Bieler Fototage 2005 Rundgang II

Welches es ist denn nun das beste Projekt?

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 6. September 2005

Auf die Frage, was denn nun das herausragendste Projekt an den Bieler Fototagen 2005 sei, gibt es nicht nur eine Antwort.

„On the road … again“ zeigt sich in den 25 Reportagen, Essays und Installationen der Bieler Fototage 2005 als sehr offenes Thema, vielfach jedoch mit jenem Schuss Melancholie gewürzt, den der an die 1960er-Jahre erinnernde Road-Movie-Titel in sich trägt. Denn ein Moment verbindet alle, direkt oder indirekt: Das Unterwegssein. Von Ankommen ist nirgendwo die Rede.

Unterwegssein kann bewusstes Gehen, kann Flucht sein, kann der Weg zur Arbeit, ein Nach- oder Erforschen von Ländern oder der eigenen Herkunft bedeuten, kann Umherziehen oder Freizeitvergnügen, kann Reisen oder gar ein Luftsprung sein. Eigenartig, dass die Nomaden nicht auftauchen und auch die Wanderungen der Tiere nicht.

Das Herausragende der Fototage unter medialen und inhaltichen Aspekten zu finden beinhaltet Subjektivität. Quasi ausser Konkurrenz und dennoch mittendrin präsentiert sich die Installation des Basler Teams Walter-Feger-Spehr im Museum Schwab. Sich teils überkreuzende „Augen“ bringen die Seevorstadt und die Schüsspromenade als bewegte Licht-Bilder in die verdunkelten Räume. Unscharf, kopfüber und doch „real“, das heisst unsere Wahrnehmung bringt sie, gekoppelt mit unserer Erinnerung, ins Lot und führt uns so „hinter unsere eigenen Augen“ oder, anders ausgedrückt, sie verschmilzt sehen und „fotografieren“. Möglicherweise beeinflusst die Installation die Fototage als Ganzes, denn es rückt den Fotografen als Sehenden, aber auch uns als Schauende ins Bewusstsein.

Vielleicht schärft es den Blick für Nähe und Distanz, die eine Fotografin oder ein Fotograf zu seinem Thema einnimmt. Da ist zum Beispiel die 1980 in Colombo geborene Luzernerin Carmela Harshani Odoni, die auf einer Reise nach Sri Lanka ihrer leiblichen Herkunft nachspürt. Da geht es direkt um Nähe. Dass ihr Projekt zu den herausragenden gehört, hängt mit der Subtilität zusammen mit welcher sich die Fotografin an Land und Menschen herantastet, zugleich aber die Symbolik jedes Motivs sichtbar macht, nicht behauptend, nur fragend. Die junge Frau auf dem Bild – wäre sie das, wenn sie da aufgewachsen wäre? Die Stadt, wäre sie Heimat? Und die Mutter? Die findet sie nicht. Vielleicht soll das so sein.

Ganz anders, Yves Leresches in seinem Langzeit-Projekt zum rumänischen „Volks“-Wagen, dem Dacia, „der fast alles kann“; auch dies eines der sich einschreibenden Projekte – vor allem für jene, die eigene Erinnerungen ins Schauen weben. Doch Leresche ist Reisender, Beobachtender, Schmunzelnder – er hat Distanz zum Thema und vermag es gerade darum als Spannungsfeld zwischen Armut, Lebenswille und Lebensfreude zu zeigen.

Nähe und Distanz kann Qualität sein. Andere Projekte stehen dazwischen, holen ihre Kraft aus der Anteilnahme. Martin Bühlers „Inuit“-Projekt, seine Bilder vom Leben in Grönland, ist ein hervorragendes Beispiel, wie sich Nähe und Distanz steigern können. Er macht fühlbar, dass die Jagd – das Schiessen eines Eisbärs, das Ausweiden eines Wales – in der Arktis andere Dimensionen hat. Lacht aber auch, ob dem Hausdach als Kühlschrank, und weiss nicht so recht, was er halten soll von Orangen im Dorfladen.

Eine andere, nicht minder intensive Anteilnahme kennzeichnet „Heimatverlust“ von Meinrad Schade, der die Stimmung von Flüchtlingen, Asylsuchenden, Migranten zwischen Hoffnung und Verzweiflung eindrücklich einfängt; ob auf dem Jaun-Pass, in Fuerteventura oder in Lagern in Inguschetien.

Es zeigt sich, dass alle herausgehobenen Projekte – zu denen weitere zu zählen wären – grösseren Umfang haben als andere, zum Teil nur mit einem einzigen, mehrteiligen Block umrissene und dass auch Nachbarschaften eine Rolle spielen. Tiziana de Silvestros „Einschränkungen“, mehrheitlich Aufnahmen von Baustellen, machen inhaltllich Sinn neben Schades „Heimatverlust“, doch die Formate (gross hier, reportageartig klein dort) stehen einem visuellen Zusammengehen, unabhängig von der Qualität der Bilder, im Weg.

Auch Geri Stockers amüsantes und hintergründiges Essay zur Präsenz Amerikas in der Schweiz kann sich nicht ganz durchsetzen. Die doppelseitigen Aufnahmen an den Fenstern der Rotonde schaffen, im Gegensatz zum letzten Jahr, keine Gleichzeitigkeit von innen und aussen. Insbesondere das Beschriften der Bilder orientiert sie zu sehr nach innen.

Quasi eine Ausstellung in der Ausstellung ist das Projekt der Magnum-Fotografin Susan Meiselas aus den USA. Die 57jährige fotografierte in den 1970er-Jahren von Jahrmarkt zu Jahrmarkt ziehende „Girl-Shows“. Die klassische Reportage verweist zum einen auf die Langzeitpräsenz des Themas, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, wo die anteilnehmende Reportage quasi geboren wurde (vgl. Ausstellung Robert Frank in Winterthur). Das Eindringliche sind hingegen die Fotos selbst, die von einer Pseudo-Freiheit als reisende Sex-Objekte erzählen, die erschaudern lassen, sich letztlich aber von den sesshaften Etablissements mit Osteuropäerinnen bei uns heute fast nur unter dem Aspekt des Schönheitsbegriffes unterscheiden.

Formal, aber keineswegs inhaltlich, aus dem Rahmen fallend ist die Präsentation von Thomas Zollinger in der Gewölbe-Galerie. Es ist das einzige konzeptuelle Projekt der Fototage. Fünf Jahre inszenierte der Bieler Künstler das Thema Gehen respektive „Weiter Gehen“ in Form zeitlich und räumlich definierter Parameter, die durch Wiederholungen zu rhythmischen Ritualen wurden. Was einst Performance war, ist nun fotografische Dokumentation von erstaunlicher Präsenz. Zollinger vergass nie, sein Tun mit der Videokamera festzuhalten. Und hat nun aus den bewegten Bildern Stand-Situationen herausgeholt und zu eindrücklichen, visuellen Rhythmen zusammengefügt, die das Thema in übersetzter Form neu präsentieren.