Marion Leigh: Eine vielseitige Künstlerin

Ich bin ein bewegtes Bild

www.annelisezwez.ch      Erstpublikation Bieler Tagblatt, 13.09.2003

Am 19. September 2003 wird Marion Leyh die „Wände“ ihrer „Spuren“-Installation in der Salle Poma in drei Fässern verbrennen. Materielles wird Erinnerung. Als Performance. Ein Porträt der unbekannten Bieler Künstlerin.

In Kunstkreisen wunderte man sich: Eine Bieler Künstlerin, die im Rahmen der „Spuren“ die Salle Poma im Centre PasquArt bespielt und die man nicht kennt. Marion Leyh (42), ursprünglich aus Hessen stammend, ist ein typisches Beispiel dafür wie Akteurinnen zwischen den Kultursparten nirgendwo ganz wahrgenommen werden. Ist sie nun Schauspielerin, Performerin, Bühnenbildnerin, Stückeschreiberin, Choreographin, Komponistin oder Kunstschaffende? „Ich bin ein bewegtes Bild“, sagt die „Crossover“ nicht nur proklamierende, sondern tatsächlich umsetzende Künstlerin.

Wenn sie zusammen mit ihrem Lebenspartner, dem in Biel wohnhaften Berner Experimental-Musiker Urs Peter Schneider im Rahmen des „Ensembles Neue Horizonte“ auftritt, so gehe es, sagt sie, nicht darum die Musik szenisch zu interpretieren, sondern darum die Kompositions-Struktur auf zwei Ebenen auszudrücken – auf der musikalischen, hörbaren, und der visuellen, sichtbaren. Der unklar eingegrenzte Begriff „Performance“ meint hier ein Ganzes, Musik als Bild und Bild als Musik. Marion Leyh spricht von „dramaturgischen Bildern“. „Instrumente“ sind ihr dabei Gegenstände, Stoffe, Folien, Licht und vor allem die eigene Bewegung im Raum.

Ausbildungsmässig kommt Marion Leyh … von nirgendwo. Obwohl in einem „sehr offenen“ Rahmen erzogen, akzeptierten die Eltern den Berufswunsch „Schauspielerin“ nicht. So wurde sie Erzieherin, um über ein pädagogisches Diplom und mannigfaltigste Kurse im Bühnenbereich (Sprechen, Atmen, Bewegen, Vermitteln, Ausdrücken, Gestalten, Singen, Tanzen) in freier Form dahin zu gelangen, wo sie seit Kindsbeinen an hin wollte. Nicht eigentlich „auf die Bühne“, sondern dahin, wo Theater entsteht, wo gespielt, wo inszeniert wird, wo im Verbund mit anderen Inhalte zu Bildern werden, wo sich Gedanken und Überzeugungen zu szenischem Spiel verdichten. Der labyrinthische „Weg der Neugierde“ prägt die Arbeitsweise von Marion Leyh bis heute.

Als freie Akteurin im Bereich Theater, Bühne und Pädagogik kooperierte Marion Leyh mit verschiedensten freien Gruppen in vielfältigsten Produktionen. Wichtig wurde in den 80er Jahren die mehrjährige Mitgliedschaft im Ensemble „OMT“ (ursprünglich Ohne-Mich-Theater), das in einem engagierten, soziokulturellen Umfeld Stücke erarbeitete und auf Tourneen zur Aufführung brachte. Zum Beispiel das „Leben einer Irren“, die szenische Interpretation einer Biografie. Zum ersten Austausch mit der Schweiz kam es 1987 als OMT – inzwischen in Kassel mit festem Standort – und das Berner „Studio am Montag“ (heute „Stop.p.t.-Theater“) die Festival-„Achse Kassel – Bern, 2 x Provinz“ organisierten. Unter den Künstlern auch der Musiker Urs Peter Schneider…

Die vermehrte Einbindung in experimentelle Ausdrucksformen präzisierte Marion Leyhs Haltung. Was sie interessierte war die Verbindung von Raum, Rhythmus und Handlung; Bilder in Bewegung. Und ein Hang zur Ironie, zum Absurden. Umgesetzt unter anderem in der Produktion „Machines folies“ mit der französischen Performance-Gruppe „Lézard“. Ihre eigene Nähe zur bildenden Kunst war ihr bis dahin nicht eigentlich bewusst, obwohl gerade ihre Arbeitsweise Joseph Beuys These, wonach Menschsein Anlass zu kreativem Tun ist, eindrücklich thematisiert. Indirekt zeigt dies, dass die Annäherung der performativen Ausdrucksformen von Seiten des Theaters und der visuellen Kunst immer noch viel zu wenig wahrgenommen wird.

Die am deutlichsten in den visuellen Bereich gehörende Arbeit von Marion Leyh ist „Der Weg der Wände“, der nun nach sieben Jahren und sieben Stationen sein Ende findet. Seinen Anfang nahm das Projekt 1996 in Dresden als Installation eines barocken Heckenlabyrinths aus mobilen Netz-Wänden verkleistert und durchsetzt mit Tausenden von meist schwarz-weissen Papierschnipseln aus Druckerzeugenissen aller Art (von der Zeitung über das Telefonbuch bis zum Roman). Nach Abschluss der seit 1990 parallel zu vielen anderen Aktivitäten vorangetriebenen Ausbildung zur Bühnenbildnerin (Akademie für Bildende Kunst, Offenbach) entsprach die begehbare, von Wissens- und Kommunikationspuren durchsetze Installation ihrer visuellen Vorstellung eines „lebendigen“ und zugleich geprägten Raumes als Plattform für Akteure und Akteurinnen, „Spaziergängerinnen“ ebenso wie Musiker und Performende im Rahmen von Veranstaltungen.

In Biel hat Marion Leyh die Netzwerk-Wände als winkelförmigen, begehbaren „Korridor“ installiert, der – semitransparent – Ein- und Ausblick gewährt und zugleich den Raum bühnenartig umgreift. Eine Bühne, die in den letzten Wochen Ort für eine Vielzahl von Musikern mit „joyful noises“ respektive elektronischen Raum-Klängen war. „Das Auslegen aller Wände auf dem Boden und das nächtliche Feuer-Fest bedeuten für mich einen notwendigen Abschluss, um Raum zu gewinnen für eine Neuorientierung“, sagt die 41-jährige auch als Lehrbeauftragte für Performance an der Bieler Schule für Gestaltung sowie an der Fachhochschule für Medienpädagogik in Frankfurt tätige Künstlerin zur Veranstaltung vom 19. September.

„Der Weg der Wände“. Ausstellung bis 18. September in der Salle Poma des CentrePasquArt. Freitag, 19. Sept. ab 09 Uhr Auslegeordnung im Museum. 21 Uhr Verbrennung der 121 Wände mit Publikum, als Fest, im Aussenraum vor dem Museum.