Hans Danuser Fotomuseum Winterthur 2001_2002

Auf der Suche nach nie gesehenen Bildern

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 16. November 2001

Hans Danuser (49) gehört mit Balthasar Burkhard (56) zu den wichtigsten Schweizer Fotografen. Beide haben der Reportagefotografie neue Dimensionen gegeben. Neues von Danuser zeigt jetzt das Fotomuseum Winterthur.

Drei Werkgruppen bestimmen die Ausstellung des in Zürich lebenden Bündners Hans Danuser im Fotomuseum Winterthur: Die Weiterentwicklung der „Frozen Embryos“, neue Arbeiten aus dem Umfeld „Strangled Bodies“ und – erstmalig – Bodenarbeiten zum Thema „Erosion“. Die Titel, für sich betrachtet, weisen auf Dramatik, auf gewaltsamen Tod und das Auswaschen von fruchtbarer Erde. Das ist so gewollt. Die Bilder zeigen indes nichts als kristalline Eisfelder respektive helle, faltig vernarbte Haut und in Bewegung erstarrten, dunklen Schiefersand. Die Reduktion auf eine modulierte Grau-Farbigkeit steigert die Abstraktion zusätzlich. Hans Danusers Werk entzieht sich dem unmittelbar Abbildenden, ohne es zu verlassen.

Denn die Eislandschaften der „Frozen Embryos“ stammen tatsächlich aus den Labors der Pathologie. Und die Hautfelder der „Strangled Bodies“ sind Fragmente einer Leiche in der Rechtsmedizin. Die „Erosionen“ aus den Bündner Bergen sind Blicke auf kahle Erde in Bewegung, angehalten in der Zeit. Alle drei Gruppen zeigen Oberflächen – kristallin gebrochene, organisch gewachsene, als Masse fliessende. In allen Fällen zeigen die durchwegs 140 x 150 Zentimeter grossen Bilder Vergrösserungen, mit unterschiedlichen Koeffizienten. Und alle sind zu Zyklen gefügt, 5er-, 10er-, 18er-Gruppen, jedes Bild eine Variation des vorausgegangenen. Rhythmen, die sich steigern. Und potenzieren durch die Variierung der Serien ihrerseits. Von den Frozen Embryos zum Beispiel zeigt die Ausstellung die Serien III und X, hier wie dort gebrochenes Eis, jedoch bei minim veränderten Temperaturen aufgenommen.

Nicht immer waren Hans Danusers Zyklen so stark abstrahiert. In den 80er Jahren stand sein Werk für das Öffnen von Türen zu Tabuzonen. Lange vor der Gold-Diskussion arbeitete er in den Kellern der Nationalbank. Oder in den Leichenhallen von Spitälern. Oder in den Sicherheitstrakten von Chemie- oder Atomkraftwerken. Dennoch nannte er sein Werk „in vivo“ – im Lebendigen. Die Rezeption seines Schaffens würdigte zum einen die „alchemistische“ Perfektion der Technik, seine Langatmigkeit beim Einholen von Bewilligungen und – inhaltlich – das hochpräzise, oft gar sterile, Eindringen in die Machtzentren der Gesellschaft. Die Ausstellung im Kunsthaus Zürich, 1996, zeigte dann einen ersten Schub Abwendung von der Repräsentation des Sichtbaren, zur Darstellung des Unsichtbaren.

Die ersten „Frozen Embryo“-Serien zeigten zwar noch eine Art Fötus auf Eis, doch im Entwicklerbad so aufgehellt, dass man den Eindruck einer geradezu gläsernen Situation hatte. Und die ersten „Strangled Body“-Serien waren so dunkel gehalten, dass es eher um ein Ahnen als ein Sehen ging. Der Weg zur aktuellen Ausstellung ist scheinbar nicht weit, Danuser arbeitet über Jahre mit nur mit sehr wenigen Aufnahmen. Die Entwicklung seines Werkes vollzieht sich weniger über Kamera und Abbild als vielmehr über Transformation, über die nie erlahmende Suche nach nie gesehenen Bildern.

Viele spielen heute mit Bildveränderung – jede Photoshop-Software macht’s möglich. Doch Danuser arbeitet an der „Materie“, so wie die Naturwissenschafter in ihren Labors letztlich auch. Danuser klont, nimmt weg und fügt hinzu und schafft daraus Neues, das an der Basis immer noch das Alte ist. So imitiert er und entlarvt er. So zeigt er das Verführerische und das Unheimliche. Je abstrakter seine Bilder werden, desto weniger zeigen sie das Bedrohliche, bis das über die Titel in Gang gesetzte Bewusstsein ihre Dimension erkennt und erstarrt. Nicht zufällig heisst die neue Ausstellung „Frost“.

Hinzu kommt die übergeordnete Dimension der drei Werkgruppen, die thematisch vor der Geburt einsetzen und nach dem Tod enden, verbunden durch eine 18- respektive 6teilige Serie von „Erosionen“. Felder, die die Haut der Erde in Wandlung zeigen – vor der Geburt neuer Formationen und – vielleicht – nach dem „Tod“ vorausgegangener. Ob gewaltsam verändert, durch einen Felsturz zum Beispiel, oder als Lauf der Zeit eingefangen, ist nicht definiert. Das „in vivo“ findet hier vom Leben heute zum Lebendigen und Tödlichen an sich, wobei er das emotionale „Gewicht“ der Arbeiten durch Kinderreime in verschiedenen Sprachen, aufgemalt auf die Wände des Museums, bricht: „Piff, paff, puff und du bisch ehr und redlich duss“.

Das begleitende Künstlerbuch im Scalo-Verlag erscheint Ende November.