Le sommeil Musée des Beaux Arts Lausanne 2000

Wie lange schlafen die Bilder schon?

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Aargauer Zeitung vom 9. Nov. 1999

„Der Schlaf“ ist ein geheimnisvolles, faszinierendes Thema. Das Kunstmuseum Lausanne hat es zum Motiv einer Ausstellung mit Werken von Rodolphe Ducros bis Marlène Dumas gemacht. Die Erwartungen vermögen sie allerdings nicht restlos zu erfüllen.

Täglich schlafen wir. Doch kennen wir den Schlaf? Im Mittelalter schliefen die Menschen in einer Haltung zwischen sitzen und liegen. Zu gross war die Angst, in der Horizontalen in die Nähe des Todes zu geraten. Die eigentliche Schlafforschung setzte erst im 20. Jahrhundert ein, auf der Basis von Sigmund Freuds vor exakt 100 Jahren erschienenen „Traumdeutung“. In Lausanne widmen sich diesen Winter mehrere Veranstaltungen dem Thema. Die von Jörg Zutter, Direktor des Kunstmuseums Lausanne, konzipierte Ausstellung „Le sommeil“ steht in diesem Rahmen. Sie umfasst Werke aus einer Zeitspanne von rund 200 Jahren, mit Schwergewichten bei Albert Anker, Felix Valloton, Maurice Denis, Sophie Calle, Thomas Huber und Bill Viola.

Die Ausstellung zeigt einige Highlights, die sich künstlerisch und thematisch in die Erinnerung einzuschreiben lohnt, zum Beispiel das schlafende Mädchen „Dans les bois“ von Albert Anker (aus dem Palais des Beaux Arts in Lille) oder – in stilistisch grösstmöglicher Distanz – das 54 Minuten dauernde Video „Passing“ des Amerikaners Bill Viola von 1991. Der Künstler filmt sich darin selbst während er schläft. Zu viele zweitklassige oder aus der eigenen Sammlung an den Haaren zum Thema herbeigezogene Werke geben der Ausstellung als Ganzes aber einen zusammengewürfelten Eindruck. Vor allem im Bereich des thematisch wichtigen Surrealismus ist sie schwach. „La somnambule aus repos“ des Holländers Pyke Koch von 1965 (!) kann hiefür nicht gerade stehen.

Es zeigt sich klar, dass ein Museum wie dasjenige von Lausanne, das sich mit minimalem Budget durchschlängeln muss und offenbar auch wenig Begabung im Bereich Sponsoring hat, sich nicht im Alleingang an ein solches Thema wagen darf. Denn das Resultat kann so, realistisch betrachtet, nur von regionaler Bedeutung sein. Schade um das grosse Thema, das in Lausanne gewissermassen Tradition hat, kam doch die Idee zur ansatzweise vergleichbaren Ausstellung „Die Nacht“ im Haus der Kunst in München im vergangenen Jahr ursprünglich aus Lausanne.

Was die Ausstellung vermag, ist, verschiedene Annäherungen an die Thematik aufzuzeigen. Die mythologische um den immer wieder gemalten Endymion, der sich durch den Schlaf Unsterblichkeit (sprich: ewige Jugend) erwarb, wirkt in der typischen 19.Jahrhundert-Malerei heute über weite Strecken süss. Allerdings ist die Thematik jener des Schneewittchens, das im Schlaf den Zwergen uneingeschränkte Augenweide bietet, und schliesslich durch einen Männerkuss geweckt wird, so unähnlich nicht.

Der Schlaf wurde von den Malern oft voyeuristisch benutzt. Am augenfälligsten von Felix Valloton, dessen schlafende Akte zwischen Symbolismus und Sachlichkeit ohne die Gefahr bannender Blicke betrachtet werden können; was den Maler allerdings nicht zu seinen besten Bildern inspirierte. In dieselbe Kategorie gehört auch die „Vorstellung“ von Niklaus Stoecklin (1921), dessen schlafende Jungfau den jungen Voyeuristen zum Träumen verführt. Es wundert nicht, dass Marlène Dumas in den 80er Jahren gerade das nackte Schneewittchen als Motiv für ihre radikalen, feministischen Entlarvungen einsetzte.

Einen breiten Platz nimmt in der Ausstellung das schlafende Kind ein. Das hat zum einen praktische Gründe: Kinder schlafen, wenn sie müde sind, wo immer sie sind. Das malerische Problem der Nacht besteht nicht. Man kann sie betrachten und über das „Wunder Mensch“ nachdenken. Eine zentrale Rolle spielen hierbei die Schlafenden von Albert Anker, von denen es in seinem Werk eine Vielzahl gibt. Dem Anhänger des Physiognomisten Lavater war das exakte Festhalten von Gesichtszügen wichtig und die schlafenden Kinder ermöglichten ihm die Ruhe des Betrachtens. Darüber hinaus waren sie ihm aber auch Anlass, den Menschen über das Motiv des Schlafes als göttliches Wesen zu überhöhen. Anders bei Paula Modersohn-Becker, deren „Schlafendes Kind“ von 1904 – ein Highlight der Ausstellung – die ganz Ambivalenz von Müdigkeit, Schlaf und Verletzlichkeit zur Schau trägt. Dass Schlaf Gefahren birgt, zeigt Léopold Robert schon 1825 in „Femme de brigand veillant le sommeil de son mari“.

Im zeitgenössischen Bereich sind verschiedene Wandel sichtbar. Da ist zum einen der forschende Aspekt, für den sich die Neuen Medien besonders eignen. Sophie Calle (geb. 1953) lässt 23 Menschen für je 8 Stunden in ihrem Bett schlafen und fotografiert sie dabei jede Stunde. Bill Viola filmt sich selbst während er schläft (farblich reduziert auf blau und weiss), fügt im Schnittlabor später Traumsequenzen hinzu und lässt den Schlafenden schliesslich in einem Wasserbecken symbolisch ertrinken. Anders Thomas Huber, der ausgehend vom Flüsterton von Museumsbesuchern einen ironisch-verfremdeten Zyklus unter dem Titel „Wie lange schlafen die Bilder schon“ gemalt hat.

Bildlegenden (v.o.n.u.) Pyke Koch (1901-1991), Rustende slaapwandelaarster III, 1965, Rotterdam, Museum Boymans-van-Beuningen; Albrecht Schnider, Il sogno, 1990, Genf, Sammlung J.P. Jungo; Albert Anker, Schlafender Knabe im Heu, 1897, Kunstmuseum Basel.

Katalog in der Reihe „Les Cahiers du Musée“.