Wasserläuferin im Libellenkleid

Retrospektive Heidi Bucher im migros museum in Zürich. Bis 6. Jan. 2005

Die Überraschung: Nach dem „Glamour“ in der jungen Kunst zeigt das Zürcher migros museum eine Retrospektive Heidi Bucher (1926-1993) – eine Pionierin ich-bewusster Kunst von Frauen. Setzt jetzt die Zeit der Rückblicke an?

Was passiert, wenn eine 35-jährige Kuratorin wie Heike Munder vom migros museum in Zürich das Werk einer bisher unter feministischen Gesichtspunkten rezipierten Künstlerin wie Heidi Bucher zeigt? Zwei Dinge: Unverfrorenheit rückt Formen und Materialien vermehrt ins Blickfeld. Die Latex-Häute von Zimmern und Häusern aus dem späten 19. Jahrhundert rufen in der grosszügigen Inszenierung nicht mehr augenblicklich die Ablösung von patriarchalen Strukturen wach. Sie mischen sich vielmehr unverhofft in die aktuelle Diskussion um Architektur als Körper-Haut.

Aber: Die schmerzhafte Intimität der stets im Frauen-Kollektiv ausgeführten Häutungsprozesse ist seltsam weg. Gäbe es in der Ausstellung nicht den Film von Georges Reinhart von 1982, der das Rituelle der Aneignung des „Ahnenhauses“ und dessen Häutung festhält, es wäre für die jüngere Generation, die Heidi Bucher nicht kannte, kaum möglich das existentielle Moment der Arbeiten zu erkennen.

Ob das gut oder schlecht, ist eine offene Frage; vielleicht beides. Allerdings ziehen die oft mit einer Perlmutter-Lösung überzogenen Latex- und Schaumstoff-Arbeiten der 70er-Jahre die abgezogenen Wände, Fussböden, und Türen wie zurück in den geheimnisvollen „Borg“ der alten Metzgerei in Zürich, in welchem Heidi Bucher sie nach ihrer Rückkehr aus den USA schuf. Diese fliessend verfestigten Kleid- Decken- und Möbel-Stücke, die seit Jahrzehnten nicht mehr original zu sehen waren, bilden den Höhepunkt der Ausstellung; vor allem dort, wo sie nicht dem (allzu) grossen Hauptraum ausgesetzt, sondern in Kabinetten verdichtet sind.

Da zeigt sich wie Heidi Bucher sowohl materialmässig wie auch inhaltlich Pionierarbeit im Kontext ich-bewusster Kunst von Frauen schuf und jungen Kunstschaffenden, die eben heute wieder auf der Suche nach neuen skulpturalen Formen sind, Ahnfrau sein könnte. Im wunderbaren Objekt, das einen auf einem Kissen ruhenden Krug zeigt, aus dem Wasser einer Zunge gleich in den Raum „fliesst“ etwa. Oder im blauschimmernden „Libellenkleid“, mit dem Bucher in Performances auftrat, oder in der perlmuttern leuchtenden Wandarbeit „Libelle mit Kleid im Wasser“. Allerdings ist die Position Buchers wesentlich introvertierter als heutige Ansätze; anders als in (surrealen) Träumen und „Lufthäusern“ konnten die Frauen ihre neue Befindlichkeit noch kaum ausdrücken. Von da aus vernetzt sich Buchers Schaffen auch mit Künstlerinnen wie Meret Oppenheim, Ilse Weber, Eva Aeppli oder Erica Pedretti. Doch ist da gleichzeitig und spezifisch die Pop Art, die Heidi Bucher um 1970 in den USA zu riesigen „Body Shells“ animierte, die freilich nur als Zeichnungen und in einem kurzen Film erhalten sind.

Die Werke Heidi Buchers wurden um 1980 sehr wohl beachtet (Ausstellungen beim Maeght in Zürich) und Hinweise auf die „Häutungen“ fehlen in keiner Schweizer Kunstgeschichte, doch hat Buchers krankheitsbedingter Teil-Rückzug auf Lanzarote (1984) und der frühe Tod (1993) die Rezeption auf eine virtuelle Ebene gerückt. Das korrigiert nun die Ausstellung in Zürich, wenn sie auch punkto Inszenierung einiges zu wünschen übrig lässt.