Schweizer Künstler/-innen in der Ukraine 2002

Nicht einfach Päckchen hin und her tragen

www.annelisezwez.ch  Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 25. September 2002

Auf Initiative Andreas Meiers und in Zusammenarbeit mit Pro Helvetia stellen zur Zeit neun Schweizer (primär Berner) Künstler/-innen in Kiew (Ukraine) aus. Unter ihnen Andrea Loux. Ein Gespräch.

Sie kommen eben von der Vernissage der von Andreas Meier kuratierten Ausstellung „Nicht nur Schokolade“ im Zentrum für zeitgenössische Kunst in Kiew zurück. Wie war das Echo seitens der ukrainischen Bevölkerung?
Andrea Loux: Das ist keine so einfache Frage. An der Vernissage waren enorm viele Leute – das von einer US-Stiftung gegründete CCA (Centre of Contemporary Art) ist der einzige Ort im Land, wo aktuelle Kunst vermittelt wird. Für viele gehörte zum Happening aber sicher auch der Gratissekt und der Schweizer Käse. Das eigentliche Echo kann ich nur schwer deuten. Der Kontakt mit den Veranstaltenden vor Ort war sehr gut und eben bekam ich ein email einer begeisterten Besucherin, doch man darf nicht vergessen, dass die Sprachbarrieren enorm sind, auf beiden Seiten. Wir können ja nicht einmal ihre Schrift lesen, wie wollen wir da mit den möglichen paar Brocken Englisch ihre Mentalität erfassen … und wie sollen sie uns verstehen?

Lohnt sich denn unter diesen Umständen der enorme Aufwand einer Ausstellung mit Schweizer Künstler/-innen in einem Land wie der Ukraine?
Der Aufwand von Seiten Andreas Meier und Bernhard Bischoff (Ko-Kurator) war tatsächlich enorm und die Realisierung, wie ich hörte, sehr, sehr schwierig. Nicht nur weil das gesamte Budget bis hin zum letzten Detail von der Schweiz aufgebracht werden musste, sondern weil die Denkweisen und die Erwartungshaltungen so verschieden sind. Und darum ständig Missverständnisse entstehen. Austausch heisst in einem solchen Fall nicht einfach Päckchen hin und her tragen. Eine Ausstellung dieser Art ist Basisarbeit, die sich in kleinsten Schritten weiterentwickeln kann. Ich jedenfalls denke, dass ich nicht zum letzten Mal in Kiew war.

Welches sind denn ihre persönlichen Erfahrungen?
Ich hatte das Glück, zusammen mit Erik Dettwiler und Bernhard Huwiler, zu den drei Künstler/-innen zu gehören, die eine ortsspezifische Arbeit realisieren konnten, das heisst ich kam mit meiner Arbeit direkt mit Menschen in Kontakt und das war hochinteressant. Es gab zwar auch Verständigungsschwierigkeiten, doch habe ich persönlich keinerlei Konfrontationen erlebt, im Gegenteil. Vielleicht weil ich als Künstlerin keine Vertreterin des Systems bin.

Können Sie ihre Arbeit etwas näher erläutern?
Seit Jahren arbeite ich, auch 2001 im Espace libre in Biel, mit „Einpassungen“. Das heisst ich passe mich in kleinste Räume, meist Möbelstücke ein, und bin da während einer bestimmten Zeit einfach präsent. Für Kiew reiste ich von meinem Wohnort Berlin aus in die Ukraine, mit Zwischenhalten bei fünf Schriftsteller/-innen, die ich bat, während meinem Eingepasstsein unter dem Bett, in einem Kasten, einem Regal in ihrem Schreibzimmer, an einem Text zu arbeiten. Mit einem Stativ, einer Kamera und einem Selbstauslöser habe ich die Situation festgehalten und dann in Kiew als Audio- und Dia-Installation präsentiert.

Die Texte zu lesen ist ein berührendes Erlebnis (vgl. Kasten). Man hat den Eindruck, da sei wirklich Austausch möglich geworden. Wie erklären Sie sich das?
Ich bin tatsächlich auch überrascht von den Texten. Vielleicht ist es das Non-Verbale des Austauschs – meine stumme Präsenz im Raum und die Sensibiltät der genau dies in Worte „übersetzenden“ Autor/-innen – der das möglich machte. Vielleicht ist es auch die Balance – von mir das Konzept und von ihnen der Text und beides in der Fotografie verbunden.

Sie haben ja auch in Polen Station gemacht – wie reisten Sie und wie kamen die Kontakte zustande?
Andreas Meier meinte, es sei sicherer, wenn ich mit einer Kollegin reise; tatsächlich waren die Zugsfahrten abenteuerlich. Einmal wurden wir ungefragt in einen Schmuggel-Transport integriert, aber weil alle unter eine Decke steckten, ging (fast) alles reibungslos. Was Polen anbetrifft, konnte ich auf meine Kontakte im Zusammenhang mit der von Beate Engel 2001 in Krakau organisierten Ausstellung „larger than lilfe“ zurückgreifen. In Kiew fand ich Unterstützung durch das CCA.

Kann man aufgrund ihrer Erfahrung sagen, dass interaktive, das heisst Menschen vor Ort einbeziehende Arbeiten, grundsätzlich ein Mehr an Austausch bringen als der Import von bestehenden Arbeiten?
Ich denke, es braucht beides. Aber es ist schon so, dass auch Bernhard Huwiler, der Leute in Kiew bat, an einem von ihnen gewählten Ort vor laufender Kamera auf 1000 zu zählen, wesentlich mehr erlebt hat, als andere, die nur für den Aufbau kamen und bald schon wieder abreisten. Ähnliches gilt sicher auch für die Arbeit von Erik Dettwiler, der schon im Jahr zuvor mit einem Pro Helvetia-Stipendium in Kiew weilte und, zusammen mit Marie Antoinette Chiarenza, eine Arbeit zur gesellschaftlichen Situation in der Ukraine 10 Jahre nach der Unabhängigkeit realisierte. Und ebenso für Hervé Graumann, der mit Hilfe des CCA für die Vernissage Menschen mit Tier- und Landschaftsnamen suchte und mit deren Unterschriften ein Bild komponierte.

Nichts geht ohne Geld. Unter welchen Bedingungen arbeiteten Sie für das Projekt?
Ich kenne die finanzielle Seite nicht im Detail, aber ich weiss, dass es sehr schwierig war, zusätzlich zu den Geldern der Pro Helvetia Sponsoren zu finden – die Ukraine ist sehr weit weg … Persönlich standen mir 3 200 Franken für mein Projekt zur Verfügung. Zusätzlich war ich, und mit mir alle beteiligten Künstler/-innen, für den Aufbau der Ausstellung und die Vernissage insgesamt fünf Tage nach Kiew eingeladen.

Anhang:
Andriy Bondar (Kiew) schrieb während der „Einpassung“ von Andrea Loux unter anderem:
… sie weiss noch nicht wie ich auf ihr Fremdsein reagieren werde, ob ich sie verwünschen, rückwärts auf die Strasse stossen, berauben, in Stücke schneiden und als besonderes Paket bei der Schweizer Botschaft abgeben werde. Man kann alles erwarten von diesen Asiaten … sie weiss auch noch nicht, dass ich ein frommer Pazifist, aber kein gottesfürchtiger Christ bin, dass ich, obwohl mir ihr Ritual gänzlich fremd, in gewisser Weise begierig bin zu schreiben, vielleicht hilft mir ihre Präsenz unter dem Tisch … sie weiss nur, dass ich ein ukrainischer Schriftsteller bin, 28 Jahre mit blondem Bart und Brille, verheiratet, ohne Kinder aber mit Katze … Sie liegt ruhig unter dem Tisch und stellt keine idiotischen Fragen, ob ukrainisch ähnlich sei wie russisch, ob die Ukrainer sich der EU anschliessen wollen … Ich bin sicher, sie ist nicht verrückt, sie ist sich ihres konzeptuellen Tricks sehr bewusst und sie lächelt freundlich, slawisch. Sie brachte mir ein Stück von ihrem Verständnis, was Zusammenarbeit zwischen Menschen sein kann, obwohl sie keinen original Schweizer Käse brachte – ich habe noch nie davon gegessen – und es ist gut, dass sie keinen brachte, er wäre schlecht geworden auf der Reise …