100 Jahre Aargauer Weihnachtsausstellungen; die 1970er-Jahre AG KH 2005/2006

Als man sich noch über Kunst empörte

www.annelisezwez.ch      Annelise Zwez in Aargauer Zeitung vom 13. Dezember 2005

Die „Auswahl 05“ im Aargauer Kunsthaus ist auch Jubiläum „100 Jahre Weihnachts-ausstellung“. Maya Rikli hat es zum Thema einer Installation gemacht und damit ein Füllhorn von Erinnerungen gezündet. Zum Beispiel an die 1970er-Jahre.

Man kann die glitzernde Namenliste an den Wänden der Installation „Ruhm und Ehre“ von Maya Rikli ganz verschieden sortieren. Zum Beispiel: Silvia Bächli, Dominique Lämmli, Heiner Kielholz, Max Matter, Tatjana Marusic, Christian Rothacher, Hannah Villiger, Ilse Weber, Beat Zoderer. Und denken, der Aargau sei wirklich nicht Provinz. Man kann aber auch Carla Ahlander, Edgar Bär, Patrick Fettier, Yvette Levy und Lina Urfer zusammenwürfeln und sich fragen, ob einem das Gedächtnis einen Streich spielt. Weihnachtsausstellungen waren und sind Stelldichein von Bekanntem, möglicherweise Zukunftsträchtigem, aber auch von Eintagsfliegen. Letzteres speziell dann, wenn sich – wie fast überall – einmal die „Demokraten“ durchsetzten und eine juryfreie ansagten: Das war im Aargau 1981 der Fall und so stammen 357 der beeindruckenden 1153 Aargauer Weihnachts-Künstlerinnen und -Künstler aus der Versammlung all jener, die auch mal im Kunsthaus präsent sein wollten.

Klar, dass sich die Zusammenkunft der Aargauer Kunst wandelte. Der Beginn fällt ins Gründungsjahr der Aargauer Künstlergesellschaft GSMBA (heute „visarte“). 10 Männer waren es, die sich 1904 präsentierten. Bis 1950 wuchs der Berufsverband auf wenig mehr als 30 Mitglieder. Nur sie und ihre Gäste bestritten die Ausstellungen. Erst mit der Eröffnung des Kunsthauses 1959 und einer schrittweisen Öffnung der Strukturen wurde die Weihnachtsausstellung um 1970 zu dem, was sie im Kern noch heute ist. Wenn die Entwicklung in den 1970er-Jahren besonders spannend ist, so nicht zuletzt darum. Den entsprechenden Druck brachte die 68er-Generation. Wobei es an den wechselnden Jurys lag, ob die Jungen „in“ oder „out“ waren.

Den ersten „Skandal“ liess die Jury von 1972 zu. Sie nahm das Tryptichon „vie-et-nam“ – drei ebenso wütende wie pazifistische Schrift-Kritzel-Bilder von Willi Schoder (*1930) – in die Auswahl. Polit-Kunst dieser Art hatte man im Aargau zuvor noch nie gesehen. Entsprechend entrüstet war die Reaktion auf die Schmähung des Schönen. Doch es sollte noch schlimmer kommen, die Jury von 1973 beliess die „Dea seduta“ – einen blutverschmierten, alten Holzstuhl auf einem kleinen Podest – des in Rom lebenden Thomas Kuhn (1948-1992) in der Auslese. Im Aargau, wo die „arte povera“ noch nicht angekommen war, schüttelte man erneut den Kopf. 1975 war es dann Markus Müller, der den Aargauer Kunstbegriff sprengte: Seine Plastikhülle mit Sandstrand und sich räkelnden Badenixen im Bikini war Performance-Kunst, bevor man im Aargau wusste, was das ist. 1976 empörte man sich über den fantastischen „Grand Prix“ von Anton Maria Derungs, der – als 27-Jähriger! – für sein Bild 75 000 Franken wollte. Es sei doch im Titel enthalten gewesen, sagte der längst aus der Szene Verschwundene, im Tessin lebende Künstler später einmal.

Ja, die Verschwundenen. Wo sind sie nur geblieben, die in den 70ern mit zu den Tonangebenden gehörten? Rudolf Buchli etwa, dessen Soft-Objekte so etwas wie männliche Sehnsüchte formulierten. Oder Lisette Küpfer, deren „Teerobjekte“, „Göttinnen“ und „Elefanten“ ganz schön provozierten. Oder Ernst Häusermann, dessen Keramik-Objekte nach dem Fall der Materialien-Guillotine (Ton oder Textil = Kunsthandwerk) neu zu sehen wären. Oder Heidi Widmer, Käthi Horlacher, Laura Weidacher, Kurt Ehrler, Erika Leuba. War nach Sturm und Drang Ende? War der Kunst-Markt zu feindlich? Wurde das Eigene von der jüngeren Generation überrollt?

Die Wehmut ruft auf der anderen Seite nach Bewunderung – für jene, die sich halten konnten. Kann man sich vorstellen, dass es eine Zeit gab, da die „Ziegelrainler“ (Matter, Müller, Rothacher, Kielholz) ihre Nase an den Kunsthausscheiben plattdrückten, um zu schauen, ob sie „drin geblieben“ sind? Zu den „30-Jährigen“ gehören auch Rosmarie Vogt, Martin Ruf, Gillian White, Ruth Berger, Stefan Gritsch, Jürg Stäuble und – man staune – auch schon Urs Aeschbach Silvia Bächli, Ursula Mumenthaler, Bruno Jakob (geb. zw. 1954 und 1956) – speziell 1976/77 waren Jurys am Werk, die vielen Jungen zu einem frühen Erstauftritt verhalfen.

Last but not least ist Maya Riklis Arbeit auch eine Memento Mori. Mit Ernüchterung stellt man fest, wie viele Verstorbene aus dem Blickfeld verschwanden. Jan Hubertus ist ein Beispiel, Thomas Kuhn, besonders schmerzhaft Ueli Michel, aber auch Albert Siegenthaler, Marcel Leuba, Thomas Peter, Werner Holenstein, Jacques Knecht, Ruth Kruysse. Bald auch Willy Müller-Brittnau?

Die Weihnachtsausstellungen waren nie der Nabel der Welt – aber als Füllhorn für lokale Erinnerungen sind sie „Gold“ Wert.