Monument im Fruchtland

Eröffnung Zentrum Paul Klee. Juni 2005

Nach jahrelangen Vorausberichten ist jetzt Augenschein angesagt: Das Zentrum Paul Klee öffnet seine Tore.

Der Maler Claude Monet hätte seine Freude am Zentrum Paul Klee. Rechtzeitig zur Eröffnung blühen rund um das «Monument im Fruchtland» überall Mohnblumen. Die Gärtner haben frühzeitig gesät und gepflanzt. Dass in den drei wellenförmigen «Häusern» Renzo Pianos der fertige Anschein trügt, verzeiht man so einfacher.
Unendlich viel wurde im Vorfeld der Realisierung des Zentrums Paul Klee debattiert, gestritten und geschrieben. Der entscheidende Wandel im Laufe der Planung zeigt sich darin, dass anfänglich ein Paul-Klee-Museum angedacht wurde, aus dem dann das Paul- Klee-Zentrum und jetzt das Zentrum Paul Klee geworden ist.

Dahinter verbirgt sich die Entwicklung vom Mono-Museum für den Maler Paul Klee zum Zentrum, das Paul Klee als interdisziplinäre Künstlergestalt sieht. Das heisst rund um die erste Sammlungspräsentation im ebenerdigen Mittelflügel und die Wechselausstellung «Nulla dies sine linea» (kein Tag ohne Zeichnung) im Untergeschoss ranken sich, als Ganzes genommen gleichberechtigt, das Kindermuseum Creaviva, Workshop-Angebote, Theateraufführungen, Konzerte, Lesungen, die sich alle auf ihre Art mit Paul Klee befassen. «Lebenslinien», eine szenische Begegnung mit Paul Klee nach einer Idee von Barbara Theobaldt, zeigte am gestrigen Pressetag, dass solcherart theatralischer Vermittlung überaus lustvoll, kreativ und vergnüglich sein kann.

Dieser Betonung sinnlicher und facettenreicher Annäherung an Paul Klee steht erstaunlicherweise eine Präsentation des bildnerischen Schaffens gegenüber, die zurückhaltender, um nicht zu sagen trockener nicht sein könnte. So steht man denn zunächst ziemlich verloren in Renzo Pianos mittlerer «Tennishalle» (so der eher zynische, aber nicht ganz aus der Luft gegriffene Kommentar eines Innerschweizer Kulturredaktors gestern in Bern).

Die weissen Wände sind mobil, schweben scheinbar im Raum, schaffen Zonen, aber keine Kabinette. Ein weisses Gaze-Dach dämpft das Licht, wo nötig, ansonsten gibt es viel Raum. Wohlsein will sich nicht einstellen, aber das ist im Konzept des künstlerischen Leiters, Tillman Osterwold, auch nicht angesagt. Viele Bilder hängen vereinzelt oder in kleinen Gruppen an den Wänden. Nur wenige wirken auf Distanz. Die Information beschränkt sich auf einen kleinen Karton mit Titel, Jahr, Technik und allenfalls die Herkunft (zum Beispiel: Geschenk Livia Klee). Hier und dort Vitrinen mit Marionetten. Eine Besucherführung gibt es nicht, eine eindeutige Chronologie auch nicht, sieht man von der knapp, aber originell gestalteten Biographie an den Aussenwänden ab.

Mit anderen Worten: Die Besuchenden sind bezüglich Kunst sich selbst überlassen. Und das ist nach anfänglicher Unsicherheit nicht einmal schlecht so. Wie sagte doch Paul Klee einmal sinngemäss: Ein bisschen Denken schadet nie. Das heisst, um zu begreifen, muss man sich dem einzelnen Bild nähern, man muss selbst schauen. Nur so zeigen sich zum Beispiel die zahlreichen Schichten, die Paul Klee im orangeroten Bild «Über Pflanzliches» von 1937 übereinandergelegt hat, um dem Jute-Gewebe Vergangenheit, Wandel und Gegenwart einzuschreiben. Nur die Konzentration auf das dichte Bildgeschehen lässt den poetisch-surrealen Touch erkennen, den die feinen, organischen Umriss-formen in sich tragen und bis an die Grenze des Erzählerischen führen.

Manchmal ist die Ausgangslage auch definierter: Wenn ein kleiner gemalter Kopf von 1933 den Titel «Aus der Liste gestrichen» trägt, so ist der Fall schnell klar: 1933 musste der «entartete» Klee Deutschland verlassen; es ist das Jahr der Rückkehr nach Bern.

Gewiss, in die seitlichen Bänke sind Computer eingelassen, die es erlauben, mehr Informationen zu den einzelnen Bildern zu erhalten, doch vornüber gebeugt auf einem kleinen Bildschirm klein geschriebene Texte zu lesen, ist wohl nicht vieler Leute Lust. Da geht man besser in die Bibliothek in der Museumsstrasse, welche die drei Wellen miteinander verbindet. Oder man begnügt sich mit dem, was die eigene Kreativität entdeckt, was sich vielfach mehr einschreibt als das Lesen langer Kommentare. So wird das äusserst verhaltene Konzept schliess-lich zum Reichtum. Am Medienanlass gestern waren allerdings auch kritische Stimmen zu hören.

Die erste Wechselausstellung zeigt Paul Klee als Zeichner. Klee hat immer, aber in seinen letzten, von Krankheit geprägten Jahren zwischen 1937 und 1940 besonders viel gezeichnet. «Süchtig» nannte er die Zeichnung Nr. 365 des Jahres 1938 und notierte dazu: «Nulla dies sine linea», was der Ausstellung den Titel gab.

Auch sie kommt ohne jegliche didaktische Führung aus, Zeichnung hängt neben Zeichnung. Von der Gestaltung her eigentlich langweilig. Aber Klee braucht nicht mehr. Es ist spannend genug, die Linie, die er zog, zu verfolgen – oft ist es nur eine einzige, die alles umschreibt. Und dann der Titel, der jeder Zeichnung eine eigene Welt öffnet, heisse sie «Zweifelnder Engel», «Chindli-frässer» oder «Wie sie musicieren»! Die Zeichnungen von 1940 verhehlen auch die Krankheit nicht (mehr): «plötzlich starr», «durchhalten» heissen sie jetzt.

Kommentar

Die Frage, ob es andere Möglichkeiten gegeben hätte für das Klee-Museum, ist müssig geworden. Das Zentrum Paul Klee steht und jetzt soll man sich darüber freuen. Der Knatsch um die städtischen und kantonalen Betriebsgelder kommt früh genug wieder. Die Freude bedingt allerdings einen Blickwechsel. Aljoscha Klee (anfänglich kein Freund des Projekts im Schöngrün) formulierte seinen Weg vom Saulus zum Paulus gestern so: Es galt, die Zukunft der Sammlung neu zu sehen, die Chance der entstehenden Wechselwirkungen mit anderen kulturellen Disziplinen als Potenzial zu erkennen.

Man kann noch weiter gehen: Die Tatsache, dass nicht primär Kunsthistoriker das Konzept des Zentrums entwickelt haben, sondern Maurice E. Müller und seine Frau Martha, brachte eine Öffnung zustande, wie es sie in keinem anderen monografischen Museum gibt.

Diese Öffnung ist eine Chance, umso mehr, als Paul Klee generationenmässig zwar zur klassischen Moderne zählt, aber gleichzeitig heutige Kulturschaffende inspiriert. Gemeint sind damit weniger die bildenden Künstler und Künstlerinnen – da fand der «Nachahmer-Boom» schon in den 1960er-Jahren statt. Sondern die Musiker, die sich von den Rhythmen der Bilder, vom Fluss der Linien, von der Orchestrierung der Farben zu Neuer Musik inspirieren lassen. Und die Theaterleute, Pantomimen, Tänzerinnen, die Klees Bilder umwandeln, oder, ausgehend von seinen Tagebüchern, Sentenzen und Bildtitel, Welten öffnen, die für sich selbst stehen.

Das alles ist eine Gratwanderung zwischen Aneignung, Wandlung und Schöpfung, die ebenso banal sein kann wie bereichernd. Die Verantwortlichen des Zentrums tun gut daran, kritisch zu bleiben. Wenn ihnen das gelingt und Paul Klee damit zum Zentrum einer offenen Kultur wird, so hat das ZPK gewonnen.