Elsi Giauque 100ter Geburtstag Ligerz 2000

Sie gab dem Faden in der Kunst eine neue Dimension

www.annelisezwez.ch  Annelise Zwez in Bieler Tagblatt 19. September 2000

 

Wie es der Innenarchitektin Pia Andry gelang, das künstlerische Werk von Elsi Giauque (1900 – 1989) in den (Wohn)-Räumen der Stiftung Aarbergerhauses in Ligerz zu inszenieren, ist ausserordentlich. Eine Hommage der Tochter an ihre Mutter im kleinen Dorf am Bielersee, wo die Künstlerin mehr als 60 Jahre wohnte.

Erstmals wird in einer retrospektiven Ausstellung zum Schaffen von Elsi Giauque nicht einseitig die Künstlerin gezeigt, welche in ihrem Spätwerk zur Pionierin der in den Raum vordringenden Textilkunst wurde. Die Konzeption und Inszenierung von Pia Andry, die heute noch auf der „Festi“ ob Ligerz wohnhaft ist, umfasst vielmehr das gesamte Schaffen bis zurück zu den Perlenstickereien der 20er Jahre, den Puppen des Festi- Marionettentheaters (20er/30er Jahre) und den gewobenen und bedruckten Stoffen für die Haute Couture (20er-40er Jahre). So kommt zum Tragen, dass Elsi Giauques Lebenskunstwerk ein umfassendes, aus der Bauhaus-Zeit gewachsenes ist. Elsi Kleinpeter – so hiess die Künstlerin vor ihrer Heirat mit dem Maler Fernand Giauque – hat als eine der Wenigen das von Sophie Täuber, Otto Morach und Johannes Itten bestimmte Klima an der Kunstgewerbeschule Zürich in der späten Bauhaus- und Nach-Dada-Epoche selbständig weiterentwickelt und zusammen mit Fernand Giauque auf der Festi umgesetzt. Einer der Räume im Aarbergerhaus deutet es an: Die beiden jungen Kunstschaffenden, die in den 20er Jahren in die wunderbar in die Landschaft eingebettete, jedoch arg verlotterte Festi einzogen, versuchten mit eigenen, modernen Möbeln (Fernand Giauque), den entsprechenden Teppichen und Textilien, Kleidern, Schmuck und Theater die Vision einer künstlerischen Welt zu verwirklichen.

Auch die Stoffe, die Elsi Giauque für den Modebereich schuf, gehören in diesen Lebens-Kunst-Kontext. Sie sind in Ligerz als grosse Draperie inszeniert, zusammengehalten vom Gips-Kopf, welche der Bildhauer Jakob Probst einst von Elsi Giauque schuf. In ihrer strengen Geometrie einerseits, dem zurückhaltenden Einsatz von Farben und der Vielfalt der verwendeten Fäden andererseits sind sie Zeugnis derselben Geisteshaltung. Sie zeigen ferner, dass Elsi Giauque nicht nur gewoben, sondern oft auch mit Drucktechniken gearbeitet hat. Mit Fantasie kann man die mitausgestellten Kleider, die Elsi Giauque für sich selbst genäht hat, Marionetten gleich in Bewegung versetzen und dabei etwas von diesem Visionären, über die Stoffe an sich Hinausweisenden spüren.

Vor diesem Hintergrund wird das figürliche Moment, das in vielen späteren, frei in den Raum gehängten Arbeiten aufscheint, deutlicher als je zuvor wahrnehmbar. Elsi Giauque hat den Raum tanzend erobert und die Geometrie der gespannten Fäden als Choreographie eingesetzt; als Kontrast zum weiten Blick, der sich ihr täglich von der Festi aus auf die Petersinsel und die Bielerseelandschaft auftat. Dank Leihgaben, unter anderem „Espace en or“ aus dem Besitz der Eidgenossenschaft, kann die Ausstellung auch das späte, über die Tapisserie-Biennalen von Lausanne international bekannt gewordene Schaffen Elsi Giauques in gültigen Ausschnitten zeigen.

Die Initiative der Gemeinde Ligerz, respektive ihrer kulturengagierten Gemeindepräsiden-tin Hedy Martin, für Elsi Giauque eine Ausstellung zu ihrem 100. Geburtstag einzurichten, wurzelt einerseits im Stolz, dass eine der bedeutendesten Textilkünstlerinnen der Schweiz während 60 Jahren in Ligerz tätig war. Andererseits aber auch in der Enttäuschung, dass keine grosse schweizerische Institution Interesse zeigte, den runden Geburtstag zum Anlass für einen ersten grossen Rückblick nach dem Tod der Künstlerin zu nehmen.

Nun ist dieser Umstand zum Glücksfall geworden: Zum einen ermöglicht der seit 1997 vorliegende, reiche und vorzügliche Oeuvrekatalog von Johanna Morel von Schulthess, dass die Ausstellung „in der Provinz“ kunstwissenschaftlich fundierten Charakter hat. Das äussert sich zum Beispiel in den kurzen Angaben zu den einzelnen Werken. Es besteht kein Zweifel, der Wandteppich „Hommage an Paul Klee“ datiert von 1940; die „Klingende Säule“ von 1978 ist der Prototyp der vielteiligen Installation für das Verwaltungszentrum der Credit Suisse in Zürich; usw. Zu diesem Aspekt trägt auch das von Pro Helvetia realisierte und in die Ausstellung integrierte Video-Porträt von Erika Billeter bei. Zum zweiten eignet sich die biografische Vernetzung und von Ort und Werk bestens dazu, Elsi Giauques Schaffen als Gesamtkunstwerk wahrzunehmen und nicht mehr länger als ein frühes „angewandtes“ Kunstschaffen und ein spätes, sogenannt „freies“. Umsomehr als gerade die heutige Zeit die Trennungen zwischen Design und Kunst mehr und mehr als unsinnige Schubladisierungen empfindet.

Zum dritten, ganz Wesentlichen: Die Nähe zur Festi ob Ligerz rückt die Umstände der Produktion ins Licht, lässt – ebenfalls unter dem Einfluss des Zeitempfindens – auch hier alte Hierarchien fallen. Elsi Giauques Werk ist von Mitte der 40er Jahre bis zu ihrem Tod von der engen Zusammenarbeit mit Käthi Wenger geprägt, die alle Werke Elsi Giauques aufgrund von Diskussionen, Skizzen und Materialentwürfen ausgeführt hat. Nur so war es möglich, dass Elsi Giauque während 20 Jahren die Textilklasse der Kunstgewerbeschule in Zürich leitete und gleichzeitig die „Festi“ halten und ihre Ideen daselbst in Werke umsetzen konnte. Käthi Wenger hat es möglich gemacht; die Ausstellung in Ligerz ist darum zu Recht auch eine „Hommage“ an Käthi Wenger.