Charles Moser im Kunstmuseum Luzern 1999

Gedankenwindungen drehen Löcher ins Gehirn

annelisezwez.ch   Aargauer Zeitung 06_10_99

Immer war er eine wichtige Figur der Aargauer und Luzerner Kunstszene; gross in Erscheinung, engagiert im Wort und doch nie richtig greifbar: Der in Birrwil lebende Charles Moser (1953). Nun zeigt das Kunstmuseum Luzern rund 450 Zeichnungen von 1969 bis 1999; eine Trouvaille.

Ulrich Look, Direktor des Kunstmuseums Luzern, aber gewiss kein Insider was die 70er Jahre in der Schweiz betrifft, kommt das Verdienst zu, den Aargauer Künstler Charles Moser dazu verführt zu haben, seine in Schachteln sorgsam geordneten Zeichnungen zum ersten Mal in grösserem Umfang auszubreiten. In einer fast geschlossenen Vitrinen-Installation ist das „Buch mit sieben Siegeln“ ausgebreitet: Kleinformatige, skizzenartige Zeichnungen, die Denkvorgänge, Hirngespinste, Ideen und Utopien zeichnerisch, selten malerisch, festhalten; ein manieristischer Geist bildnerischer Fantasie durchzieht die puzzleartige – teils chronologische, teils thematische – Auslage.

Es wäre nun ein Leichtes zu sagen, der Aargau habe versagt, wichtiges, künstlerisches Schaffen totgeschwiegen usw. So einfach ist das indes nicht. Zwar klang da ein Unterton mit, als Charles Moser im Gespräch sagte, Heiny Widmer habe ihnen (gemeint ist die Aarauer Ziegelrain-Szene und ihr Umfeld) seinerzeit gesagt, sie sollten in ihre Ateliers gehen und bessere Kunst machen. Zweifellos eine subjektive Erinnerung, die allerdings ihre Faktenlage darin hat, dass der frühere Aargauer Kunsthauskonservator bei allem Engagement für die in den späten 60er Jahren aufbrechende Aargauer Kunstzsene, die Künstler des „Ziegelrains“ nie gezeigt hat.

Der „Fall Charles Moser“ ist im Kontext des „Falls Aargau“ zu sehen: Der wichtige und künstlerisch ausserordentliche Aufbruch junger Kunstschaffender in den 60er Jahren, der dem Aargau unter anderem eines der bis heute besten Kulturgesetze der Schweiz brachte, fand nie nationales Gehör. Seine Exponenten wurden im Rahmen der „Innerschweizer Innerlichkeit“ rezipiert und sind, mit wenigen Ausnahmen und so weit sie in der Region blieben, Insider-Künstler geworden, wichtige Figuren ohne extravertierten Bekanntheitsgrad. Die Künstler haben auch nicht darum gekämpft, sondern den dornröschenhaften, typisch aargauischen Understatement-Weg vorgezogen. Der spöttische Spruch vom Aargauer Untertanensyndrom ist nicht aus der Luft gegriffen.

Charles Moser ist seit den frühen 80er Jahren Lehrer an der Schule für Gestaltung in Luzern; er hat Hunderte von jungen Kunstschaffenden massgeblich mitgeprägt; wer mit Studenten spricht, hört das aus ihren Aeusserungen. Als Künstler hat Moser indes nicht einmal den Insider-Weg gewählt, sondern fast schon den eines Privatiers. Und so konnte wahrscheinlich nur ein Unbelasteter wie Ulrich Look den Künstler aus seinem Versteck holen.

Damit ist allerdings Looks Leistung auch schon zu Ende. Denn der Katalogtext ist für Insider ein bisschen haarsträubend. Von „glückhaftem Fund“ ist da nicht die Rede, sondern von einem Werk, das quasi beiläufig enstand, aber immerhin geschaffen sei und darum im Rahmen des „Zwischen-Raums“ – Luzern wartet ja immer noch auf die Eröffnung seiner Räume im Nouvel-Bau – sinnvollerweise gezeigt werde. Der wichtigste und offensichtlichste Bezugskünstler, nämlich André Thomkins, wird im Text nicht einmal erwähnt. Auch das Moment des Daseins und gleichzeitig Nichtdaseins, das so charakteristisch ist für Moser, findet kein Echo. Fazit: Look hat den Schatz gehoben; nun ist es am Aargau ihn zu bearbeiten.

Die Zeichnungen werden in Luzern richtigerweise in sehr unprätentiöser Art und Weise, einem Buch gleich, gezeigt. Das Lesen entspricht auch der Arbeitsweise, geht es in vielen Zeichnungen doch um ein bildhaftes Formulieren von Gedanken, oft um das Phänomen des Denkens an sich, quasi das Bild zum Vorgang im Innern. Mit Recht hebt Ulrich Look in diesem Themenbereich die „Gletschermühlen“ hervor – Zeichnungen des Schädels mit Kugeln in den Vertiefungen, die mahlen und mahlen. Da gibt es aber auch geradezu barocke Denk-Maschinen respektive Gedanken-Rhizome. Ort der Auseinandersetzung ist vielfach der Körper und seine Funktionen, seine Wahrnehmung, seine Fähigkeit, denkend Dinge lustvoll zu verwandeln.

Die Mehrheit der Zeichnungen entstand in den 70er Jahren als die „Mentalität Zeichnung“ in Form von visualisierten Denkprozessen nachhaltig rezpiert wurden. Charles Moser mit Jahrgang 1953 war in dieser Zeit noch sehr jung – von Hugo Suter zum Beispiel trennen ihn 10 Jahre. Es mag sein, dass man seinem, der älteren Generation durchaus gleichwertigen, Schaffen darum die nötige Beachtung versagte und damit die Zukunft programmierte. Jedenfalls findet es Moser spannender, auf Abenteuerreise zu gehen und später hinter den Kulissen aktiv zu sein. Mit anderen Worten: Künstler nicht als Produzent von Werken zu verstehen, sondern im Sinne Beuys‘, den er – wie viele andere – 1972 in Kassel kennenlernte, als kreativen Lebensentwurf, der sich in Zeichnungen, aber auch – nicht zu unterschätzen – in Videos und Kunst am Bau-Projekten spiegelt.