Haus am Gern im Espace d’art contemporain (les halles) in Porrentruy / Pruntrut       Kunstbulletin 10/07

Je ne sais quoi

Annelise Zwez, Bis 12.11.2007

Selbst für die meisten Schweizer ist die französischsprachige Stadt Porrentruy im Kanton Jura terra incognita. Zu Unrecht, nicht zuletzt weil Philippe Queloz für „Les Halles“ der einstigen Fürstbischofsstadt seit sieben Jahren ein pointiert zeitgenössisches Programm zusammenstellt.

Das Kunstunternehmen Haus am Gern (Barbara Meyer Cesta und Rudolf Steiner) packte die Chance der Einladung, um ein nach wie vor heisses Eisen zu thematisieren; die „revolutionäre“ Geschichte des erst vor knapp 30 Jahren gegründeten Kantons Jura. Haus am Gern, u.a. Kunstpreisträger der Stadt Bern, lieben seit jeher subversive Geschichten, die sie mit Humor und einer guten Prise Fiktion in konzeptuelle Kunst verwandeln und dabei des öftern in Schwierigkeiten geraten. Diesmal behaupten sie, sie hätten das 1996 von der separatistischen Gemeinschaft der „Béliers“ mit dem Argument „Rückführung von Patrimoine“ in Lengnau (BE) gestohlene und seither verschwundene Zahnrad (Ø 3 m) der 1972 zerstörten „Moulin de Bollement“ von St. Brais wiedergefunden. Wie einen Goldschatz präsentieren sie das Rad im Nucleus von „Les Halles“, zugedeckt mit Kuschel-Wolldecken (made in China). Der Clou: auf der Decke ist das Bild reproduziert, das Kinder nach dem Diebstahl auf die Fassade der Berner Kantonalbank in Lengnau, wo das Rad 20 Jahre lang hing, gemalt haben; übermalt mit dem Ausstellungstitel „Je ne sais quoi“.

Mit der Sentenz „je ne sais quoi“, die in Büchern über Ästhetik als das sprachlose künstlerische Etwas bezeichnet wird, gelingt es Haus am Gern – ähnlich wie im Sommer bei Rousseaus „Hirschjagd“ im Rahmen von „Art en plein air“ in Môtiers – die Geschichte mit einer leichten Kipp-Bewegung in den künstlerischen Kontext zu verschieben. Unterstützt werden sie dabei unter anderem von René Zäch. Der Objektkünstler hat nämlich den Aprilscherz von 1997 – als die Béliers an die Stelle des geklauten Rades in Lengnau ein quadratisch-konstruiertes hingen – als Kunstobjekt mit dem Flair des „je ne sais quoi“ in den Orginalmassen nachgebaut.

Die Ausstellung ist nicht nur Anekdote. Sie legt auch eine Fährte zurück ins späte 19. Jahrhundert, als sich im Jura anarchische Zellen bildeten. Unausgesprochen wird suggeriert, dass da das Gen für den separatischen Kulturkampf geboren sei. Damals gründete der teils im Jura lebende deutsche Handwerksgeselle August Reinsdorf die „Arbeiter-Zeitung“, in welcher er in fundamentalistischer Sprache zum Widerstand gegen die Mächtigen aufrief. Hausam Gern ehrt ihn mit zwei Traktor-Rädern mit Schneeketten und Eisenbuchstaben darauf, die den Satz „Soll dies wirklich ewig dauern?“ in Schnee und Eis schreiben würden. Mit der verknorzten Umsetzung wird ein Link zur mitausgestellten Fotoserie selbstgebastelter Landwirtschaftsmaschinen im kommunistischen Polen (Lukasz Skapski) geschaffen, aber auch zu Reinsdorfs naivem Attentats-Versuch auf den deutschen Kaiser, der ihn und seinen Kollegen 1885 Kopf und Kragen kostete.

Dank engen Verbindungen zum Jura, gelingt es Haus am Gern weitere Spuren zu legen, so präsentieren sie in einer Fotoserie den jurassischen Kulturchef Michel Hauser im Stil eines fürstbischöflilchen Würdenträgers und gesellen der Fotografie eine analoges Bildnis jenes Schweizer Korporals zu, der 1972 das „Roue de Bollement“ vor der Zerstörung bewahrte: Ehret das Patrimoine!

Die Ausstellung ist formal kunterbunt – Wolldecken, Fotografien (auch solche des Briefträgers Eugène Cattin, 1866-1947), ein Video („Gegen den Strom“ von Claude Gigon), Objekte, mit Karikaturen versehen Kacheln (Tilo Steireif), Dokumentationen, Texte usw. bilden das Konvolut. Sie ist aber ein witziger und gelungener Versuch, mit den Mitteln der Kunst in Schubladen Versenktes zu einer brisanten Plattform für lustvolles (Nach)-Denken aufzubereiten.