Christian Rothacher im Kunstmuseum Olten 2006

Messerscharfe Oberflächen

www.annelisezwez.ch   Annelise Zwez in Aargauer Zeitung September 2006

Parallel zum „Ziegelrain“ im Aargauer Kunsthaus zeigt das Kunstmuseum Olten eine One-man-Show des einstigen „Rebellen“.

Christian Rothacher hat ein gespaltenes Verhältnis zu seiner Zeit als Mitglied der Ateliergemeinschaft „Ziegelrain“, die in den späten 1960er-Jahren die Kunst im Aargau neu aufmischte. Als „Fluch“ bezeichnet er sie, weil die Rezeption seines Werkes immer damit identifiziert werde. Die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Olten zeigt, beileibe nicht zum ersten Mal, dass eine Reduktion Rothachers auf die Zeit als er Felle in Rahmen spannte und zu Bildern erklärte, nicht greift. Denn noch immer ist der heute 62-jährige Künstler ein radikaler Bildermacher, der sich nicht vor Schnitten fürchtet.

Längst wird Rohschinken und Bratspeck maschinell in Tranchen geschnitten, doch nichtsdestotrotz geben wir dem Metzger assoziativ ein Messer in die Hand. Auch Christian Rothachers wichtigstes Arbeitsinstrument ist das Messer. Nicht mehr das Linolmesser wie in den 1980er-Jahren, sondern ein scharfes, klare Schnitte zeichnendes. Der Künstler schneidet damit Formen aus farbigem Papier und fügt sie nahtlos zu Bildern von tranchiertem Rohschinken und Bratspeck. Geschichtet wie wir sie von den Verpackungen in den Grossverteilern kennen.

Um das Fleisch, das Fett und die Knorpel zu erkennen, brauchen wir freilich mindestens zwei Blicke. Denn bei den Papier-Intarsien, der seit einigen Jahren bevorzugten Technik Rothachers, geht es nicht um Trompe l’oeil und nicht um Stillleben, sondern um materialisierte Oberflächen. Da diese ihre Bildhaftigkeit nur verzögert preisgeben, werden sie nur für konzentriert Schauende zur messerscharfen Metapher, zur gnadenlosen Auseinandersetzung mit dem Tod.

Wer gedanklich nicht so weit gehen mag, dem sei ein Blick an die Decke des Treppenhaus-Raumes empfohlen, da wo die für Rothacher neuartigen, rot-weiss geäderten Inkjet-Prints von randlos fotografiertem und digital bearbeitetem Fleisch hängen (Co-Produktion Brigitte Lattmann/Silvio Ronchetti). Denn die toten Schmeissfliegen in den Leuchtstoffröhren , die den Bildern Licht geben, weisen nicht auf ein verstaubtes Museum, sondern von der spiegelnden Künstlichkeit der Bilder zurück zum Würgegriff der Realität, der Zersetzung.

Auch das neue „Abendmahl“ – ein langer Tisch mit Gelenk-Lampen, welche die Figuren im Bild Leonardos nachstellen – ist viel näher beim Henkersmahl als die erste Version, mit welcher er 1984 an einer Weihnachtsausstellung im Aargauer Kunsthaus Furore machte. Das weisse Tischtuch macht die Lichtkegel grell und das Makellose zum umso härteren Kontrast zu den grau-schwarzen Inkjet-Prints an der Wand, welche die angedeuteten Wandbilder bei da Vinci aufnehmen. Sie zeigen Ausschnitte eines aufgebrochenen Asphaltbelages, der mit schwarzem Teer notdürftig geflickt ist. In der Atmosphäre des Raumes werden sie zu bedrückenden Statthaltern für Bilder mit Rissen, für eine Welt mit Schrunden.

Rothacher ging es schon immer darum, seine Werke zu entpersonalisieren, die Dinge sprechen zu lassen und nicht ihn. Was ihm durch die geradezu magische Nähe zum Gegenstand auch vielfach gelang. Dennoch stand die Haltung stets in Widerspruch zum Leiden des Künstlers an der Welt. Möglich dass keine Ausstellung so deutlich zeigte, wie sehr der Künstler trotz allem mitten in seinen Werken hockt, wie die am Freitag eröffnete, an welcher der Künstler aus gesundheitlichen Gründen leider nicht teilnehmen konnte.

Zur Ausstellung ist ein Schuber mit Postkarten und einem Text-Heft erschienen. Marie-Louise Lienhards Aufsatz darin ist so präzise als wäre er ein Bild des Künstlers.