Léopold Robert und Erben Seedamm Kulturzentrum Pfäffikon 2003_2004

Die Melancholie der Neuenburger Malerei

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 3. Dezember 2003

Dass sich ein Kulturinstitut östlich von Zürich der Kunst westlich von Bern widmet, ist aussergewöhnlich. Nischenpolitik? Vor allem Menschen mit Engagement. Seit kurzem auch Andreas Meier, seit 1. November 2003 Direktor des Seedamm Kulturzentrums in Pfäffikon.

Das von der Charles und Agnes Vögele-Stiftung getragene Seedamm Kulturzentrum in Pfäffikon SZ hat seit seiner Gründung 1976 immer wieder Furore gemacht. Anfänglich künstlerisch äusserst umstritten, gelang es dem Institut später immer wieder, national auf sich aufmerksam zu machen. In einem Spektrum das von einer grossen Dali-Ausstellung über Schweizerische Perfomance-Tage bis zum „mediatisierten Blick“ eines Gerhard Johann Lischka reicht. Ein Coup gelang dem sich anfänglich selbst einbringenden Charles Vögele Ende der 70er-Jahre, als er dem Vorwurf des „Retro“-Blickes die Spitze brach indem er Fritz Billeter, Peter Killer und Willy Rotzler eine halbe Million in die Hand drückte und sagte: „Macht es besser!“ Als Resultat davon besitzt das Seedammzentrum heute eine der wichtigsten und immer noch wachsenden Sammlungen an Schweizer Kunst.

Seit einigen Jahren hat das Seedamm-Zentrum einen Hang nach Bern. Wenn auch im Blick vereinfacht, so ist doch sicher die starke Position des ehemaligen Berner Kunstmuseums-Direktors Hans Christoph von Tavel im Stiftungsrat mit verantwortlich dafür. Und der Hang wird (hoffentlich) nicht kleiner werden. Denn seit 1. November hat das Kulturzentrum einen neuen Direktor: Den ehemaligen Leiter des Centre PasquArt, den Bieler Andreas Meier. Von Tavel und Meier waren schon in den 70er/80er Jahren ein Gespann, in Bern. Der Amtsantritt von Andreas Meier markiert in Pfäffikon einen Wandel. Nobert Lehmann, der in den Ruhestand tritt, gab dem Zentrum Struktur, kuratierte aber keine Ausstellungen. Gast-Kuratoren zeichneten für viele Veranstaltungen. Das wird sich nun, zumindest teilweise, ändern.

Der „Westwind“ setzt in den 90er Jahren ein, betont historisch. Mit einer Ausstellung Theophile Steinlen (Lausanne 1859 – Paris 1923). Sie findet ihre Fortsetzung in „Westwind“ – Hodler und die Genfer Schule der Malerei“ (2000) dreht sich dann 2001/02 in „Windwende – Menschen und Landschaften in der Schweizer Malerei um 1800“ (mit einem Akzent Westschweiz) und findet jetzt in den „Farben der Melancholie – Neuenburger Malerei 1820 – 1940“ ihre Fortsetzung. Gastkurator aller drei Ausstellungen ist der Waadtländer Kunsthistoriker Alberto de Andrès, in Zusammenarbeit mit Hans Christoph von Tavel. Der Blick ist somit mehrheitlich „romand“, entsprechend der Bedeutung der Landschafts- und der Figurenmalerei in der Westschweiz vom späten 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Eine Hochblüte, die in der Wertschätzung des Kunsthistorischen in der Romandie bis heute nachwirkt.

Ausgangspunkt für die Ausstellung der „Neuenburger Schule der Malerei“ ist – ohne Zweifel – Léopold Robert (Neuenburg 1794 – Venedig 1835), der Ahnherr der Bieler und der Neuenburger Malerdynastie Robert. Die repräsentative Vertretung Léopold Roberts in der Pfäffikoner Ausstellung macht diese a priori zum Ereignis. Das Zusammenführen von zwei respektive drei der (als Zyklus unvollendeten) Allegorien zu den vier Jahreszeiten zeigt im Verbund mit wichtigen anderen Werken den europäischen Rang des Künstlers im Kontext der Romantik respektive der „Farben der Melancholie“, wie sie die Ausstellung als Charakteristikum des „Genius Robert“ herausschält. Die Strahlkraft der Farben im Verbund mit einem minutiös auf Licht und Schatten ausgerichteten Pinselduktus hebt seine Werke von vergleichbaren ab. Es ist als wäre darin die Sehnsucht nach dem Paradies, dem Jenseitigen im Diesseitigen quasi enthalten. Das Moment, das Robert, im Kontext eines übergeordneten Zeitgeistes, letztlich verzweifeln liess und in den Selbstmord trieb (1834).

Im neue (schweizerische) Identität suchenden Neuenburg des 19. Jahrhunderts wirkte das Schicksal Roberts als geradezu mythisches Moment nach. Maler und Mäzene traten auf den Plan, Kunstgesellschaften wurden gegründet, ein Fonds zum Ankauf von Werken geäufnet und eines der frühesten Kunstmuseen der Schweiz (Eröffnung 1884) realisiert.
Diese starke Vergangenheit ist in Neuenburg bis heute präsent (und macht es der Gegenwart entsprechend schwer). Umso spannender ist es, eine Ausstellung der „Neuenburger Malerei“ (grossmehrheitlich mit Werken aus dem Musée d’art et d’histoire in Neuchâtel bestückt) in Pfäffikon, mitten in der Deutschschweiz, zu zeigen. Das heisst, nicht in der Aura lokaler Selbstüberschätzung, sondern in einen nationalen Rahmen gestellt.
Alberto de Andrès hat in radikaler Akzentuierung fünf Künstler herausgegriffen und zeigt sie so, dass sie als Maler gültig zu fassen sind. Und er behauptet, dass das Phänomen der Melancholie, in der historischen Bedeutung zwischen Verklärung und Weltschmerz, das sei, was die Neuenburger Malerei als eigentliche Schule auszeichne. Um sich nicht zu verzetteln ist die Vielfalt hinter den fünf Positionen lediglich mit Einzelwerken (darunter auch des Bielers Leo Paul Robert) angedeutet. Das ist gut für die Ausstellung, auch wenn in Neuenburg offenbar die Funken sprühen und Walter Tschopp (Direktor des Neuenburger Museums) an der Vernissage versprechen musste, man werde dann, wenn die Bilder zurückkehren (Ausstellung ab 28. Februar 2004) schon noch darüber diskutieren.

Die vier Maler sind, neben Léopold Robert, Maximilien de Meuron (1785-1868), Charles-Edouard DuBois (1847-1885) Gustave Jeanneret (1847-1927) und François Barraud (1899-1934). Bereits im nahen Biel werden die meisten gestehen müssen, diese Namen respektive Werke nur vage zu kennen. Der Röschtigraben, die partikulare Geschichte Neuenburgs, das in letzter Zeit kleine Interesse für das 19. Jahrhundert und die fehlende Rezeption der kunsthistorisch „verspäteten“, aber durchaus eigenständigen Neuenburger Malerei, mögen Gründe dafür sein. Die Qualität der Ausstellung und darin insbesondere die Subtilität des Werkes von Maximilien de Meuron, das in seinen besten Bildern einen Vergleich mit Alexandre Calame respektive François Diday nicht zu scheuen braucht, macht die Dislokation des Nahen in ein 180 km entferntes Kulturinstitut paradoxerweise zur Entdeckung.