susanne muller und simone zaugg im Centre PasquArt in Biel 2003

Wüstenklänge und Tagträume

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 4. Oktober 2003

Ausstellungen von eigenwillig-heiterem respektive eindringlich-emotionalem Charakter werden heute im PasquArt eröffnet; Arbeiten der Bernerin Simone Zaugg und der Seeländerin Susanne Muller.

Erneut ist es Dolores Denaro gelungen, zwei Schweizer Künstlerinnen zu Museums-Erstausstellungen einzuladen, die kraft ihrer Qualität über die Region hinaus ausstrahlen werden.

Sowohl die Ausstellung der in Bern und Berlin lebenden Simone Zaugg (35) wie jene der in Prêles und Berlin lebenden susanne muller (50) sind eindrücklich, eigenwillig und eindringlich. Inhaltlich und formal aber äusserst verschieden, obwohl beide mit Video und Objekten arbeiten. Man könnte sagen, die eine versteckt sich hinter ihren Arbeiten, um andere zu Spiel, zu Klang, zu Wort kommen zu lassen, während die andere Bildmetaphern für Ich-Erfahrungen sucht, die zugleich von überpersönlicher Wirkung sind.

Simone Zaugg tritt seit rund zehn Jahren mit Videoarbeiten in Erscheinung, die sich durch eine eminent-emotionale Bildlichkeit auszeichnen. Eine Emotionalität, die zuweilen an den Grenzen der körperlichen Integrität kratzt, etwa wenn sie einen Messerwerfer beauftragt, die Grenzen ihres Körpers zu «zeichnen». Simone Zaugg bildet zusammen mit Andrea Loux, Chantal Michel und Victorine Müller eine Art Berner Quartett. In den fotografischen, filmischen und performativen Arbeiten der vier gleichaltrigen Künstlerinnen kreuzt sich Unterschiedliches und Verwandtes.

Ihre Bieler Ausstellung trägt den Titel «Neubauten der Erinnerung». Die zentrale Videoproduktion zeigt die Künstlerin an einem Seil in der Luft hängend und über die Landschaft fliegend. Als würde sie von einem Helikopter, wie er auf einem kleinen Videobild in Bodennähe zu sehen ist, aus einer misslichen Lage gerettet. Und doch will das Thema «Rettung» nicht recht greifen, denn wie die freigestellte Figur über den Wald saust, sich dem Boden nähert und dann doch wieder über seltsame, trichterförmige Bauten fliegt, lässt eher an einen metaphorischen Flug denken.

Die Künstlerin sagt denn auch, dass sie als Kind im Traum immer geflogen sei und sie das Landen (das Erwachsenwerden) als schwierigen Prozess erlebte. Mit dem «Neubau der Erinnerung» wird dies jetzt quasi thematisiert. In denselben Gedankenraum lässt sich auch das um eine Tanne gebaute Baumhaus – ein mit feiner Musik ausgestatteter, abgehobener und doch mit dem Boden verbundener Traumraum – einbauen.

Um eine Drehung abstrahierter ist das zweite Video, das zeigt, wie auf der Insel Sylt die Weihnachtsbäume verbrannt werden. Daneben eine kleine, nüchterne Bus-Station. Verbrannt – wohin nun, im Leben, im Denken und im Empfinden? Dass Inneres und Äusseres in Wechselwirkung stehen, dokumentieren auch zwei Einbauten, die nur vom Vorplatz respektive vom Hinterhof des Museums aus sichtbar sind – ein sich drehender, hängender, respektive sechs kleine, stehende Weihnachtsbäume. Es ist eine starke, emotional dichte «Erzählung», die Simone Zaugg ausbreitet. Das Individuelle überträgt sich unmerklich in eigene Erfahrungen. Ohne freilich die Dimension filmischer Fiktion zu erreichen, wie etwa die ähnlich emotional arbeitenden Videos der Nordländerinnen Eija Lisa Ahtila oder Salla Tykkä.

Distanzierter, aber nicht minder eindrücklich ist die Serie der Dia-Leuchtkästen unter dem Titel «Sleeploop», die Zaugg in verschiedensten, mit sich selbst im Dialog stehenden Situationen zeigen. Und auch die Serie «Playground», in welcher sich Zaugg auf Spielplätzen der Körperlichkeit kindlichen Spiels erinnert, trägt dieselbe Handschrift.

Die in eine Sandwüste verwandelte Salle Poma sowie die Doppelinstallation «Wüste bei Nacht» und «Wüste bei Tag» – verdeutlichen den künstlerischen Ansatz von susanne muller: Nicht um Werke zum Anschauen geht es hier, sondern um Bühnenbilder, die zu bespielen sind und im Verbund mit den Erlebnissen der Akteure die Kunst erzeugen.

Ein kluger und gewinnbringender Schachzug ist die breit angelegte Kollaboration mit dem Experimentalmusiker Urs Peter Schneider, welcher susanne mullers Bühnen mit seiner Musik in Klangräume steigert. Insbesondere in der Raumfülle der sandigen Salle Poma erzeugen die hellen, elektronischen Töne Schwingungen, welche die Gäste umhüllen und ermutigen, aus dem Alltag auszubrechen und mit dem transparenten Ball mit der Kamera im Innern zu spielen.

Das upside down, welches die Besuchenden zur selben Zeit im Raum daneben erleben, wohin die Ball-Kamera und die fixe Überwachungskamera ihre Bilder schicken, ist nur kurz beängstigend. Dann wird das Spiel bewusst und die darin enthaltene Lust, der Statik der Welt ein Schnippchen zu schlagen, um aufzurütteln, wahrzunehmen, Mut zu Neuem zu entwickeln.

Perspektivewechsel steht auch im Zentrum der zwei Säle umfassenden Installation «Wüste bei Nacht» und «Wüste bei Tag». Da finden sich auch die fünf Buchstaben, die den Titel der Ausstellung bilden: e-b-l-f-g (Entfernung, Bewegung, Licht, Farbe, Geschwindigkeit). Sie sind klein, mit Kreide auf den schwarzen Nachtgrund geschrieben, neben unscheinbare Objekte wie farbige Plastikringe, eine Lampe, einen offenen Kubus, ein winziges Flugzeug an einem Nylonfaden. Die Grösse der Tafeln, die Unendlichkeit der Wüste und die kleinen Dinge stehen in einem geradezu irrationalen Verhältnis zueinander. Man erinnert sich an Kinderspiele, wo alles alles sein konnte, wenn man nur daran glaubte. Die Fata Morgana schleicht sich ein, gesteigert von den hier etwas überlauten «Geräuschen» von Urs Peter Schneider. Und sie wird zeitversetzt zum Tag-Erlebnis, wenn die versteckte Kamera die eigenen Füsse überdimensioniert vorbeiziehen lässt.

Auch hier: Wer sich nicht Zeit nimmt, nicht vor- und rückwärts schaut, mitspielt und mitdenkt, wird sie nicht fassen, die Visionen von susanne muller. «Dieses Risiko», so die Künstlerin, «muss ich auf mich nehmen.» Genauso wie die Gefahr des Vorwurfs, die wellenförmige Korridor-Installation, welche in ihrem Innern schneidersche Klänge per Eisenbahn hin und her transportiert, sei mehr Kulisse für den Musiker als Teil ihres Konzeptes. Kollaborationen sind Experimente.