Christoph Draeger im Kunstmuseum Solothurn 2003

Verführung oder Entlarvung?

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. Oktober 2003


Er figuriert im Rating der Schweizer (Kunstmarkt)-Szene auf Rang 26, doch er polarisiert. Entlarvt Christoph Draeger die Medienmacht oder steckt er sie sich in den Sack? Zu überprüfen im Kunstmuseum Solothurn.

„Beuys, ich führe Osama-Bin Laden persönlich durch die Dokumenta XII. C. Draeger“ – diese Worte begrüssen den Besucher der Ausstellung Christoph Draeger im Kunstmuseum Solothurn. In beuysscher Schrift auf zwei Tragtafeln geschrieben, erinnern sie prima vista an die vielpublizierten Aktionstafeln von Joseph Beuys aus dem Jahr 1972: „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V. J. Beuys“. Sie stellen gleich zu Beginn die Kernfragen zum Schaffen des 38jährigen Schweizer Künstlers: Schneidet sich Draeger damit eine Scheibe von der Berühmtheit Beuys‘ ab, versteht er sich als politischer Künstler oder hinterfragt er Macht-Strukturen?

Sind die Tafeln noch relativ zurückhaltend, was das Spiel mit den Emotionen angeht, wird man danach förmlich eingesaugt. Der News-Sprecher am TV-Monitor ist ausser Atem, er schreit, er kann den Fall der Twin-Towers nicht fassen. Es ist Guy Richard Smith vom Sender MSNBC, dem „24 Hour Disaster and Survival Newschannel“. Erst wer eine Weile schaut, runzelt die Stirn und wird sich gewahr: das ist Fiktion. Und wer bis zum Ende des Videos ausharrt, erlebt eine Science-Fiction- „Apokalypse“, indem er zuschaut wie das Studio seinen eigenen Untergang über den Bildschirm laufen lässt. Und so geht das Wechselbad weiter: Ein Sampling der „besten“ Flugzeugabstürze aus Film und Medien, das Leben der RAF-Terroristen in ihren Zellen mitsamt Selbstmord, die letzten Stunden der israelischen Geiseln an der Olympiade in München usw.

Draeger bleibt immer so nahe am Dokumentarischen – verwendet auch Original-Material – dass die Ausstellungsbesucher emotional und reflektiv ständig (über)fordert sind. Was ist und was ist nicht? Könnte es sein, dass eine Amteurfilmer, eine Überwachungskamera …? Ja, nein, ja nein. Draegers Fiktionen führen nicht offensichtlich ad absurdum, sie entlarven den manipulativen Umgang der Medien mit publikumswirksamen Themen auch nicht auf den ersten Blick. Sie bleiben auf dem Grat der (Horror)-Vision der medialen Zukunft. Das ist die Stärke der Arbeiten von Christoph Draeger.

Wo der in New York lebende Zürcher Künstler indes abstürzt, ist, wenn er den Finger hochhält und anhand des RAF-Terrorismus der 70er Jahre sagt: Terrorismus ist nichts Neues, das gab es schon immer. Hiefür ist seine Arbeit zu wenig komplex, zu sehr nach demselben Muster gestrickt. Und auch die Gleichung, dass ein toter Terrorist nicht viel anders aussieht als ein totes Opfer, so ist zu oberflächlich, um unter die Haut zu gehen. Und wenn er „A Space Odyssee“ von Stanley Kubrick (1968) als (bearbeitete) 3-Kanal-Videoinstallation inszeniert und ihr politische Fakten und ein apokalyptisches Trümmerfeld (aus Gips) gegenüberstellt, so ist der (Science-Fiction)-Kitsch verdammt nahe.

In dieser Spannweite ist das Werk des vor allem in den USA erfolgreichen, 37jährigen Künstlers zu sehen. „Too american for Europe“ ist man versucht zu sagen. Und hält sich gerne an die Fotoserie aus der Mitte der 90er Jahre, mit welcher Draeger hierzulande bekannt wurde. Aufnahmen von Stätten, wo vor fünf, zwanzig, tausend Jahren einmal eine Katastrophe stattfand, sei es der Ausbruch des Vesuv in Pompeij (79 v. Chr.), die Explosion der ersten Atombombe in New Mexico (1945), der Chemie-Unfall in Schweizerhalle (1986) oder der Wirbelsturm Andrew in Florida (1992). Da lösen Bilder Vorstellungen, Erinnerungen aus, da nimmt die Kunst ihre Funktion als Denkmaschine wahr, während die neuen Arbeiten eher einem Bombardement ähneln, das erschlägt statt Reflektion auslöst.