Charles Wyrsch, Christoph Rütimann, Ana Mendieta im Kunstmuseum Luzern

Sehen, spüren und malen im Raum

Im Zentrum steht die bisher grösste Ausstellung der Kuba-Amerikanerin Ana Mendieta (1948-1985) in der Schweiz. Die Überraschung sind die Querverbindungen zu Charles Wyrsch (82) und Christoph Rütimann (47).

Auch die zweite Ausstellungsrunde von Peter Fischer als neuer Direktor des Kunstmuseums Luzern ist ein Volltreffer. Obwohl der Zufall eigentlich nur ein Surplus ist. Die bedeutendste der drei laufenden Ausstellungen ist zweifellos die erstmalige Präsentation der frühen Performances der 1985 auf tragische Weise verstorbenen Kuba-Amerikanerin Ana Mendieta. Die Künstlerin gehört zu den Pionierinnen selbstbewusster Kunst von Frauen in den 70er Jahren. Der biographisch-kulturelle Hintergrund weist ihr Schaffen in komplexe Zusammenhänge zwischen afrokubanisch-katholischen Wurzeln, feministischem Aufbruch und zeitgenössischer Kunst. Lust und Leiden sind eng verquickt.

Was nach dem Rundgang entlang den „Body Tracks“ – fotografisch festgehaltene Körperspuren und –zeichen zwischen Inszenierung und Ritual – verblüfft, ist das (ungeplante) Echo in den Arbeiten des 82jährigen Luzerner Malers Charles Wyrsch. Ist Lokales und Internationales zuweilen doch nicht so weit voneinander entfernt? Wyrschs Ausstellung geht auf ein Jahre zurückreichendes Versprechen zurück, doch jetzt paaren sich seine neuen Frauenkörper-„Porträts“ auf Blech und seine Selbstporträts im Dialog mit dem Tod in eindrücklicher Weise mit den Körperarbeiten Mendietas. Sie legt sich 1975 – noch während ihrer Ausbildung an der fortschrittlich orientierten Universität in Iowa – auf einer saftig grünen Wiese auf ein knöchernes Skelett; umarmt in einer nur für die Kamera bestimmten Performance den Tod an der Schnittstelle zum Leben. Charles Wyrsch zeichnet Hunderte von kleinen, ungeschönten Selbstbildnissen in engstem Dialog mit dem Totenschädel seiner eigenen Grossmutter.

Ana Mendieta setzt ihren Körper ein, um ihn in seiner tiefsten Verbindung mit der Erde, dem Wasser, dem Feuer, dem Blut zu inszenieren. Um Entgrenzung zu spüren, zum Leiden und zum Leben hin gleichzeitig. Um die Sehnsucht nach ihrer Kindheit auf Kuba und ihre Existenz als amerikanische Künstlerin in den 70er Jahren zu transzendieren. Charles Wyrsch malt derweilen den „schlafenden“ Frauenkörper als Projektion seiner eigenen am Leben leidenden Existenz, nackte Haut auf nacktem Blech. Die Vergleiche hinken letztlich, doch die emotionale Qualität lässt Nähe spüren, die ohne die aktuelle Ausstellung wohl nie jemandem in den Sinn gekommen wäre.

Beziehungen ergeben sich auch zwischen dem Werk Mendietas und jenem von Christoph Rütimann; konzeptionelle und strukturelle. Mit Ausnahme einer unmittelbar auf Fotografie ausgerichteten Reihe, in welcher die 24jährige Mendieta ein Glas an ihren nackten Körper drückt und so zugleich transparente wie unbeugsam harte Grenzen sichtbar macht, sind (fast) alle Arbeiten Dokumentationen von Performances. Zwar ohne Publikum auf Bildwirksamkeit hin inszenierte, aber dennoch Dokumente, die erst in zweiter Linie Kunstwerk-Charakter haben. Viele wurden erst Ende der 90er Jahre als Editionen neu herausgegeben, um dem Schaffen Mendietas weltweit mehr Echo zu verschaffen.

Auch die Ausstellung von Christoph Rütimann – einem der wichtigsten Schweizer Konzept-Künstler – ist Dokumentation einer Performance. Unter dem vieldeutigen Titel „Am Museum hängen“ liess sich der lange in Luzern wohnhaft gewesene im Mai dieses Jahres, eingebunden in eine solide Metallkonstruktion, an der Wand des Museums hochziehen und unter dem Dach um das Museum, respektive das Kunst- und Kongresszentrum, herum fahren. Was jetzt zu sehen ist, sind primär die Metallkonstruktionen, einige technische Angaben sowie Monitor-Videos der Performance, die wegen Nacht und Regen nur mittlere Qualität haben. Mit anderen Worten, die „atemberaubende“ Situation von der Peter Fischer im Begleitbuch schreibt, ist abwesend. Während sich Mendietas Performances durch die fotografische Dokumentation zu Bildern mit emotionaler Kraft weiten, von ihrer körperlich-kultischen Direktheit her vielleicht sogar überhaupt nur medial, das heisst als Fotografien, aushaltbar sind, vollzieht sich derselbe Prozess bei Rütimann lediglich intellektuell.

Anders verhält es sich mit den drei Begleitpublikationen. Hier werden die Fotos von Mendieta zu illustrativen Dokumenten, ergänzt und vertieft durch wertvolle biographische und kulturelle Hintergrundinformationen (es handelt sich übrigens um die erste deutschsprachige Monographie zu Leben und Werk von Ana Mendieta). Während die Fotos, Dokumente, Pläne, Texte im aufwändigen Katalogbuch (Edizioni Pereferia) zu Rütimann durch die konzeptuelle Vertiefung, die Erweiterung um frühere Performances zum gleichen Thema, zum dichten, spannenden und faszinierenden Kopf-Erlebnis werden. Das zu Charles Wyrsch erschienene Buch „Edith“ (ebenfalls Edizioni Periferia) ist eine menschlich anrührende, dichte Auseinandersetzung des 82jährigen Künstlers mit seiner gleichaltrigen Lebenspartnerin und dem Thema „Porträt“ an sich, ohne indes die geschilderten Zusammenhänge aufzunehmen.

Luzern. Kunstmuseum: Ana Mendieta, „Body Tracks“. Publikation: 38 Franken (48 im Buchhandel). Bis 23. Februar 2003. Christoph Rütimann, „Hängen am Museum“. Publikation: 58 Franken (68 im Buchhandel). Bis 12. Januar 2003. Charles Wyrsch, „Aufzeichner und Auslöscher“. Publikation:58 Franken (68 im Buchhandel). Bis 1. Dezember 2002.