Frédéric Moser/Philippe Schwinger Allerheiligen Schaffhausen 1999

Video als Ort suggestiver Bildkraft

www.annelisezwez.ch  Bis 25.07.1999

Mit der Einladung der völlig unbekannten Genfer Video-Künstler Frédéric Moser und Philippe Schwinger zu einer Einzelausstellung im Museum Allerheiligen ist Kurator Markus Stegmann ein Wagnis eingegangen. Eines, das sich nun in Erfolg verwandelt hat.

Erinnert man sich der Ausstellung des Eidgenössischen Stipendiums im Museum Allerheiligen Ende letzten Jahres, so sind es wenige, starke Bilder, die sich dominant eingeschrieben haben. Die Wedel von Nika Spalinger, das Musikzimmer von Olaf Breuning und dann – in sehr suggestiver Art und Weise – die „Filmszene“ von Moser/Schwinger: Der See, das Boot mit den beiden Künstlern, das Gespräch, das nur fetzenweise fassbar ist. Das Latente von „Un fond de vérité“, das „der Bauch“ mehr spürt als es der Kopf zu analysieren vermag, ist auch die Qualität des raumfüllenden Video-Tryptichons „Auf den Höhen“, das die beiden Künstler für die Ausstellung in Schaffhausen geschaffen haben.

Betrachtet man die Video-Szene Schweiz, so lassen sich verschiedene Trends ausmachen. In der deutschen Schweiz, mit Zentren in Zürich und Basel, ist das von Pipilotti Rist beeinflusste, sinnlich-fliessende, oft erotische, träumerisch-poetische – will nicht heissen gewaltlose – Video sehr stark präsent. Aus Genf, wo auch Schwinger/Moser herkommen, erreichen uns hingegen sehr oft Video-Arbeiten von reduzierter, eindringlicher Bildkraft. Der Einfluss von Silvie Défraoui, als eine der wichtigsten Lehrerpersönlichkeiten der Ecole d’art visuel, ist dabei unübersehbar. Als dritter, am ehesten mit Basel in Verbindung zu bringender Trend, ist das reflektive, oft Dokumentarisches verarbeitende Video zu nennen; man denke zum Beispiel an Renatus Zürcher.

Kulturpolitisch interessant ist, dass man seit langem Deutschschweizer Kunstschaffende findet, die in Genf „Mixed Media“ studieren, aber kaum Romands, die sich in Basel oder Zürich ausbilden. In diesem Sinn ist es „logisch“, dass die beiden in St.Imier im französischsprachigen Berner Jura aufgewachsenen Frédéric Moser und Philippe Schwinger vom calvinistischen Genf geprägt sind, das heisst Reduktion, Präzision und Bildkraft als wesentliche Elemente für ihre Arbeit einsetzen.

Mit Jahrgang 1961 respektive 1966 sind Schwinger und Moser junge, aber schon nicht mehr sehr junge Künstler, gemessen daran, dass sie ihre Ausbildung in Genf erst letztes Jahr abschlossen und in Schaffhausen ihre erste Einzelausstellung überhaupt bestreiten. Mit anderen Worten, sie haben zuvor schon Anderes gemacht und, wie sehr oft und sehr wichtig, erweist sich dies als synergetisches Potential. Schwinger/Moser kommen vom Theater her und zwar nicht primär vom nachvollziehenden Schauspiel, sondern von der inszenierung- und bildbetonten Arbeit als Regisseure und Produzenten in der freien, welschen Kleinbühnen-Szene. Dieses Denken und Schauen kombinieren sie mit der Videoarbeit. Sie entziehen dem Theater das Narrative, konzentrieren sich auf das Bildhafte, nehmen aber die Theatralik des Szenischen mit. Gleichzeitig nutzen sie das Video als filmischen Ort, wo sich bühnenhaft Inszeniertes in „Realität“ verwandeln lässt. Konkret: Sie türmen in ihrem Atelier mit einfachsten Mitteln eine Hügelkuppe auf – dreckig, mit ein paar Pflänzchen – und verbergen durch die Platzierung der Videokamera, dass der mit einem Feldstecher „bewaffnete“ Künstler dahinter auf dem ganz gewöhnlichen Atelierboden kniet. Der Himmel-Wasser-Fall, der zur Szene gehört, wird später im Bluebox-Verfahren als rückwärtiger „Vorhang“ integriert. Dieselbe Struktur gilt für alle bisher realisierten Videos. Im kleinen Katalog ist zum Beispiel ein Foto publiziert, welches die beiden Künstler anlässlich der Produktion ihrer Stipendiumsarbeit „Un fond de vérité“ in ihrem Boot auf dem trockenen Boden zeigt; entlarvend.

Im Zentrum der Schaffhauser Ausstellung steht das Tryptichon „Auf den Höhen“ – ein Krimi, der keiner ist, sich höchstens in den Köpfen der Betrachtenden zu einem solchen entwickelt. In der altargleich dreigeteilten Arbeit geht es im Kern um die Thematik des Schauens. Unser Schauen, das wir auch in der medialen Vermittlung unmittelbar wähnen (Mittelteil), in Realität jedoch einem Schauen mit dem Feldstecher (der auch eine Art Kamera ist) oder einem gefilterten Sehen durch den Weltraum (Internet, Satellitenübertragung etc.) entspricht (Seitenflügel). Mit anderen Worten „Auf den Höhen“ ist eine Arbeit, welche die Bilderflut unserer Zeit quasi von der anderen Seite her aufrollt, nämlich wie sie entsteht und was sie bei uns bewirkt. Zur Bildkraft, welche Moser/Schwinger zu erzeugen vermögen, kommt also eine konzeptuelle Ebene hinzu. Gerade das macht ihr Schaffen ausgesprochen spannend.

Umsomehr als die Ausstellung zeigt, dass „Auf den Höhen“ nicht eine eingleisige „Masche“ ist, die von Video zu Video wiederholt wird. Das als Band gezeigte „Un matin de fête“ thematisiert nämlich auch – aber anders – mediale Struktur. Vordergründig ist ein klassisch-englischer Garten zu sehen, in dem sich Figuren bewegen. Schon der zweite Blick zeigt, dass Figuren und Garten zwei übereinandergeschichtete Ebenen sind, dass hier puppentheaterähnlich bewegte Figuren vor einer Kulisse passieren und auch die am Himmel vorbeiziehenden Wolken gegenüber den anderen beiden Schichten ein Eigenleben führen. Tangieren Moser/Schwinger in „Auf den Höhen“ die Grenze zwischen Bildhaftigkeit und Erzählerischem, so touchieren sie in „Matin de fête“ die Kunstgeschichte indem sie jedes einzelne Bild aus Versatzstücken komponieren.