The Collective Unconsciousness Migros Museum Zürich 2002

Heike Munder startet anspruchsvoll

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in  Bieler Tagblatt vom 6. März 2002

Das Migros-Museum im Zürcher Löwenbräu-Areal hat sich unter Rein Wolfs einen Szenen-Namen geschaffen. Die erste Ausstellung der neuen Kuratorin Heike Munder (32) setzt neue Akzente.

„Unsere Wahrnehmung ist geprägt von Bilderfluten, welche die tiefsitzende Furcht vor der Veränderung gewohnter Lebensweisen schüren … Angeheizt durch die Medien reihen sich Rezessionsbefürchtungen, Rinderwahnsinn und 11. September untrennbar auf der Projektionsfläche unseres kollektiven Unterbewusstseins“, formuliert Heike Munder den Grundgedanken ihrer ersten Ausstellung: „The Collective Unconsciousness“. Sie zeigt Werke von 15 meist jungen europäischen Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem Thema „Angst“ befassen. Dabei nicht Angst darstellen, sondern den Umgang mit Angst in Form von Reflektion, von Flucht, von Ohnmacht oder Hilflosigkeit thematisieren.

Das auf wenige Sätze reduzierte Konzept mag intellektuell etwas mager sein, umsomehr als kein Begleitkatalog vorliegt. Und sich auch die Informationen zu den Kunstschaffenden auf Namen, Landeszugehörigkeit und minimale Hinweise auf die gezeigten Werke beschränken. „Zu viele Erklärungen verhindern einen offenen Zugang“, argumentiert Munder. Etwas einfach, aber nicht ganz falsch.

Heike Munder schickt die Besucher/-innen nicht mit C.G. Jungs archetypischer Definition des „Kollektiven Unbewussten“ auf die Reise, sondern mit der Frage, wo Bilder – Installationen, Audio-Arbeiten, Videos, Zeichnungen, Stickereien – mit den eigenen Ängsten, dem eigenen Umgang mit Angst in Wechselwirkung treten. Dabei geht sie nicht dem mit Holzhammer ans Werk. Bedrohliche Selbsterfahrungs-Kojen wie das Pet-Flaschen-Bassin der Künstlergruppe Gelatin in der Kunsthalle St.Gallen, das nur auf eigene Gefahr „durchschwommen“ werden darf, sucht man vergebens. Ohne abtauchen in die subtilen Zonen der Wahrnehmung geschieht in Munders Ausstellung nichts. Wer taucht, findet (in sich) indes mannigfaltige Denkanstösse.

Man fragt sich vielleicht zunächst, was der kleine Bub mit den wunderschönen, dunklen Augen, der einem aus dem Video von Maria Marshall seltsam abstrakt entgegenstrahlt, mit „Angst“ zu tun hat. Doch die Repetition des kurzen Loops lässt die Enge seines sackähnliches Gewandes erkennen und darin die Ohnmacht des kindlichen Lächelns in der Unfreiheit einer Zwangsjacke. Auch die unsichtbar in Bewegung versetzten, farbigen Babuschkas im Video der Russin Anna Jermolaewa erscheinen zunächst lustig, bis der Wind zum Sturm wird, die Puppen ins Strudeln geraten und ohne sich wehren zu können vom Tisch gefegt werden.

Setzen die Arbeiten von Marshall und Jermolaewa zumindest teilweise auf Verführung (was eingängig ist), so macht die Nüchternheit des Westschweizers Fabrice Gygi geradezu aggressiv. Sein Abstimmungslokal ist eine mehrteilige kalte Holz/Stahl-Konstruktion, die durch radikal nichts auf Inhalt verweist und damit, als eine von mehreren Interpretationen, die Ohnmacht als Individuum etwas zu bewegen, aufzeigt.

Spannend ist wie die Themenbezogenheit der Ausstellung bisher möglicherweise Unverstandenes konzentriert. Die (bewusste) Unbeholfenheit der Zeichnungen von Annelise Coste (F/CH) zum Beispiel wandelt sich im Kontext von Munders Konzept zur jämmerlichen Hilflosigkeit sich – als Flüchtling oder Fremder – in einer gänzlich anderen Kultur auszudrücken. Einen bedenkenswerten Ansatz verfolgt auch Henrik Olesen (DK), wenn er feststellt, dass Kriminalität heute kaum mehr mit Moral in Verbindung gebracht wird, sondern primär als Sicherheitsproblem rezipiert werde. Die bildnerische Umsetzung über gewöhnliche Computer-Ausdrucke ist freilich etwas dürftig.

Allerdings ist das Low-Tech-Prinzip mit wenigen Ausnahmen eine der Konstanten der Ausstellung und damit wohl auch der Haltung von Heike Munder. Der Deutschen Berta Fischer zum Beispiel genügen eine transparente Plastik- sowie eine silbrigfarbene Latexfolie um den Weg von der Realität in die Sehnsucht nach Auflösung derselben zu visualisieren. Mathilde ter Heijnes (NL), welche demnächst in einer Einzelausstellung gezeigt wird, fängt mit einer reinen Audio-Arbeit ( zehn Transitorradios) die politische Seite des Themas ein indem sie kampfbereite Patriotismusreden aus verschiedenen Ländern als Übersetzung von Urängsten in den Raum schallen lässt.