Museum Franz Gertsch Burgdorf Der Kaiser Goslar Ring 2005

Engagement aus Überzeugung

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 2. August 2005

Der Kaiser Goslar Ring ist kein Geldpreis. Trotzdem sind die Ringträger ein Who is Who der Nachkriegskunst.

Henry Moore, Joseph Beuys, Richard Serra, Christo, Gerhard Richter, Mario Merz, Rebecca Horn, Ilja Kabakov…was sie verbindet, ist der Kaiser Goslar Ring. Seit 30 Jahren vergibt die Kleinstadt in der Nähe von Braunschweig einen Kunstpreis, der – obwohl mit keinerlei finanziellen Anreizen verbunden – seit langem zu den renommiertesten zählt. Unter den illustren Namen findet man auch – mit Jahrzahl 1997 – den Berner Franz Gertsch; abgesehen von Max Bill (1982) ist er der einzige Schweizer im Konzert. Auf seinen Wunsch zeigt „sein“ Museum in Burgdorf jetzt Werke ausgewählter Preistragender.

Im Hauptsaal von Wand zu Wand: Der Stauffberg-Zyklus der berühmtesten Beuys-Meisterschülerin, Katharina Sieverding (61), Preisträgerin 2004. Obwohl mehrfach an der Documenta, mehrfach in Venedig, wurde ihr auf Fotografie beruhendes Werk in der Schweiz noch nie gültig gezeigt. Unverständlich, und ein Plus für die Ausstellung in Burgdorf. Die zwei Mal acht Selbstporträts zeigen das Gesicht der Künstlerin bildfüllend und von wie von Feuer erglüht. Der auf den Hitler-Attentäter Stauffberg verweisende Titel zeigt die inhaltliche und politische Dimension der 1969 angelegten und 1996 grossformatig realisierten Arbeit. Eingedenk ihres damaligen Lehrers Joseph Beuys und angesichts des „alchemistischen“ Verfahrens – hier der Bearbeitung der Fotos mit Feuerstössen – lässt sich Sieverdings Werk als visualisierte Energie interpretieren und zugleich als Auftrag, diese selbstverantwortlich zu nutzen, in ihrem Fall als Künstlerin, in Deutschland.

Kuratorin der Ausstellung ist Elke Kania, Mitarbeiterin am Gertsch-Museum. Sie war vor die schwierige Frage gestellt: Wie macht man aus einer Liste von Preisträgern eine Ausstellung. Sie löste die Aufgabe durch zwei Fokusse: einen politisch-gesellschaftlichen und einen naturhaft weltbezogenen. Zwei Themen somit, die man auch bei Franz Gertsch findet und vielleicht eine Art roten Faden der Goslar-Jury bilden. Mit dabei sind 13 Künstler und Künstlerinnen, neben Sieverding unter anderem Jenny Holzer, Nam June Paik, Cy Twombly, Joseph Beuys, William Kentridge und Robert Longo (Preisträger 2005).

Gegen dieses Konzept ist nichts einzuwenden, umsomehr als mit den zwei eindrücklichen (Trick)- Filmen des südafrikanischen Zeichners William Kentridge ein zweites künstlerisches Highlight gesetzt ist. Andere Künstler sind eher vertreten als wirklich fassbar ( zum Beispiel Twombly oder Serra).

Das eigentlich Spannende ist aber die Geschichte des Goslarer Kaiserrings selbst. Wie kann es der Geburtsstadt Kaiser Heinrich IV. (heute Unesco-Welterbe) gelingen, in der internationalen Kunstwelt mitzumischen? Scheinbar einfach: Durch Engagement (übrigens durchwegs privates) und ein bisschen Glück. 1975 brauchte es, wie Inge Langner an der Vernissage erzählte, viel, um den Bildhauer Henry Moore zu überzeugen. Doch er kam und fühlte sich wohl, was für einen Engländer auch 30 Jahre nach Kriegsende noch nicht selbstverständlich war.

Dann die Katastrophe: Sowohl Max Ernst (1976) wie Alexander Calder (1977) starben zwischen Bekanntgabe und Verleihung. Das Ende? Nein, es folgte Vasarely, Beuys und dann (1980)… Jean Tinguely – doch dieser nahm den Preis nicht an – er sei doch keine PR-Maschine für Goslar. Die Ohrfeige rief die Einwohner aufs Tapet: So nicht, sagten die ehemals skeptischen – heute sind von den 40 000 Goslarern deren 4000 Mitglieder des Kunstvereins. Das Medienecho und eine überaus honorable und entscheidungssichere Jury (Dieter Honisch, Werner Spies, Erika Billeter, Dieter Ronte u.a.m.) öffneten Goslar fortan Tür und Tor. Diese lohnen es jährlich mit einem zweitägigen Kunstfest, samt Ausstellung und drum und dran – mit der Folge, das die Preistragenden oft mit der ganzen Familie erscheinen und Goslar in bleibender Erinnerung haben.

„Wissen sie“, sagte Inge Langner im Gespräch, „wenn unser Preis etwas mit Geld zu tun hätte, käme keiner, denn was wir – gänzlich privat strukturiert – aufbringen könnten, wäre nichts im Vergleich zu einem einzigen verkauften Werk dieser Künstlerinnen und Künstler.“

So zeigt sich einmal mehr: Herzlichkeit kann mehr sein als Geld – eine Geschichte „von unschätzbarem Wert“.