Anne Katherine Dolven in der Kunsthalle Bern. Bis 20.05.2001

Sucht im Video die Intensität der Malerei

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 9. April 2001

Anne Katerine Dolven (48) ist Norwegerin. Nicht erstaunlich darum, dass der berümte „Kuss“ ihres Landsmannes Edward Munch sie zu einer Neuinterpretation herausforderte. In Videotechnik, mit pulsierendem Bass.

In den Hauptraum der Kunsthalle Bern liess Anne Katerine Dolven einen geschlossenen Raum mauern. Dumpfe Kellerclub-Atmosphäre. Im Videohochformat ein Paar, das sich küsst. Er, links, etwas grösser; sie, rechts, etwas kleiner. Gezielte Überbelichtung lässt ihre Gesichter und ihre Hände nicht nur weiss erscheinen, sondern im Kuss verschmelzen. Körper und Umfeld sind dunkel. Ihre Haltung sowie das rote Ohr und das rote Armband verdeutlichen: Der Bogen zu dem vor gut 100 Jahren gemalten „Kuss“ von Edward Munch ist nicht Zufall. (Das Bild war übrigens in den 20er-Jahren in der Kunsthalle Bern ausgestellt).

So wie sich Menschen … seit wann eigentlich? … küssen, so ist „The Kiss“ der heute in London lebenden Norwegerin nicht ein Munch-Plagiat, sondern Antwort auf die Frage, wie mit dem Medium Video analoge Intensität erzielt werden kann. Drei Mittel setzt sie hiezu ein; vom Licht war schon die Rede, hinzu kommen – der „House Music“ entlehnt – herausgefilterte Bass-Klänge, die pulsierendem Atem gleich, die unsichtbare Erregung der Körper im engen Raum fühlbar macht. Und als drittes, das Real Life Moment: Das heisst, die hier und in anderen Arbeiten stets aus dem Freundeskreis der Künstlerin stammenden Schauspieler umarmen sich in der gezeigten, nach innen gerichteten Langsamkeit, ohne Videoschnitt, ohne Verlangsamung oder Endlosschlaufe.

Solcherart bewusster und wirkungsorientierter Umgang mit dem Medium – sei es Video, sei es Malerei – charakterisiert das ausgesprochen spannende Schaffen der Künstlerin. Dem seit 1998 amtierenden Kunsthallen-Leiter gelingt es einmal mehr, eine hierzulande unbekannte zeitgenössische Position von überzeugender Qualität zu präsentieren. Zugleich dokumentiert die Ausstellung das mehr und mehr sichtbar werdende Profil des Hauses unter Fibicher. Dieses zeigt sich, im Gegensatz zur shooting-star-orientierten Kunsthalle Zürich und zu der etwas langweilig gewordenen Kunsthalle Basel, in der Aufmerksamkeit für Wechselwirkungen von präziser Inszenierung und bewusster Bildhaftigkeit sowie der Verquickung von materiellen und immateriellen Aspekten. Als Beispiele seien neben Anne Katrine Dolven die Ausstellungen von Marie-José Burki, von Martin Kersels, von Kim Sooja, aber auch „White Noise“ und „I never promised you a rose garden“ erwähnt.

Die Qualität der Ausstellung von Anne Katrine Dolven liegt nicht, wie bei Kim Sooja zuvor, in Geschlossenheit, sondern in Vielfalt, vernetzt durch Bezüge zur Kunstgeschichte, durch Bewusstheit im Einsatz der Medien sowie die Gleichzeitigkeit von Form und Emotionalität. Das ist zwar nicht grundsätzlich neu, doch in Präzsision und Synthese eindrücklich. Da ist unter anderm der Umgang der Künstlerin mit dem technisch jungen Video-Flachbildschirm, der einem Bild gleich an der Wand hängt und darum von Dolven bildhaft bespielt wird. Das „Porträt mit Zigarette“ zum Beispiel zeigt eine junge Frau in Pose und Farbigkeit eines Porträts aus dem 18./19. Jahrhundert. Einen Moment lang ist’s als rauche das Bild, dann erst verraten die langsamen Bewegungen das Video, das schliesslich ins Filmische kippt, wenn die junge Frau mit einer Fernbedienung das Musikprogramm im Raum bestimmt.

Ganz anders die Dolvens Malerei. Aluminiumplatten mit einer dünnen geschliffenen beige-weissen Haut. Der erste Blick zeigt fast nur Schatten, ähnlich wie die atmende Schneelandschaft im etwas älteren Video im Aare-Saal. Dann zeigen sich die Formen – schlangenartige Stränge, die sich jugendstilhaft um ein leeres Inneres ranken, das, je länger man schaut, immer mehr Körperform annimmt. Und plötzlich werden die Bilder, die scheinbar so weit weg von den Videos sind, zu ihrem abstrakten Atem, ihrer Ausstrahlung – ihrem romantischen Lichtspiegel.

Die Ausstellung ist reich: Da ist auch eine rote Tulpe – Inbegriff des holländischen Stillebens – die Dolven mit weisser Farbe bemalt. Das Video zeigt den Vorgang freilich rückwärts, das heisst von der Malerei zurück zur Natur. Ist der Monitor in diesem Fall auf Herzhöhe platziert und das Auge neigt sich leicht, begegnet der Geradeausblick den auf die Säle verteilten, sich küssenden Video-Paaren unterschiedlichen Alters auf Herzhöhe. Ein dreiteilige Grossprojektion schliesslich zeigt drei ältere Frauen in nordischer Landschaft, welche die Bildfläche rückwärtsgehend queren. Keine Arbeit, die nicht konzeptuell durchdacht ist.

Bis 20.05.2001