Martin Kersels – erster Museumsauftritt in Europa_ Kunsthalle Bern 2000

Jedes Beben hebt die Welt aus den Angeln

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 1. Feb . 2000


Wenn Künstler aus Los Angeles in Europa auftauchen, wird meist auf ihre Nähe zu Hollywood hingewiesen und auf die Erfahrung ständiger Erdbeben. Beides prägt die Ausstellung von Martin Kersels in der Kunsthalle Bern.

Der 40jährige Kalifornier Martin Kersels ist 2.04 Meter gross und wiegt 160 kg. Diese Grösse und Körperfülle prägt das Leben des Künstlers, tagein, tagaus. So kann er jeweils nur 1 bis 2 Stunden stehen, dann muss er sitzen oder liegen. Weil er indes diesen Körper akzeptiert, erscheint er in seiner Kunst nicht etwa als Trauma, sondern als Gegebenheit, mit der es so und nicht anders zu arbeiten gilt. Humor spielt dabei eine wichtige Rolle.

Das Gleichgewicht halten ist für Kersels nicht selbstverständlich. Wohl gerade darum hat ihn Tanzen, Bewegen, Fliegen, Fallen von Anfang an fasziniert. Seine Karriere als Künstler begann er in der Performance-Szene. Auch in Bern sind mehrere Arbeiten zu sehen, die sich zwischen Fotografie, Film, Installation und Performance bewegen.

Ein als Kleinbild projizierter Super-8 Film zum Beispiel zeigt ihn, wie er auf dem Flachdach eines Hochhauses tanzt; ganz offensichtlich mit viel Freude und Lust. Dass die Luftsprünge für ihn ausserordentlich anstrengend sind und die Nähe des Abgrundes für ihn keineswegs harmlos ist, wird erst in der Reflektion bewusst.
Dass in dem kleinen Film die Musik-Box als mannshohes Objekt auf dem Dach sichtbar ist, weist auf eine weitere Komponente, die sich als eine Art Hollywood-Faden durch sein Werk zieht. Es ist das objekthafte Aufzeigen wie ein Bild, ein Geräusch, eine Szenerie entsteht; quasi die Kehrseite des Tricks wie er das Filmbusiness beherrscht.

So zeigt Kersels eine Vielzahl von funktionsorientierten Objekten, die mit einfachsten Mitteln überraschende Effekte aufzeigen. Da ist auf einem Tisch zum Beispiel ein kleines Kissen, das, wenn man es knautscht – und das darf man als Ausstellungsbesuchende – ein Geräusch erzeugt, das sich verblüffenderweise wie das Gehen auf trockenem Schnee anhört. Weniger harmlos ist gleich daneben ein violettes Frottétüchlein mit einem eingewickelten, gerillten Holzstab. Denn bricht man das Holz, meint man Knochen brechen zu hören….

Kersels gehört zu einer Generation von amerikanischen Künstlern, für die neue Bild-Medien und materielle Objekte keine ideologischen Antipoden sind, sondern je nach Bedürfnis eingesetzt werden. Im Hauptsaal zum Beispiel ist ein völlig verschlossenes Wellblech-Häuschen aufgebaut, aus dem bedrohliche Geräusche kommen. Über Video kann man scheinbar hineinsehen und beobachten wie er der Künstler geradezu manisch getrieben im Kreis geht und dabei das Gleichgewicht immer mehr verliert. „Die immer wiederkehrenden Erdbeben, die jedes Mal die Welt aus den Angeln zu heben schienen, haben meine kindlichen Erfahrungen sehr stark geprägt“, sagt Kersels. Das ist nicht nur in dieser Installation indirekt präsent, sondern auch in Fotografien, in denen sich Kersels fallend oder kreisend zeigt. Ganz anders in einer Installation, in der Bass-Geräusche Wasser zum Vibrieren bringen. Immer funktioniert diese Methode allerdings nicht, im anderen Raum, wo er Wasser durch Schreien zum Kochen zu bringen versucht, scheitert er kläglich.

Humor und viel Lust, das Leben und seine Bedingungen sichtbar zu machen, prägen das spannende Werk des Künstlers, das durch die Erlebnishaftigkeit hindurch Grundlegendes zu Sein und Fühlen zum Ausdruck bringt. Gerade darum, so meint Bernhard Fibicher, Leiter der Kunsthalle Bern, findet er im Verständnis der Europäer letztlich mehr Nachhall als die grossspurigen Installationen seiner kalifornischen Freunde wie Jason Rhoades oder Paul McCarthy. Näher ist er da schon dem Konzeptkünstler Christopher Williams, dessen Fotos unter anderem darauf abzielen, Hollywoods Trick-Praktiken zu entlarven (Kunsthalle Basel, 1997).