Thomas Zollinger (Biel): Zwischen Konzept und Performance

Konzept-Ausstellung mit Veranstaltungen in der Gewölbe-Galerie Biel. Juni/Juli 2000)

Die Haltung Thomas Zollingers, wonach die Öffentlichkeit die Existenz des Künstlers zu sichern habe, war nach einem BT-Interview (12/99) Tagesgespräch. Leserbriefe füllten Spalten. Eine Konzept-Ausstellung mit Veranstaltungen (Juni/Juli 2000) in der Gewölbe-Galerie in Biel zeigt, worum es geht.

Die Performances des Bieler Künstlers Thomas Zollinger sind selbst für viele Kulturinteressierte ein rotes Tuch. Was soll das: 12 oder 24 Stunden in respektive zwischen leeren Räumen Wachen und Gehen, Wasser trinken oder tragen? Eine langweilige Sache. Und dann erst noch fordern, dass der Staat diese „Arbeit” bezahle.
Thomas Zollinger (geb. 1952 in Zürich) geht es tatsächlich nicht um Unterhaltung und schon gar nicht um Animation. Wohl aber um die radikale Formulierung und Umsetzung eines von der Minimal Art und der Performance-Kunst der frühen 70er Jahre beeeinflusstes künstlerischen Konzept. Mit obsessiver Kraft versucht er seit 1994 ein „Bild” – vielleicht auch eine „Skulptur” – eines auf minimale Strukturen reduzierten „Lebens” sichtbar zu machen.

Wenn der amerikanische Minimal Art Künstler Carl André – einer der Top der Kunstgeschichte – quadratische Metall-Platten auslegte und sagte, diese seien nichts als ihre eigene Existenz, so wurde das – zum Beispiel im Wenkenpark in Riehen, 1980 – als Reduzierung des Kunstgedankens auf seine Basis gefeiert. Andrés Platten sind heute ein Vermögen wert. Dabei ist das emotional eigentlich harmlos mit einem Künstler, der im Kern dasselbe auf der Ebene gelebten Lebens – und damit im Schussfeld einer über den geschützen Raum der Kunst hinausgehenden Öffentlichkeit – tut. Thomas Zollinger versucht mit seinen bezüglich Teilnehmerschaft meist öffentlichen Performances einzugrenzen und zu fassen, was die minimalen Strukturen der Existenz sind: Wachen, Schlafen, Gehen und sich Ernähren. Die Form, in welcher er das tut, gibt wahrlich keinen Thriller her, aber die Ernsthaftigkeit, die Ausdauer und die Hartnäckigkeit, um nicht zu sagen, der manische Zug, mit dem er dran bleibt, muss – zumindest als Konzept – auf die Dauer überzeugen. Er hat nur das Pech, dass er (meist) in Biel „geht” und nicht in New York und überdies in einer Zeit, da die Minimal Art eigentlich kaum Aktualität hat.

Als Provokation werden dabei in der Öffentlichkeit weniger die Performances, von denen eine am 30. Juni beginnt und 24 Stunden dauert, als solche erlebt. Vielmehr schon die als Bestandteil des Existenz-Konzeptes formulierte Forderung, dass der Bewusstseinsprozess, den er mit seinem als „Ritual Theater” gelebten Lebens öffentlich macht, Kunst sei und als künstlerische Tätigkeit „Arbeit” und somit vom Staat nach dem Grundsatz der „Kunstfreiheit” getragen werden müsse.

Ein überraschend gut besuchtes und qualitativ spannendes Gespräch im Rahmen von Thomas Zollingers Konzept-Ausstellung in der Gewölbe-Galerie in Biel umkreiste die Brisanz des Themas in einem Staat, der keine a priori gegebene Grundsicherung der Existenz kennt. Wenn auch die sich in der Forderung manifestierende Kreuzung zwischen sozialen und künstlerischen Aspekten nicht aufgelöst werden konnte, so machte das Gespräch doch zwei Dinge klar: Zum einen, dass der Fall Zollinger als Herausforderung und Fragestellung für die Kunst und darüber hinaus relevant ist und zum anderen, dass es dem Künstler mit fundierter Dokumentation und Argumentation gelungen ist, die aktuellen Diskussionen rund um die Problematik der Existenzsicherung von Kunstschaffenden zwischen Idealismus und Kommerz bis in gesamtschweizerische Ebenen hinauf beispielgebend zu beeinflussen. Mit Interesse wird sowohl bei der Schweizerischen Künstlergesellschaft (GSMBA) wie beim Bundesamt für Kultur der Entscheid des Bernischen Verwaltungsgerichtes erwartet. Dieses muss über die Rechtmässigkeit der Streichung des Grundbedarfs II seitens des Bieler Fürsorgeamtes im Fall Zollinger befinden. Dabei geht es über Paragraphenreiterei hinaus letztlich um die provokative Frage, ob Kunst Arbeit sei oder nicht.

Am 30. Juni beginnt, ausgehend von der Gewölbe-Galerie, ein weiterer 24-Stunden-Akt des Lehrstückes „weiter gehen”. Dabei werden verschiedene leere, zum Teil auch bewohnte, Räume in öffentlichem wie in privatem Umfeld, mit einem durchgehenden Wasser tragen als energetische Zeit- und Bewusstseinslinie miteinander verbunden. Thomas Zollinger spricht im Kontext weder von Meditation noch von Theater im Sinne eines konsumfertig präsentierten Stückes. Er betont vielmehr den interaktiven Aspekt, das heisst, die Performance gestaltet, die Räume verbindet und füllt, wer sich mit offener Konzentration daran beteiligt. Grundsätzlich neu ist dieses Wasser tragen nicht. Der deutsche Künstler Klaus Rinke inszenierte schon an der Documenta 1977 in Kassel ein 12-Stunden-Wasser-Tragen. Mutig ist indes die öffentliche Struktur von Thomas Zollingers Konzept. Ihre Fortsetzung erfährt „weiter gehen” am Sonntag, 2. Juli mit einer 40minütigen Gehen-Performance in der Galerie, geführt von der Berner Performance-Künstlerin Susanne Daeppen.