muller susanne Berlin_Prêles – ein Porträt 2003

Bewegung ist mein Element

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 1. Oktober 2003

Ausstellung CentrePasquArt Biel, Oktober 2003

Als Vizepräsidentin der Stiftung CentrePasquArt und Mitglied der Baukommission, hat susanne muller die Konzeption des PasquArt-Neubaus in Biel mitgestaltet; jetzt bespielt sie die Räume als Künstlerin.

Auf die Frage, ob sie wisse, was Ruhe sei, sagte susanne muller kürzlich sinngemäss, sie könne wohl versuchen, sich Ruhe vorzustellen, aber sie wisse nicht wie, das Universum sei doch auch ständig in Bewegung. Und überhaupt, die Welt werde nicht kleiner, wie man oft behaupte, sondern immer grösser, mit all den Erkenntnissen und Gedanken, die ständig dazu kommen. Da könne sie nur atmlos schauen.

Vielleicht sind die Milliarden von Sandkörnern, welche die Künstlerin letzte Woche im Rahmen der Vorbereitungen für ihre Ausstellung mit grossem technischem Aufwand in die Salle Poma blasen liess, um darin Wüste auszubreiten, ein Bild dafür. susanne muller war vor rund einem Jahr im Iran und fasziniert vom Wechsel von Wüste und Architektur, wie er sich ihr beim Anflug auf Teheran zeigte. Was auftauchte, „war wie ein Architekturmodell aus ineinandergeschachtelten Räumen, Kuben, Linien, Raster und geometrischen Zeichnungen … und darin Strassenzüge mit kleinen fahrenden Lichtern …“

Würde ein Maler diesen Eindruck festhalten, sucht susanne muller die Bewegung, das Fliegen, die Grösse… und den Challenge, etwas nie Dagewesenes zu realisieren. Etwas, das eine Einzelperson nicht kann, sondern nur ein Team. Und nicht etwa eine Skulptur, sondern eine Plattform, die jeden und jede sogleich als Mitspieler engagiert. In der Salle Poma zum Beispiel wird man einen Ball mit einer integrierten Kamera durch den Raum zu werfen haben, worauf die projizierte Bildwelt im angrenzenden Raum aus den Fugen gerät …

Diese Denkweise ist keineswegs neu – man denke nur an den in Intervallen hinuntersausenden Ball mit eingepackter Kamera im neuen Bahnhofparking, eine der vielen Kunst am Bau-Arbeiten, welche die 50jährige Seeländer Künstlerin in den letzten Jahren realisiert hat.

Die Bewegung bringt mit sich, dass susanne muller als Künstlerin nicht so leicht greifbar, eigentlich in der nationalen Szene kaum bekannt ist. Werke, die man ausstellen kann, interessieren sie kaum. Wohl aber eine Einladung nach Südkorea, um da an einer Veranstaltung eine temporäre Arbeit zu realisieren. Nein, festhalten kann man susanne muller nicht und auch ihr „Werk“ beschreiben ist nicht einfach. Denn was sie interessiert, ist die Anregung, die Motivation, die Integration in ein Gemeinschaftswerk – von Architekten, Urbanisten, Unternehmern oder kulturpolitischen Gremien – susanne muller war in den 90er Jahren Präsidentin der städtischen Kunstkommission, in den letzten Jahren Jurypräsidentin des Aeschlimann-Corti-Stipendiums usw. Dabei stellt sie sich nie ins Zentrum, ist lieber Mitdenkerin, zuweilen Regisseurin oder gar Zirkusdirektorin. Und auch bei Einzelarbeiten lautet die Frage nicht: „Würdest Du für mich eine Musik schreiben?“, sondern: „Willst Du Deine Musik in meiner Arbeit präsentieren?“. Carte blanche – und Vertrauen in die Eigenständigkeit des Andern.

Eigentlich erstaunlich, dass susanne muller erst in den späten 90er Jahren die Videokamera als ihr „Instrument“ erkannte. Doch seither ist sie ihre treueste Begleiterin, auf Reisen ebenso wie auf dem Hundespaziergang – es könnte ja sein, dass der Wind plötzlich Bewegung ansagt oder etwas Unbekanntes durchs Unterholz streift … Zuvor – und auch heute noch parallel – war und ist es der Zeichenstift, der die Aktivität notiert, immer und ständig, auf Reisen, ans Sitzungen beim Diskutieren. Und dies, so sagt susanne muller oft, „seit ich ein Kind bin. Hier spüre ich Leichtigkeit, nur ich und das Papier.“ Dann und wann sucht sie hier die Konzentration, hängt in ihrem langgestreckten Atelier in Prêles – ehemals ein Uhren-Etablissement – ein riesiges Papier auf und gibt sich – tanzend, möchte man sagen – in die Bewegung ein und bündelt das „Chaos“ mit der „schreibenden“ Hand. Anstelle des Stiftes, kann es auch mal ein Laserstab sein, der, im Fokus einer Foto-Kamera mit offener Blende, sausend den Raum ausmisst.

Der Verweis auf die Kindheit ist susanne muller wichtig, sie fühlt sich davon geprägt – von der Grossfamilie mit vielen Geschwistern, der eigenen Position als Jüngste und überdies ein Drittel der am 3. März 1953 geborenen Drillinge von Louise und Robert Müller. Das Selbstverständnis des Miteinander kommt zweifellos daher. Und die Lust auf Grosses, auf Wagemutiges wohl vom Vater, der ab 1959 als Projektverantwortlicher für die zweite Jura-Gewässerkorrektion in der Region tätig war und mit seiner Familie in Bellmund Wohnsitz nahm. Modelle Bauen, Landschaften konstruieren, Visionen entwerfen und an die Realisierbarkeit glauben – das Zukunftsdenken der 60er Jahre spiegelt sich – wenn auch keineswegs unkritisch – in der Arbeitsweise von susanne muller. Und sie ist dabei nicht bescheiden – Freunde und ihr Lebenspartner, der Innenarchitekt Fred Luedi, wissen davon ein Liedchen zu singen; Grenzen sind da, um angekratzt zu werden. So mussten zum Beispiel die Statiker gehörig ans Werk, um zu berechnen, wie viel Sand und wie viel Personen die Salle Poma zu tragen vermag … Und vor zwei Jahren, als susanne muller – kaum beachtet von der nationalen Kunstszene – eine faszinierende Licht-Installation in die Dunkelheit des Val de Travers zauberte – wusste wohl kaum jemand, um die Brisanz der Stromführung mitten im Feld. Probleme sind da, um gelöst zu werden. Mit ihrer Überzeugungskraft hat sie schon manchen vom Skeptiker zum wagemutigen Mitspieler gemacht; vielleicht ist das ihre „Kunst“.