Rémy Zaugg zeigt die Sammlung Jungo Kunstmuseum Lausanne 2000

„Regarde, tu es le tableau”

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt Juli 2000

Der jurassische Konzeptkünstler Rémy Zaugg (geb. 1943) ist eine der grauen Eminenzen der Kunst in der Schweiz. Als Ausstellungsmacher zeigt er im Kunstmuseum Lausanne die Sammlung seines Freundes Jean-Paul Jungo.

Ob es sich um einen Museumsneubau von Jean Nouvel oder Herzog&DeMeuron handelt, ob es um einen Kunst am Bau-Direktautrag der Eidgenossenschaft geht oder um die Präsentation der Kunstsammlung eines Freundes, immer wieder taucht der Name des in Porrentruy aufgewachsenen Rémy Zaugg auf. Keiner hat hinter den Kulissen so viel Einfluss wie er.

Als Künstler hat sich der in Basel lebende schon in den 70er Jahren – der Hochblüte der Konzeptkunst – von jeglichem Abbild zurückgezogen, um sich auf das Nachdenken über die Wahrnehmung der Kunst als Spiegel der Welt zu konzentrieren. Seit langem sind seine Bilder Worte: „Vois, ce qu tu vois” oder „Figure toi, tu es le tableau” heisst es zum Beispiel in Grossbuchstaben auf zwei Bildern von 1991.

Zaugg ist nicht zuletzt darum ein hervorragender Theoretiker, weil er trotz allem immer „Bilder-Macher” bleibt, auch wenn diese kein Gesicht haben und nur in unserer Vorstellung generiert werden. Der Reduktion der Bilder steht Üppigkeit im Bereich der Dokumentation gegenüber. Es gibt mehr als 40 Bücher von oder über Rémy Zaugg. Er ist aber nicht nur in seinem Kunstschaffen konsequent und überlegt. Zaugg ist in analoger Weise auch ein raffinierter Stratege. Indem er sich, analog seinen Bildern, mit einer Allüre der Verweigerung umgibt, schafft er Bedürfnisse. Und so ist der, dem er zusagt, a priori ein Geehrter. Das ist, unabhängig von der Qualität seiner Kunst-Philosophie, sein Macht-Mittel. Selbst wenn sich dies quasi indirekt vollzieht. Denn immer mehr wollen „Zaugg” in ihrem „Label” haben.

Drei Beispiele: Weil sich Rémy Zaugg, im Kern wohl verletzlicher als er sich gibt, a priori keinen Wettbewerben unterzieht, erhielt er vor einigen Jahren – entgegen der üblichen Praxis – von der Eidgenössischen Kunstkommission die künstlerische Gestaltung eines neuen Verwaltungsgebäudes des Bundes an der Monbijoustrasse in Bern als Direktmandat. Budget: 1 Million Franken. Die Reflektion über die Schweiz, die er mit Namen sowie geologischen, botanischen, geographischen Begriffen einkreist, überzeugt. Zu Hinterfragen ist aber die Struktur. – Oder: Das kürzlich eröffnete Kunstmusem Luzern wollte nicht nur einen „Nouvel”, sondern auch einen „Zaugg” . Resultat: Ein Zwitter zwischen einem erzählerischen Architekten und einem jegliche Bild- oder Materialverführung verweigernden, zauggschen „White Cube”. Oder: Der über die Romandie hinaus bekannte Westschweizer Kunstsammler Jean-Paul Jungo wird vom Kunstmuseum Lausanne eingeladen, seine Sammlung zu zeigen. Da dies dem Banker und Kunstliebhaber als Selbstbeweihräucherung erscheint, lädt er Rémy Zaugg ein, dies mit einer „carte blanche” für ihn zu tun. Das Resultat ist bis zum 1. Oktober im Kunstmuseum Lausanne zu sehen. Die Steigerung ist perfekt: „Jungo multipliziert mit Zaugg”.

Doch Zaugg auf dem Präsentierteller: Oh, nein. An der Pressekonferenz erfährt man gerade mal, dass Jungo nicht nur „Amateur de l’art” ist, sondern auch Film-Förderer (er leitete in 70er und 80er Jahren den Lausanner Ciné-Club) und ein Literaturkenner. Darum habe er, so Zaugg, die Ausstellung als „Kino” (real – mit Vorführungen), als Kunstmuseum und als Bibliothek eingerichtet. Interessant, aber nicht gerade umwerfend. Wer mehr wissen will, soll sich gedulden: In einem Monat etwa wird der Katalog erscheinen; mit mehr als 400 Seiten. Bis dahin gibt es nicht einmal eine Liste der ausgestellten Werke. Wie sagte doch Zaugg einmal: „Vois, ce que tu vois” oder „Ne cherche pas, ici, une chose, qui n’y est pas”.

Und das treibt er weiter: Nach dem Hauptsaal mit Werken von Maria Markus Rätz, Franz West, William Copley, Maria Lassnig tritt man in einen Raum, der tapeziert ist mit Arbeiten auf Papier – in verschiedenen Grössen, in unterschiedlichen Rahmen und vor allem auch Stilen, so wie das einer Privatsammlung entspricht. Beschriftung: Nicht vorhanden. Man hat sogar den Eindruck, Zaugg spiele in der Platzierung mit der Tugend (oder Untugend?) vieler Kunstschaffender, ihre Werke nicht zu signieren. Gewiss, einiges hat man im Rucksack: Die drei da oben sind unzweifelhaft von Miriam Cahn und der Sonnenuntergang dort von Jean Frédéric Schnyder und die Zeichnung da von Ilse Weber, doch bald gibt es nur noch Fragezeichen – ist das oder etwa doch nicht, könnte das oder eher nicht? Gerade Aquarelle, Zeichnungen, Skizzen sind, aus dem Kontext herausgenommen, oft schwierig einzuordnen. Zeichnet Zaugg eine Satire auf das Kunst-Sammeln, weist er auf die Illusion der Bild-Sprachen hin? Oder zeichnet er letztlich indirekt das, was Jungo als Kunstsammler ausmacht: Den sich immer wieder begeistern Lassenden, der aus ganz persönlichen Gründen kauft, dem das Gespräch mit den Kunstschaffenden so wichtig ist wie die Qualität ihrer Bilder, der als Sammler mit seiner Kunst letztlich sich selbst darzustellen versucht? Zeigt Rémy Zaugg durch die Bilderflut auf, dass dieses Persönliche, dieses „Regarde, tu es le tableau”, letztlich nicht vermittelbar ist? Möglich, dass er so dachte.

Umsomehr als der Kern der typischen 70er/80er-Jahre-Sammlung eine Reihe von Zeichnungen des in der Romandie lebenden Franzosen Pierre Klossowski (geb. 1905) bildet. Der, anders als Rémy Zaugg, das Schreiben von Romanen aufgegeben hat, weil Worte nicht die psychische Komplexität von Bildern evozieren können. Und somit durch die bildende Kunst Geschichten erzählen, deren Intimität in Worten nicht vermittelbar ist.

Der Buch-Katalog erscheint Mitte August.