Ba­lance. Doch der suggerierte Tanz denkt sich nicht anmutig und sanft, sondern kraftvoll und kantig. Die Haut ist im Enstehungsprozess weich und geschmeidig, doch als skulpturale Körperoberfläche ist sie unre­gelmässig und hart. Ursula Baur hat mit den überlebensgrossen „Be­wegten Körpern“ Bildformen für das Leben entworfen. Ein Leben, das Tanz und Kampf, Angst und Lust, männlich und weiblich zugleich ist.

In der grossen Serie bilden sie als Relief an der Wand ein Schatten­theater. Die Formen verdoppeln und verdreifachen sich im Lichtspiel, zeichnen sich an die Wand und in den Raum zugleich, real und irreal.

In der kleineren Ausformung stehen sie als Skulpturen im Raum. Die Körper sind auch hier Schalen um ein Inneres. Dieses ist erstaunlicherweise nicht verschlossen, sondern geformter, offener Zwischenraum; gerade so breit, dass man mit der Hand hineinfahren kann, um die Beschaffenheit von Form und Raum zu ertasten. Das Aeussere verbirgt das Innere nicht.

Aehnliches gilt für die „Häuser“ und verwandte Gruppen. Auch sie sind Körper, doch diesmal nicht „bewegte“, sondern ruhende, auf sich selbst horchende. Die körperlich-geometrische Reduktion der Formen und die erdige Qualität der Aussenflächen verweisen auf archaische Grundmuster. Entscheidend ist aber auch hier das Offene, das Einsicht Gewährende. Dass die materialbetonten Körperschalen das Innere schützen und über die naturnahe Struktur ihrer Oberflächen auf Empfindungen im Körperinnern verweisen, ist uns als künstlerischer Ausdruck vertraut. Das Spannende der Arbeiten weitet sich über ihre Offenheit, die das aussen Sichtbare – zum Beispiel auch der Einsatz von Farbpigmenten – in einen zugänglichen Innenraum überführt. Hier wird das Bild zum lebendigen Körper, das wahrnehmende Schauen zum Erleben im eigenen Inneren.

Dies vor Augen erklärt sich die Beobachtung, dass Ursula Baurs „Körper“ keine ausgeformten Köpfe haben, wie von selbst; nicht im Sinne einseitiger „Bauch“-Kunst, sondern in der von der Künstlerin erlebten Beschaffenheit unseres Körpers. Dass sich nämlich die Impulse des Computer-Zentrums Hirn weniger im Kopf als vielmehr als Vorgänge, Empfindungen und Handlungen des Zentralkörpers und seiner Extremitäten manifestieren. So ist der Kopf in seinen Aeusserungen im Körper enthalten.

Sehr schön lässt sich die Einheit im Vergleich der skulptural ausgebauten und den eher reliefartigen Arbeiten erkennen. Während die vollplastischen Werke im engeren Sinne Körperliches vermitteln, weiten die Wandarbeiten die Besinnung auf das Seiende ins aufbrechend Bewegte und damit auch ins Abstrakte, in die Kopf-Welt der Vorstellung und des Denkens. Das gilt insbesondere auch für die neuen, vorläufig noch kleinformatigen Wachs-Arbeiten, die das Thema der „bewegten Körper“ aufgreifen und als Wandlungsprozesse präsentieren.

Die Gegenwart ist immer die Summe der Vergangenheit. Ursula Baur fand zur Kunst als diese in der Schweiz am Beginn einer enormen Entwicklung stand. Die 68er Jahre bewirkten nach 1970 eine Multiplikation der Kunst auf allen Ebenen. Und erstmals in der Geschichte sind die Frauen gültig daran beteiligt. Ihren Prägungen entsprechend suchen viele Künstlerinnen ihren Ausdruck in einer Verbindung von Form und Material; Material als Mittel zum Zweck, aber auch als Ausdruck seiner selbst. Sowohl die Tradition wie die aktuelle „arte povera“ beeinflussen ihre Arbeiten mit  Naturmaterialien. Auf der Suche nach „Müttern“ spielt für manche die körperbetont arbeitende, polnische Textilkünstlerin Magdalena Abkanowicz (geb.1930) eine wichtige Rolle, auch für Ursula Baur, und dies im Schweizer Vergleich ausgesprochen früh.

In den gewobenen und gebundenen, plastischen „Körperteilen“ aus Sisal und Hanfseilen auf Eisensockeln von 1974 spiegelt sich sowohl das sozialkritische Moment der Kunst der 70er Jahre wie jenes der eigenen, weiblichen Geschichte. Die folgenden, Körper um- und enthüllenden, phallische Formen geradezu provozierenden Textil-Skulpturen gehören zum unbekannten und unaufgearbeiteten Schatz der Kunst von Frauen der 70er Jahre. Die eingesetzten Materialien unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den heutigen: Es sind textile Fasern und Gewebe, die mit Kunstharz und weiteren Ingredienzen zum modellierbaren „Stoff“ vermischt werden. Ursula Baur liebt das mit den Händen Formbare, das Gestalten der „Haut“ im Kontakt mit eigenen Körper, das weiche Material, das schliesslich zur festen Form wird. 

Im Laufe der Jahre lösen sich ihre Arbeiten vom zeittypischen, weiblichen Entwicklungsprozess, entfernen sich vom direkten Naturbezug ohne ihn je ganz aufzugeben. Ihre Werke werden zu Metaphern des Wachsens, des Gehens, des sich Behauptens in der Welt der „bewegten Körper“. Dazu zählt für die der Generation der 68erinnen Angehörende nicht nur das Gestalten im Atelier, sondern eine beuyssche Ganzheit, welche die Künstlerin, die Mutter, die Lehrerin und die Kunstvermittlerin gleichermassen umschliesst.