Autoren- und Kunstfotografie in zwei Häusern vereint

Schweizerische Stiftung für Fotografie und Fotomuseum in Winterthur. Bis 08.02.2004

Dank dem Profil und der Finanzkraft der Volkart-Stiftung ist Winterthur nach 10 Jahren Aufbauarbeit nun Hauptstadt der Fotografie in der Schweiz. Die Schweizerische Stiftung für Fotografie, deren Betriebsbudget primär vom Bund finanziert wird, und das in erster Linie von privater Seite getragene Fotomuseum, haben sich zu einem Kompetenzzentrum mit gemeinsamer Infrastruktur, aber je eigenständigen Profilen zusammengetan. Ort des Geschehens: Der bisherige Standort des Fotomuseums und eine zu diesem Zweck nüchtern, aber funktionell renovierte Fabrikhalle vis-à-vis (Architekt: Wolfram Leschke). Den beiden Institutionen stehen 1300m2 Ausstellungsfläche und 2500 m2 weitere Nutzfläche für Lager, Seminarräume, Bibliothek, Büros etc. zur Verfügung.

Das Verhältnis von Ausstellungs- und Nutzfläche weist klar darauf hin, dass Winterthur nicht ein Event-, sondern ein Kompetenzzentrum für Fotografie eröffnet hat. Die Hauptaufgabe der bis anhin im Kunsthaus Zürich domizilierten Stiftung für Fotografie ist die Bewahrung des fotografischen Erbes der Schweiz, das in dokumentarischen Ausstellungen punktuell sichtbar gemacht wird. Dabei geht es in einem weit gefassten Sinn primär um Reportagefotografie von Schweizer Fotoschaffenden respektive in der Schweiz oder mit Bezug zur Schweiz publizierten oder gezeigten Aufnahmen, die Bildqualität mit historischem und sozialen Aussagewert vereinen.

Das 1993 gegründete Fotomuseum hingegen zeigt in seinen angestammten Räumen weiterhin national-internationale Bildproduktion, sei sie Reportage oder, schwergewichtig, künstlerische Fotografie. Zusätzlich ist die seit Anbeginn von Urs Stahel geleitete Institution nun aber Museum im engeren Sinn. Das heisst es stehen ihr vis-à-vis Räume für ihre Sammlung zur Verfügung.

Die erste Runde von Aktivitäten unter dem neuen Label zeigt die Ausrichtungen exemplarisch. Die Stiftung für Fotografie zeigt mit „Fokus 50er Jahre“ das Resultat längerfristiger Recherchen zum bildgeschichtlich bisher wenig vertieften Thema der Fotografie der 50er- Jahre in der Schweiz. Das Fundament bildet ein der Stiftung geschenkter, vollständiger Satz der „Woche“, der von 1951 bis 1973 vom Walter Verlag in Olten herausgegebenen „Neuen Schweizerischen Illustrieren Zeitung“, die – wie sich jetzt zeigt – den bild-dokumentarischen Vergleich mit internationalen Zeitschriften wie „Paris Match“, „Life“, „Epoca“ und andere nicht zu scheuen braucht. Hier wurden soziale und ökologische Themen quasi „vor der Zeit“ kritisch aufgegriffen, und dies mit Abbildungen, deren schonungslose Direktheit im Zeitvergleich erstaunt. Die Woche erreichte um 1970 eine Auflage von 70 bis 80 000 Exemplaren (dem Walter Verlag entsprechend vor allem in katholischen Gebieten), wurde dann aber „überholt“ und 1973 von Ringier gekauft und aufgelöst. Zwei wichtige Fotografen der „Woche“ waren Yvan Dalain (76) und Rob Gnant (71), die ihre Archive kürzlich der Stiftung übergaben. Ausschnitte aus ihrem Fotoschaffen sind nun zu sehen.

Das Fotomuseum zeigt als Kontrast die Ausstellung „Chaos und Ordnung“ mit sieben jungen, meist in den 70er-Jahren geborenen Fotoschaffenden (grossmehrheitlich Frauen) aus verschiedenen Ländern Europas. Was sie ausserordentlich macht, ist ihr Zeit-Credo. Urs Stahel ortet in einer Zeit des beängstigenden „Ausverkaufs“ von Ethik und Moral ein neues Bedürfnis junger Künstler und Künstlerinnen, dem „gesellschaftlichen Identitätsscherbenhaufen“ neue, existentielle „Formen der Selbstvergewisserung“ entgegenzuhalten. Das kann Janaina Tschäpe (30) sein, die sich an verschiedensten (Un)orten der Welt wie „tot“ auf den Boden legt, um in der Berührung und dem Loslassen zugleich, Verbindung zu visualiseren. Oder Sophie Rickett (33), die auf der schwierigen Suche nach Orientierung ein Waldpanorama in nachgrünes Licht stellt von Sequenz zu Sequenz leicht verschiebt, und so die Fragilität der Raum- und der Natur-Wahrnehmung thematisiert. Oder Marianne Müller (37), die „Ordnung und Chaos“ am Beispiel einer Taubenpopulation zwischen freiem Flug und sozialer Struktur untersucht.

Mit „Cold Play“, Set 1 präsentiert das Fotomuseum in seinen neuen Räumen gleichzeitig einen ersten Einblick in seine Besitztümer, die am Anfang „ziemlich beiläufig“ zusammenkamen, in den letzten Jahren aber durch Ankäufe und Schenkungen an Profil gewannen. Die als „gesellschaftliche Denkräume“ konzipierte Ausstellung, die zum Beispiel Robert Frank, Clegg&Gutmann und Vanessa Beecroft in Dialog stellt oder Hans Danuser und Lisa May Post aufeinander treffen lässt, erzählt von Vorhandenem, ohne indes wirklich Stringentes zu evozieren; Sammlung eben.

Was in Winterthur mindestens so viel Bedeutung hat wie das Gezeigte, ist das Offene, die Lagerräume der Stiftung zum Beispiel, die bei 13 Grad Celsius und 30 Prozent Luftfeuchtigkeit hervorragende Konditionen bieten, für das Bisherige und für Kommendes. Es ist eine Binsenwahrheit, dass da, wo Platz ist, auch Angebote kommen. Die Stiftung ist jetzt ein Gefäss, das ihrem Auftrag, bedeutsame Nachlässe von Schweizer Fotoschaffenden zu bewahren, nachkommen kann. Kein Zweifel, bald wird Stiftungspräsident Peter Pfrunder sehr genau auswählen müssen, was er annehmen will und was nicht. Ähnliches gilt für das Fotomuseum, das mit ständigen (licht-überwachten und nach Ende der Öffnungszeiten sofort abgedunkelten) Räumen und grosszügiger Lagerkapazität zweifellos Donatoren anziehen wird (und dies auch will).

Die Kataloge kosten 68 Franken (Fokus 50er-Jahre), 38 Franken (Ordnung&Chaos) und 5 Franken (Cold Play).