Rolf Spinnler: Kulturpreisträger der Stadt Biel 1998

Die Malerei ist Ausdruck des inneren Aufruhrs

www.annelisezwez.ch   Bieler Taglatt 21. Januar 1999

Dem Bieler Maler Rolf Spinnler (geb. 1927) wird am 24. Januar 1999 der Kulturpreis der Stadt Biel übergeben. Annelise Zwez hat mit dem zurückgezogen Lebenden über Vergangenheit und Gegenwart gesprochen.

Annelise Zwez

Eben sei im Fernsehen ein Wagner-Tenor vorgestellt worden, der früher Boxer und Velorennfahrer gewesen sei, erzählt Rolf Spinnler gerührt. Die Talentkombination hat ihn an die Zeit erinnert, als er neben seinen frühen Erfolgen als Maler auch als begabter Opernsänger auftrat. An die Zeit als er im „Ringen“ ein erfolgreicher Sportler war; an die Zeit als er mit dem Rennvelo seine körperlichen Grenzen auslotete. Erinnerungen sind für Rolf Spinnler heute ein gewichtiger Teil seines Lebens. Schaut man in die expressiven Jura-Landschaften, die 1997 einer Eruption gleich entstanden, so ist es als würden die vage Berg und Tal andeutenden Farbflecken und die darin vibrierenden Energielinien davon erzählen. Nicht im Sinne von Geschichten, sondern als unterschiedliche „Feuer“, durchwirkt von „Zündschnüren“.

Als junger, grossgewachsener, mächtiger Mann mit sonorer Stimme schienen Rolf Spinnler einst alle Türen offen zu stehen. 1942 kam der in Solothurn aufgewachsene nach Biel an die Kunstgewerbeschule. Daraufhin wurde er Bühnenbildner, zunächst in Bern, dann in Basel. Am stärksten beeindruckt hätten ihn die Opernaufführungen, erinnert er sich. So ging es nicht lange, bis er selbst Gesangsstunden nahm und es eine Weile aussah, als ob die Musik seine Berufung wäre. Doch da waren gleichzeitig die Malerei und der Lockruf des wieder offenen Europas. Spinnler studiert in Genf, später in Paris, entdeckt in Den Haag Giorgio Morandi und reist nach Italien. „Das italienische Licht gibt es nicht zweimal auf der Welt“, sagt er. Seine Malerei bewegt sich zwischen Tradition und Aufbruch, goldrichtig für das Klima der Schweiz um 1960. Drei Mal hintereinander erhält er ein eidgenössisches Stipendium für freien Kunst. 1963 zieht er nach Biel. Mit einer Ausstellung in der Städtischen Galerie präsentiert er sich als Maler; mit Erfolg.

Viel später sagt Spinnler einmal: „Trotz allem bin ich immer noch ein Romantiker“. Der Künstler ist geprägt von den 50er Jahren, einer Zeit, da sich im zerstörten Europa, aber auch in Amerika, Kräfte sammeln, die an eine bessere Welt glauben. Man spricht von der „Beat-Generation“; ihre Visionen halten bis in die 60er Jahre. Dann kommt mit dem Vietnam-Krieg, Hungersnöten in Afrika die Ernüchterung; die kritischen 70er Jahre lassen keinen Platz mehr für „Romantiker“. Rolf Spinnler erlebt den Umbruch intensiv. Er will den Glauben nicht verlieren, doch alles spricht dagegen; seine Malerei wird zum Spiegelbild des inneren Aufruhrs. Die Pfingstrosen sind nur noch rosa Flecken in schwarzem Grund, die Formen in den Stilleben lösen sich auf, die Landschaften loten die Grenze zur wildbewegten Abstraktion aus.
Kunstgeschichtlich gesehen kommt Spinnlers Expressionismus zu spät, doch Kunstgeschichte ist nicht alles; was, gerade auch für die 70er Jahre, zählt, ist das individuelle Visualisieren der persönlichen Weltsicht. Und die spiegelt sich in Spinnlers Malerei mehr als dass sie „Landschaften“ oder „Objekte im Raum“ zeigen. Bezeichnend sind die zahlreichen „Cadavre exquis“, ein Kuh-Schädel, ein geschlachtetes Kaninchen, ein Hecht-Kopf. Mit der Energie der Malerei habe er sie wieder lebendig machen wollen, sagt er; Leben und Tod als Malerei.

Der inneren Unruhe steht zunächst eine engagierte Haltung nach Aussen gegenüber. Rolf Spinnler ist eine markante Gestalt. Dessen ist man sich auch in seiner Herkunftsstadt bewusst; 1973 erhält er den Solothurner Kunstpreis. Die Kraft, die er, schon rein äusserlich, ausstrahlt, beeindruckt viele, Frauen und Männer. In Gesprächen taucht er fast unweigerlich auf, der Satz: „Spinnler war ein schöner Mann!“ Oft mag er gar nicht so geliebt haben, was er durch seine Erscheinung zu versprechen schien. Und doch, als Links-Politiker hat er Partei ergiffen und als sich die Bieler Künstler gegen die Diskriminierung von Seiten der Hauptstadt wehren und eine eigene GSMBA Sektion Biel gründen, wird er 1976 deren ersten Präsident. Doch das Kämpfen und das Scheitern sind nahe beieinander, privat wie als Künstler und Kulturpolitiker.
Obwohl er einmal wettert, Malerei sei keine Psychotherapie, ist es die Kunst, die bündelt und sammelt, was ihn umtreibt. Und uns sichtbar macht, was wir selbst in Momenten der Trauer, vielleicht auch der verzweifelten Hoffnung, so nicht formulieren könnten. Und da, gerade da, wird Rolf Spinnlers Malerei zum Erlebnis, da liegt die Qualität seines Schaffens; bis heute. Und das dankt ihm Biel nun mit der Verleihung des Kulturpreises.