Expo.02: Unser aller Honigtopf

Swisspanorama: Geranien und mehr im Monolithen. Bis 20.10.2002

Weil der Monolith zu den Must der Expo gehört, hat das „Swisspanorama“ einen Top-Platz. Zu Recht. Das Geranien-Feuerwerk nehmen die Expo-Besuchenden als bleibendes Bild mit nach Hause. Doch es gibt mehr.

„Ja, es ist so, der Geranien-Clip entstand in der Anfangsphase und hat sich im Gegensatz zu anderen Sequenzen nie mehr verändert“, sagt Swisspanorama-Projektleiterin Ursula Freiburghaus. Offenbar sind rote Geranien – und auch gelbe Dahlien und kleine Margeriten – ein so typisches Bild für die Schweiz, dass es für visuelle Gestalter/-innen ebenso gesetzt ist wie für die Besuchenden, die „Ah!“ und „Oh!“ nur knapp unterdrücken, wenn sie sich in die fallenden Blumen eingehüllt fühlen. Niemand, der da auch nur einen Zentimeter von seinem Platz rücken würde.

Wer genau hinschaut, sieht indes nicht nur Blumen, sondern auch das Konzept, das hinter Swisspanorama steckt. „Wir wollten ein Bild der Schweiz jenseits des politischen Alltags zeigen, das aber dennoch nicht blind ist“, sagt Mitautorin Claudia Müller. So kommen die Geranien nicht aus dem Nichts, sondern – im Clip sichtbar – aus Schweizer Blumen-Kistchen, die es so (zahl)-reich wohl nirgends sonst auf der Welt gibt. Spieglein, Spieglein an der Wand, wer hat den schönsten Balkon in diesem Land?

Es ist nicht Ironie, die leitet – weder bei den Geranien noch den Plüschtieren – sondern eine Art offenes Bekenntnis zu unseren trivialen (und illusorischen) Bedürfnissen nach Schönheit und Liebe, das da reflektiert. Es ist auch nicht ein Tourismusblick, der bestimmt; die winterlich grauen Fassaden schweizerischer Einheits-Wohnblöcke erinnern in ihren Auf- und Zu-Bewegungen zwar an eine Handharmonika, doch darin klingen viele Geschichten an und nicht nur heile.

Swisspanorama ist eines der wenigen Projekte, das in der ersten Mitmach-Kampagne der Expo.01 eingereicht und angenommen wurde und schliesslich von dem Team realisiert wurde, das von Anbeginn die Initiative ergriffen hatte. Es ist ein reines Expo-Projekt mit einem Produktionsbudget von 3 Mio Franken. Das Autorenteam setzt sich aus neun Basler Künstler/-innen sowie Architekten, Grafikern, Technikern zusammen. Unter ihnen die Schwestern Claudia und Julia Müller, die auch in ihrem freien Schaffen Triviales thematisieren und auf die Kunstbühne heben. Und das Künstlerpaar Monica Studer/Christoph van der Berg, die unter anderem mit digital generierten Bildern der Schweizer Alpenwelt in problemlose (virtuelle) Ferien einladen (vgl. BT vom 2.Juli). „Wir haben als Team gearbeitet“, betont Claudia Müller und „die kritische Begleitung des Geamtprojektes durch Martin Heller war für uns sehr wichtig“, doppelt Ursula Freiburghaus nach. Dennoch sind die beteiligten Künstler/-innenblicke offensichtlich und das ist gut so, denn Swisspanorama lebt nicht nur vom riesigen, ausschliesslich aus bestehenden Abbildungen und Fotos zusammengetragenen Bilderfundus, aus dem es geformt wurde, sondern von der Interaktion der gewählten Bilder untereinander, der Vereinzelungen, Fragmentierungen und Totalen, der Bewegungen, Proportionswechsel, Schichtungen innerhalb eines Kosmos, der Schweizer Gegenwarts-Archetypen einem Kaleidoskop gleich immer neu aufmischt.

Dabei gibt es viele Finessen – etwa der Begriff „Häuslichkeit“, der sich herstellt aus dem Blick auf die Schweiz von oben über eine Verflüssigung in Farbstreifen, die sich bald als Blech-Lawinen zu erkennen geben, die daraufhin zu Spielzeugautos werden, die über die Perserteppiche in den Schweizer Stuben flitzen. Oder das Selbstverständnis mit dem die multikulturelle und Generationen übergreifende, aber auch die reale und die vom Fernsehen virtuell geformte Schweizer Bevölkerung zur Totalen vernetzt wird; „fascht e Familie“.

Raffiniert ist die über 10 computergesteuerte Projektoren zum 360°-Panorma gefügte Technik, die mit Einzelbildern arbeitet, diese aber digital so animiert, dass der Film gestreift wird. Die spotartige Varietät lässt indes die geradezu musikalische Kombination von Bilder aus verschiedensten Kontexten und Zeiten zu – als Beispiel der Tanz der Masken, der bei genauem Hinsehen Jahrtausende auf der Bild-Bühne zusammenführt.

Fraglich ist ob es, um dem Arteplage-Thema „Augenblick und Ewigkeit“ gerecht zu werden, notwendig war eine Art Schöpfungsmythos über Wasser und Alpenfaltung einzubringen. Ob nicht die Gegenwart mit Spurenelementen aus der Vergangenheit genügt hätte. Erstaunlich auch, dass der „Durchhänger“ des 20-Minutenloops – die Dekonstruktion eines Schweizer Chalets, das sich aus den Zeitangeln hebt und über die heutige Schweiz fliegt – innerhalb des Teams nie umstritten war. Und ganz klar, dass kritische Geister das Projekt als zu mehrheitsfähig abqualifizieren und etwas salopp von „unser aller Honigtopf“ sprechen. Sie haben nicht unrecht, aber im kleinen Leben vieler Schweizerinnen und Schweizer lebt es sich so wie hier gezeigt – mitsamt Butter und Honig auf dem Frühstückstisch.