Magdalena Abakanowicz: Polnische Künstlerin von Weltruf

Zwischen Individuum und Kollektiv

Die heute 74-jährige Warschauer Plastikerin Magdalena Abakanowicz ist eine der wenigen, wenn nicht die einzige Künstlerin, die aus einer Position hinter dem eisernen Vorhang zu Weltruf gelangte.

Die 1. Biennale de la Tapisserie in Lausanne im Jahre 1962 war für Magdalena Abakanowicz Sprungbrett zu Weltruhm. Wie es dazu kam ist Zu-Fall. Warschau war nach dem 2. Weltkrieg dem Erdboden gleich. Letzte Besitztümer kollektivierte der Staat. Dennoch war der Wille Neues zu schaffen, speziell nach dem Tod Stalins 1953, enorm. Die Kunst bot Abakanowicz eine Möglichkeit hiezu. Sie besucht in den 50er-Jahren die Bildhauerfachklasse der Kunstakademie. Doch Material für skulpturales Arbeiten gibt es kaum. So malt sie, „die Tücher konnte man falten und in der Einzimmer-Wohnung unter dem Bett verstauen“, sagt sie bei unserem Besuch in Warschau. 1960 sollte ihre erste Ausstellung eröffnet werden. Doch die politischen Lichtblicke der 50er sind vorbei und ihre naturnahe Malerei an der Grenze zum Informel entspricht nicht der kommunistischen Doktrin. Die Vernissage findet nicht statt. Viele polnische Künstler ziehen in dieser Zeit in den Westen. Abkanowicz bleibt, nicht zuletzt aus Angst vor Repressalien gegenüber der Familie. Sie schafft es trotzdem. Und sagt sinngemäss: Wir hatten nichts und sahen nichts, das war unsere Chance, selbst etwas zu entwickeln. Polen liess die Künstler – im Gegensatz zur DDR und zur UdSSR – auf Sparflamme gewähren.

In einem Keller in Warschau unterhält Maria Laszkiewicz (1892 – 1981) ein Atelier für experimentelles Weben. Polen hat eine alte volksnahe Textil-Tradition. Diese wird aufgegriffen und neu interpretiert. „Ich wollte in den Raum“, sagt Abakanowicz und setzte die aus allen nur greifbaren Materialien geschaffenen Webteile zunächst so zusammen, dass die Oberfläche ausfranst, später dann zum Körper, zum „Abakan“ wird.

In Lausanne initiiert Jean Lurçat derweil die erste Biennale de la Tapisserie. Er lädt hiezu auch Polen ein. Laszkiewicz entdeckt bei einem Besuch auf dem Ministerium die Liste der Delegierten. Heimlich schreibt sie einen Namen hinzu: Magdalena Abakanowicz. Niemand merkt’s und die Geschichte nimmt ihren Lauf.

Die erste Biennale ist noch sehr traditionell. Vertreten sind primär Männer, die Teppiche von Frauen weben liessen. Eine der Ausnahmen: Polen, das mit vier Künstlerinnen vertreten ist. Signal des Aufbruchs im Textilen in Polen. Abakanowicz wird zu einer Ausstellung in Paris eingeladen. Pontus Hulten kauft eines der „magic objects“ fürs Museum. 1965 ist Abkanowicz nicht nur an der 2. Biennale in Lausanne vertreten, sondern auch in Sao Paulo, wo sie den grossen Preis der Biennale erhält. Weil sie vom Staat kein Visum erhält, kann sie indes nicht nach Brasilien reisen. „Da habe ich geweint“, sagt die Künstlerin im Rückblick.

1970 erhält sie vom Staat ein Atelier zugesprochen und kann da nun auch figürlich arbeiten. Und vermehrt Einladungen ins Ausland folgen. Sie kehrt von den Überdimensionen der Abkanas zurück zur Lebensgrösse. Durch Mulitplikation – ein Markenzeichen der Künstlerin – weitet sie indes das Indviduelle zum Kollektiv, zur Masse. Es entstehen sitzende Figuren, kauernde Rückengestalten, knollige Embryonen, kopflos Schreitende, bis zum heutigen Tag. Waren die ersten Figuren über Gips gezogene, verleimte und damit gefestigte Jute, oder auch nur gefüllte Jute, wandte sie sich später der Bronze zu. Lausanne und Abakanowicz ist eine so enge Beziehung, dass die Künstlerin zu jeder Biennale eingeladen wird und sie damit auch mitprägt. Ob ihre Arbeit überhaupt noch Textilkunst ist, wird gar nicht erst diskutiert.

Was in ihrer Arbeit stets blieb, ist die Wechselwirkung von Individuum – „ich bearbeite jede Figur einzeln“ – und Kollektiv einerseits, das Fragmentarische andererseits. Ist in den Werken der 80er-Jahre die Thematik des Geprägtseins und der Unfreiheit formal und emotional verknüpft, ist seit der politischen Wende ein Ausgreifen sichtbar. In der grössten Arbeit im öffentlichen Raum – in den 80 bronzenen Schreitenden von Chicago (2004) – schwärmen die zu überlebensgrossen Figuren gelängten Beine kaum merklich vom Standortfeld in alle Richtungen. „Wie Ameisen“, sagt Abakanowicz.

Die „Abakans“ mögen heute weit zurückliegen. Gerade im Rückblick zeigt sich indes ihre Kraft neu. Es wird zum Beispiel erkennbar, wie sehr die Abakans den oft radikalen Körperarbeiten von Künstlerinnen in den 70er-Jahren vorauseilen. Wie hier eine Frau – fast nur vergleichbar mit Louise Bourgeois – sich selbst zum „Haus“ gemacht hat, wie weibliche Erotik die mächtige Form mitbestimmt, wie hier „geboren“ wird. Wobei das Haus wohl das Ich meint – „in der Enge musste ich mir meine eigene Umgebung schaffen“ – wie gleichzeitig aber auch die Vision einer neuen, besseren Gesellschaft formuliert wird. Dass dies bis heute zu wenig erkannt wurde, hängt mit der Diskriminierung der Textilkunst als „Kunsthandwerk“ zusammen. Dass einer der wenigen roten „Abakans“ dieses Jahr in Madrid als Beitrag zum „Monochromen“ in der Kunst der 60er-Jahre gezeigt wird, deutet indes, zumindest im Fall von Abakanowicz, auf ein Umdenken.