Annelise Zwez in  Schweizerisches Kunstbulletin 10/2003

Kurt Sigrist in der Galerie Elisabeth Staffelbach in Aarau (2003)

Erstmals zeigt der Innerschweizer Bildhauer Kurt Sigrist (60) alte und neue Werke im Wechselspiel. Nicht nur wegen des runden Geburtstages, sondern auch weil in den jüngsten Arbeiten das Echo der ältesten zu spüren ist.

1995 schuf Kurt Sigrist für das Helmhaus in Zürich ein oeuvre majeure. Eine immense, zugleich präzise wie verwinkelte Raumskulptur aus Fichtenholzplatten und Glas, die in geradezu verführerischer Art und Weise den Kern des in den 70er Jahren bekannt gewordenen Künstlers umschrieb: „Nichts ist aussen, nichts ist innen“. Das eine ist das andere, wenn auch räumlich getrennt und nur selten transparent. Mit dieser Arbeit – sie gehört heute dem Seedamm-Zentrum in Pfäffikon – legte der Künstler die archaische Zeichenhaftigkeit der „Innerschweizer Innerlichkeit“ – zu deren Pionieren er gehörte – endgültig ab und wurde zum Raum-Architekten. Die seither entstandenen freien, Kunst und Architektur, Kunst und Innen- oft Kirchenraum fliessend verbindenden Skulpturen, Räume und Design-Arbeiten sind davon geprägt. Sie leben von der Präzision des Wechselspiels geometrisch-räumlicher Ausstülpungen und Einbuchtungen, opaken und transparenten Flächen in Holz, Metall, Glas und Wasser. Im Zusammenhang mit einer subtil modellierten Wand-Holz-Tafel im Dock Miedfield in Kloten (2003) spricht der Künstler von einer „schwebenden“ Balance.

Hinzu kam vor drei Jahren – wohl nicht zuletzt aufgrund der Zusammenarbeit mit Godi Hirschi (zuletzt im Karmeliterkloster in Wemding/Bayern, 2000) erstmals Farbe, insbesondere ein „herbstliches“, caput mortuum-nahes Rot („Raum der Stille“, Pflegeheim Stans, 2000). Diese Farbe hat nun, im Wechsel mit dem bekannten, satten Schwarz, auch in Arbeiten auf Papier, die im letzten Winter in Paris entstanden, Einzug gehalten, oft als Innenfläche. Dadurch erhält, wie die Ausstellung in Aarau zeigt, die strenge Geometrie etwas Körperhaftes zurück, wie es einst – anders – die „Behausungen“ der frühen 80er Jahre prägte. Und so scheint der Zeitpunkt richtig, die Ausstellung in der Galerie Elisabeth Staffelbach – es ist aufgrund zahlreicher Kunst und Bau-Aufträge die erste Einzelausstellung des Künstlers seit sechs Jahren – erstmals retrospektiv anzulegen.

Den jüngsten, grundrissbetonten Raum-Skulpturen und den erwähnten Arbeiten auf Papier sind die „Melchtaler Venus“ Beispiele der naturnahen, zeichenhaften Kisten, Kreuze und Geweihe, der metallenen Schlitten und der weiss gekalkten, hölzernen Figuren und Behausungen (in Form von Modellen, Skizzen und kleinen Arbeiten) gegenübergestellt. Die frühen Arbeiten strahlen ebenso die Atmosphäre der Zeit ihrer Entstehung aus wie die neuen Arbeiten die aktuelle Magnetkraft von Kunst und Architektur spiegeln. Zugleich wird aber spannenderweise auch der rote Faden spürbar, der Kurt Sigrists Werk durch seine äusseren Erscheinungsformen hindurch zusammenhält: verdichten und loslassen. Das heisst Verdichtung eines Themas, so lange bis in der komprimierten Form emotionale Wirkkraft entsteht, die einen immateriellen Raum erzeugt. Dieser ist in den 70er/80er-Jahren naturhaft, körperhaft, nahe am Menschen und seinen Mythen; in den neueren Arbeiten ist er abstrakt, wird aus der Schwingung der intuitiv und oft über viele Versuchsstadien gefundenen Proportionen im Zwei- ebenso wie im Dreidimensionalen generiert. In diesem Gespür liegt zweifellos das Erfolgsrezept des Künstlers für Raum-Anpassungen in historischen Gebäuden. Hier liegt aber auch die Dimension jenseits des Sichtbaren. Dass Kurt Sigrist diese über Farbe und neuerdings auch wieder über modellierte Holzoberflächen ins Haptische, ins Körperliche zurückholt entspricht einer gerade erst im Entstehen begriffenen Zeitqualität und zugleich spannt der Künstler damit einen interessanten Bogen zu seinem Frühwerk.