Thomas Huber im Aargauer Kunsthaus in Aarau. 2004

„Ich bin der Hausmeister hier“

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Aargauer Tagblatt vom 5.10.2004

Ist Thomas Huber (49) ein Erzähler oder ein Maler? Weder noch, sondern einer, der Geschichten malt und dazu redet. Sein „Kabinett der Bilder“ ist jetzt in einer Retrospektive im Aargauer Kunsthaus in Aarau zu sehen.

„Die Bildtiefe ist ein Abgrund, ein gefährlicher Abgrund! Man muss ihr mit Mass begegnen … Die Bildnerei ist kein ungefährliches Geschäft“, sagt Thomas Huber in einer seiner Bild-Reden. Zu praktisch allen seinen Motiven von der „Sintflut“ über „Bilder schlafen“ bis zum „Kreuz der Ehe“ hat Thomas Huber Reden gehalten. Reden, die ein Stück weit Hintergründe erzählen, vor allem das Bild selbst rechtfertigen: „Ich rede, um mich zu retten … mich zu wehren.“ Der Künstlers Position ist zugleich ausserhalb wie innerhalb des Bildes. „Ich bin der Hausmeister hier“, sagt er einmal. Und das „Ich“ ist dabei „Er“ – zugleich der Sprechende wie eine comic-haft vereinfachte Kugelfigur, die in vielen Bildern erscheint und die der im Bildraum lebenden Ich-Figur entspricht.

Entstanden sei diese Doppelstrategie bereits an der Akademie, sagt der Zürcher, der seit 1980 im Raum Düsseldorf lebt. Beuys sei zwar schon nicht mehr an der Schule gewesen, doch habe immer noch Gültigkeit gehabt, dass man an der Akademie diskutiere, nicht male. Er aber habe Bilder malen wollen. So habe er begonnen, zugleich zu reden wie zu malen. „Vornehmste Aufgabe der Bilder ist es, gesellschaftlicher Anlass zu sein“, heisst es 1984 in der „Rede in der Schule“.

Sehr früh ist er damit, vornehmlich bei Ausstellungsmachern, auf grosses Echo gestossen. Denn indem er die Bedingungen der Malerei sowohl im Bild-, im Kunst- wie im Sprachraum thematisierte, stellte er sich ihnen quasi zur Seite, nur anders, nämlich aus der Sicht des Bildermachers. Wurde vor allem auch vom Ausland die Kunst aus der Schweiz in den 70er-/80er-Jahren oft als „eigensinnig“ bezeichnet, so war und sind Thomas Hubers Werke eine glänzende Fortsetzung davon, auf einer Ebene, die zugleich Allgemeincharakter hat wie auch – erstaunlicherweise – sehr viele biographische Züge trägt. Die Selbstironie, die er darin anklingen lässt, ist nicht unwesentlich für die Rezeption, vielleicht sogar das Ticket zum Besuch von „huberville“ – wie seine Bilder-Stadt im World Wide Web heisst. „Humor“, sagt der Künstler, „ist ein Überlebensmedium“.

Huber arbeitet oft in Zyklen – erinnert sei zum Beispiel an die „Bibliothek“, die 1991 in La Chaux-de-Fonds zu sehen war, oder „Die Bank. Eine Wertvorstellung“, 1993 im Kunsthaus Zürich. Die Ausstellung in Aarau ist anders, sie zeigt die erste umfassende Retrospektive. Der Künstler zögerte bisher, seine verschiedenen Kapitel zusammenzusehen, gibt es darin doch keine klassische, das heisst formale oder malerische, Werkentwicklung; das Werk breitet sich vielmehr als Summe von Diskursen zu verschiedenen Themen aus. So ist es denn nicht einseitig ein Augenerlebnis, das Besucher nach Hause tragen, sondern eher die Erinnerung an ein Labor, indem sich verschiedenste Aspekte eines Künstlerdaseins treffen. Wer „Labor“ mit „Alchemie“ assoziiert, liegt nicht falsch, Huber behauptet zum Beispiel die ideale Temperatur für ein Bild liege bei 37.2 Grad, der adäquateste Aggregatszustand sei flüssig und die Seife sei der Goldgrund der Malerei.

Allerdings gilt gleichzeitig etwas anderes. Der im Sternzeichen des Krebses Geborene sagt, das Schlimmste beim Malen sei das Gefühl herauszubringen. „Was habe ich schon Gefühle aus dem Bild geschafft, weggeräumt… jeden Tag ordnen, saubermachen, lüften“. Tatsächlich sind Hubers Bilder sachlich und perspektivisch hoch präzise. In ihrer Struktur verfolgen sie mathematische Prinzipien, die an die Renaissance erinnern. Ältere Bild-Vorstudien zeigen es (heute verwendet er zum Teil PC-Software). Die Gefühle sind jedoch nicht weg, sie sind in die Dinge gepackt und in die Spannungen dazwischen, nicht nur im „Kreuz der Ehe“ (das im Bild als Tisch und Bett übereck, aber auch als Paar von Figur und Grund auftritt). Am Eindrück-lichsten verwandelt ist die emotionale Befindlichkeit vielleicht in „Jakobs Traum II“ (1997), der die Ich-Figur zugleich auf einer Luftschaukel wie auf einer Treppe zeigt, auf deren Tritte wechselnd die Worte „Lachen“ und „Weinen“ stehen. Der Vater von sechs Kindern hat da ja wohl auch einschlägige Erfahrung.

Man mag bedauern, dass Aarau auf der Ebene der Ausstellung die Reden quasi ausklammert – keine Texte liegen auf, nirgendwo sind Kopfhörer, einzig ein paar Stühle vor der „Sintflut“ laden ein zum virtuellen „Bildvortrag“. Wer allerdings in „www.huberville“ nachzulesen beginnt, merkt, dass die Reden auch des Guten zuviel sein können und das Konzept, nur die Bilder sprechen zu lassen, auch seinen Reiz hat, vielleicht sogar stärker animiert „in sie einzutreten“, wie es sich Huber in den Reden wünscht, um den „Blick zu wenden“. Einen bravourösen Mittelweg schlägt der Buch-Katalog ein, der gespickt mit Zitaten des Künstlers doch die Aussensicht bewahrt und das Werk in seiner Vielfalt gültig einfängt (Edition Lars Müller/Binding Sélécetion d’Artistes).

2005 ist die Ausstellung in Rotterdam und danach in Krefeld zu sehen. Fürs Konzept zeichnen Thomas Huber, Beat Wismer und Stephan Kunz.

Bildlegenden:

„Rede über die Sintflut“, Öl auf Leinwand, 1982

„Das Hochzeitsfest“, Öl auf Leinwand, 1986

„Die Wendung“, Öl auf Leinwand, 1988