Christoph Büchel u. Bob Gramsma im Kunstmuseum Moutier 2000

In der Kunst steht die Welt zuweilen Kopf

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Oktober  2000

Autos haben sich immer wieder in die zeitgenössische Kunst infiltriert, aber so wie zur Zeit im Kunstmuseum Moutier – nein, das hat niemand vor Bob Gramsma und Christoph Büchel so gemacht.

Die Installation von Bob Gramsma (geb. 1963) und Christoph Büchel (geb. 1966) im Neubau des Kunstmuseums Moutier im Berner Jura kündet sich durch Autowerkstatt-Duft an. Die Vorstellung scheint zunächst richtig: An der Garderobe hängen weisse Schutzanzüge aus knisterndem Material. Auch die halbtransparenten, verkratzten Türflügel zum Seitentrakt weisen auf Werkstatt und harte Materialien. Doch dann ist die Überraschung perfekt: Hinter der Türe ist alles versperrt, man ist praktisch eingeklemmt (hätte man doch einen Schutzanzug gefasst). Auf Augenhöhe vor sich hat man graues, schwarzes Blech so weit das Auge reicht und – in regelmässigen Abständen – Räder, die ihr Rund zu zwei Dritteln in die Luft strecken. Offensichtlich eine Auto-Unterseiten-Plattform. Eine Leiter lockt zum hinaufsteigen. Kinder sind wahrscheinlich im Nu am anderen Ende des Raumes, ältere Semster gehen vorsichtiger – eigenartig weich diese leeren Tanks, Röhren und Gefässe, melden die Füsse von unten nach oben.

Der Eindruck ist köstlich: Die symbolbehaftete Autowelt auf dem Kopf. Der Titel der Arbeit breitet sich im Raum aus: „Und sie wissen nicht, was sie tun”. Ja, ja, James Dean, das waren noch Zeiten als die Road-Movies romantisch waren und voller Seele. Doch vielleicht ist der Titel ins Heute übertragen ja gar nicht eine kritische Parodie – versteckte Romantik findet man in vielen Werken von Künstlern mit 60er Jahrgängen. Und tatsächlich: Es sind nicht 20 Karossen auf dem Kopf in den Raum gezwängt, sondern nur deren 19 – eine im Zentrum fehlt. Da kann man hinuntersteigen, wenn man will, da ist es hell – es steht sogar ein Tischchen da. Mit ein paar Verrenkungen kann man es sich gar bequem machen in den Kopfüber-Sesseln; wer Lust hat, klettert dazu bis in den hintersten Wagen. Man sagt, dort habe die Fantasie am meisten Kraft.

Bob Gramsma und Christoph Büchel gehören beide zur beachteten, jungen Schweizer Kunstszene. Büchel hat eben den St.Galler Manor-Preis erhalten; seine Versuche die Stadt Biel über Annoncen und Plakatwände zu „verkaufen” oder zu „vermieten” prägten das Bild der 10. Schweizerischen Plastikausstellung diesen Sommer. Gramsma hat vor allem mit Raum-Licht-Installationen im In- und Ausland Beachtung gefunden. Ein Künstlerduo sind die beiden aber nicht. Die Moutier-Installation ist ihre erste gemeinsame. Vielleicht ist die Kreuzung der beiden Denkweisen darum so spannend. Hier das Raum-Bewusstsein Gramsmas, das oft darauf angelegt ist, reale Räume in fiktive zu verwandeln und die Spannung dazwischen fühlbar zu machen. Da das Gesellschaftsbewusstsein Büchels, das Vernetzungen schafft, wo normalerweise keine sind. Bei einer Stipendiums-Austellung nutzte er einmal die Gunst der Örtlichkeiten und öffnete einen Durchgang vom Kunstmuseum zum angrenzenden Altersheim. Nun ist das Auto im Museum und der Raum auf dem Kopf. Und die ganze Ambivalenz der Gefühle rund ums Auto ist zur Kunst komprimiert: Das Wissen um den CO2-Ausstoss und die Folgen, die Erinnerung an die heimliche Liebesnacht, das Vollstopfen beim letzten Umzug und vielleicht auch an den Unfall, damals. Das alles fegt durch den abgedunkelten Raum, der eigentlich unter dem Boden wäre, wenn die Autos nicht auf dem Kopf eingelagert worden wären.

Die Gedankenblitze stellen sich vor allem ein, wenn man die Museums-Installation für sich allein hat. Und das ist nicht unwahrscheinlich. Die Genfer Kunsthistorikerin Valentine Raymond führt das kleine, aber feinde Jura-Museum betont zeitgenössisch. Für den Main Stream der Kunstgänger ist Moutier indes weit weg und für das Gros der Bevölkerung das, was sich da tut nur ein Kopfschütteln wert. Aber: einsame Inseln sind zuweilen etwas sehr Spannendes.

Das „Musée jurassien des arts” hätte die Ausstellung nicht aus eigenen Mitteln finanzieren können; wie so vieler Orten am Rand wird mit „nichts” Kunst gemacht. Und es hätte wohl auch nicht viel gebracht, wenn Büchel, wie kürzlich in Wien, das Ausstellungshonorar von 300 Franken in einem Casino aufzubessern versucht hätte. Doch im vorliegenden Fall konnte Moutier vom „Austausch”-Projekt des Schweizerischen Kunstvereins profitieren. Das heisst, die Ausstellung wird im Winter auch im „Centre des arts contemporains” in Genf installiert werden. Begleitet von einem Katalog, der die Moutier-Fassung von „Und sie wissen nicht, was sie tun” dokumentiert.