L’art public n’est pas toujours pour le public

Eine Vorschau auf „Transfert”, die 10. Schweizer Plastikausstellung in Biel

Bieler Tagblatt 16.06.2000

Nicht weniger als 39 Kunstschaffende aus der Schweiz und der ganzen Welt haben in den letzten Wochen ihre Ideen ins Betriebssystem Stadt eingepflanzt. Ab morgen Samstag sollen sie ihre Blüten treiben.
„Beruhigen Sie sich, es ist nur ein Test”, versucht Marc Olivier Wahler, Direktor der 10. Bieler Plastikausstellung dem in Eile herbeigebrausten Polizisten zu sagen. Das Bild auf Seite 13 der „Transfert”-Programmzeitschrift, sagt worum es geht. Inzwischen hat sich der vom Dänen Henrik Plenge Jakobsen progammierte Rauch verflüchtigt und Polizei und Feuerwehr der Stadt Biel sind informiert: Wenn’s in der Villa Rein an der Zentralstrasse „brennt”, so ist das Kunst. „Das soll Kunst sein”, werden manche Bieler und Bielerinnen den Kopf zum Schütteln bereit sagen. Gegenfrage: Was ist Kunst? Die Kunst hat es wie das Universum, sie dehnt sich in ständig aus. Und am Anfang glaubt die Erweiterung niemand. Das war schon so als die Dadaisten ihre Sprüche klopften, als die Maler nur noch „klecksten” (später hiess das Tachismus), als die Fluxus-Künstler zu ihren Happenings ansetzten, als die Konzept-Künstler nur noch ihre Ideen verkauften usw. Heute bezahlt man für die Pionier-Werke auf Auktionen Millionen.

Als die erste Bieler Plastikausstellung 1954 Skulpturen im Freien zeigte, war das eine Pioniertat. Im Rückblick kaum mehr zu glauben – aus der Pioniertat wurde Selbstverständlichkeit. Auch als die Plastiken die Stadt eroberten und die Künstler vor Ort ihre Spuren einzugraben begannen, war das jeweils neu. Inzwischen haben sich die Skulpturenausstellungen im Freien, die so schön Kunst und Natur, Kunst und Architektur in Einklang bringen wollen, ihren Innovationscharakter verloren. Das zeigt sich zum Beispiel an der Popularisierung: Langenthal steht einen ganzen Kunstsommer lang im „Zeichen des Windes”. Im Solothurnischen wird die Skulpturenausstellung „Container.ch” als „Radwanderweg” angepriesen. Und der geplante „Art Canal” entlang der Zihl wird möglicherweise unter kunsthistorischen Gesichtspunkten auch nichts anderes sein als „Kalter Kaffee”.

Anders „Transfert”, die 10. Schweizer Plastikausstellung in Biel, die morgen Samstag offiziell eröffnet wird. Sie wagt über weite Strecken einen neuen Ansatz und wird dementsprechend Fragezeichen sammeln und gleichzeitig als Pionier-Veranstaltung in die Annalen der Bücher eingehen. Wie sagte es doch der französische Kunsttheoretiker Paul Ardenne, der im Vorfeld der Ausstellung für einen Vortrag in Biel weilte, „l’art public n’est pas toujours pour le public”. Anzufügen ist, dass schon Bernhard Fibichers 9. Plastikausstellung von 1991 den Boden für das Bereitete, was „Transfert” heute ausspielt.

Das Neue steckt im Begriff „Transfert” – Verschiebung. Die vielzitierte „Globalisierung” ist bekanntlich nicht eine Völkerverbindung, sondern ein die ganze Welt dominierendes Marktsystem. In dieses System infiltrieren sich heute viele junge Kunstschaffende, indem sie es nutzen und in ihre Denkweise transferieren. Wenn der Romand Christian Robert-Tissot mit weissen, im Sonnlicht glänzenden Ziegeln den Begriff „Change” auf das Dach der Berner Kantonalbank in Biel schreibt, so benennt er damit zunächst nichts anders als das uns Bekannte, nämlich, dass man in diesem Haus Geld wechseln kann. Nimmt man den Begriff aber als „Kunst”, das heisst als Denkfeld, gerät das Vertraute ins Schlingern. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob das leuchtende Wort auf dem Dach am Ende gar nicht Werbung, sondern eine politische Aktion ist, die Veränderung fordert? Ob nach links oder nach rechts gewendet, die Gedanken sind frei.

Ähnlich agiert der Basler Christoph Büchel. Er stellte bei seinem Besuch in Biel fest, dass Biel zur Zeit eine „Transfert”-Stadt ist. Das heisst, es sind viele Häuser zu vermieten respektive zu verkaufen; überall Plakate. So kopierte er sie und stellt sie nun in ganz gezielte Kontexte, die im Überdenken immer weitere Kreise ziehen. Wenn er das Kongresshaus zum Verkauf ausschreibt, so ist das angesichts der Diskussionen der vergangenen Monate nicht von der Hand zu weisen. Doch damit nicht genug: In einer gobalisierten Welt reicht ein Plakat in Biel nicht. So werden die Anfragen digital nach London übertragen (macht’s die Börse anders?) und dort per Lautsprecher in der Oxford Street bekannt gegeben. Vielleicht geht’s dort unter im Lärm der Stadt, aber Kunst ist auch Spiel. Und so ist auch die Anzeige des zu vermietenden Centre PasquArt nicht ganz ernst zu nehmen, auch wenn damit natürlich auf den Auszug der Künstler aus den Museen in die Stadt angespielt wird.

Noch etwas ist neu an „Transfert”: Das Zielpublikum sind nicht die traditionellen Kunstlieberhaber, sondern die Leute in der Stadt (ob sie das nun wollen oder nicht). Intellektuelle Vorkenntnisse braucht es keine, um die Kunst der Jungen zu verstehen. Wer kennt nicht den berühmten Song von Louis Armstrong „What a wonderful World”. Indem der Amerikaner Jonathan Monk den Song von einer durch die Strassen fahrenden Band wieder und wieder spielen lässt, eignet er sich den Glamour des Songs an und holt ihn zugleich vom Sockel, indem er ihn zur Litanei verkommen lässt: Transfert.

Eines ist die neue, junge Kunst der Jahrtausendwende nur noch selten: Ein visuelles Erlebnis. So ist der Ratschlag vielleicht gar nicht so falsch: Um „Transfert” zu geniessen, setze man sich in Bistro, bestelle ein Bier oder ein gutes Glas Wein und lese dazu das vom Verlag W. Gassmann AG gesponserte Programmheft oder den morgen Samstag zur Vernissage erscheinenden Katalog. Wesentliches von „Transfert” kann man nämlich im Kopf abspulen. Und da ist man dann auch beim Paradox der aktuellen Kunst: Die Kunstschaffenden arbeiten sehr präzise vor Ort – da fotografiert eine Simone Decker während Tagen kleine Fische in der Stadt, da montiert eine Ulrike Gruber mit grossem Aufwand Klettergriffe am Turm des Kongresshauses. Doch für die Rezeption reicht ein Bild oder das Werk selbst ist letztlich „nur” ein Bild. Realität und Virtualität vernetzen sich ebenso wie Kunst und Stadt.

Der Link zu „Transfert”: www.transfert-b.ch