Warum soll die Kunst nicht auch ein Fest sein?

Annelise Zwez in Sonntagszeitung Juni 2007

Klöster waren immer schon Kulturorte, ist man versucht zu sagen. Warum würden die Fans von Freilicht-Ausstellungen sonst heuer gleich zwei Mal nach Münster fahren? Zu den Skulptur-Projekten nach Münster in Deutschland und zu „Art en plein air“ in Môtiers (zu deutsch: Münster) im neuenburgischen Val de Travers. In beiden Namen steckt das Wort Monasterium – Kloster.

In ihren Konzepten sind die beiden Mammut-Anlässe aber grundverschieden. „In Môtiers mache ich mit, weil hier Kunst und Künstler gemeinsam ein Fest feiern “, sagt Jonathan Delachaux (1976). Und weil zu einem Fest Musik gehört, hat er zusammen mit Zoé Chappon und John Menoud auch gleich die „Harmonie“ aufgeboten und führt mit ihr an der Vernissage vom 23. Juni ein Stück aus J.J. Rousseaus Oper „Devin du Village“ auf – als Performance mit Fanfaren, Kinderchor und Kirchenglocken. Danach wird das Stück als Video-Projektion im Rousseau-Museum zu sehen sein (Rousseau lebte von 1762-65 in Môtiers).

In Münster (D) hingegen, wo die Skulptur-Projekte im Dekaden-Abstand stattfinden (heuer zum vierten Mal) wird an der Akademie schon seit zwei Semestern mit den eingeladenen Künstlern aus Deutschland und dem Rest der Welt über Kunst und öffentlichen Raum diskutiert. Die Skulptur-Projekte Münster sind eine ernsthafte Sache, kuratiert von Kaspar König, einem der Koriphäen unter den Kuratoren Europas. Entsprechend sind auch die Budget-Unterschiede: Während man in Môtiers mit 800 000 Franken (inklusive viel, viel Freiwilligen-Arbeit) über die Runden kommt, veranschlagt Münster für knapp halb so viele Projekte ein Vielfaches.

„Nein, nein“, sagt OK-Präsident Pierre-André Delachaux, mit dem Guiness-Buch der Rekorde habe Môtiers nichts im Sinn. Die rekordverdächtige Zahl von 75 Projekten mit 95 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern sei ein Resultat der diesjährigen Jury, die so viele Namen genannt habe und fast alle Kunstschaffenden hätten zugesagt… von Ian Anüll und John Armleder über Bob Gramsma und Marianne Grunder bis zu Claudia, Julia, Markus, Susanne und Victorine Müller.

Es war seinerzeit (1989) ein kluger Schachzug des „Comités“ von Môtiers, die eidgenössische Kunstkommission für die Wahl der Kunstschaffenden bei zu ziehen, denn so ist garantiert, dass sich die Veranstaltung, die heuer zum fünften Mal stattfindet, nicht im Kreis dreht. Wieder sind viele Neue mit dabei. Und, was wesentlich ist, auf Unterscheidungen zwischen Bildhauern, Plastikern, Malern, Videokünstlern usw. wird längst nicht mehr geachtet. In Zeiten multimedialer Ausdrucksweisen können alle alles (mit Unterstützung der lokalen Schreiner, Elektriker, Zivilschützer, Traktorfahrer usw.). Dennoch ist es spannend: Was macht eine Gruppe wie „collectif_fact“, bekannt für computergenerierte Animationen, auf einem jurassischen Hochplateau, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen? Sie tun, was sie immer tun. Sie bauen ein Labyrinth, in dem sich Räume und Korridore gegeneinander verschieben, nur nicht digital, sondern aus Maschendraht. A propos Hase – eines der köstlichsten Projekte (nicht visuell aber als Idee), ist das von „HausamGern“ (Rudolf Steiner/Barbara Meyer Cesta). Sie schliessen einen Feldhasen (den sie mit einem Sensor in die Freiheit entlassen) und eine Kirchenglocke kurz. Jedes Mal wenn der Hase hüpft, läutet im Dorf die Glocke. Und im Hintergrund winkt J.J. Rousseaus Parabel „Die Hirschjagd“, in der es darum geht, ob man besser den Hasen erlegt oder auf den Hirsch setzt.

Môtiers gibt kein Thema vor. Entsprechend vielfältig – faszinierend vielfältig – sind die Ideen. Das liegt nicht zuletzt am Ort selbst, der wie ein lebendiges Relikt aus dem 18. Jahrhundert wirkt. Nie fehlen darf im Absinth-Dorf die „Fée verte“ . Heuer ruft sie mit der Stimme von Geneviève Favre „Ch’uis saoule“ (ich bin besoffen), während Roman Signer vom ortsüblichen Namen des einst verbotenen Wassers ausgeht; aus „La Bleue“ wird bei ihm eine gigantische Fahne mit „blauem Kreuz“, die mit dem riesigen Schweizer Kreuz hoch oben am Felsen konkurriert.

Es gibt aber auch Stilles – die Kopie eines Steines aus Südafrika mit menschlichen Zügen etwa, versteckt in einer Höhle zum Beispiel (Hinrich Sachs) – oder Romantisches wie die „Wasserleiche“ von Hannah Külling in Anlehnung an William Everett Millais „Ophelia“ und nicht zuletzt Politisches wie etwa die Minarett-Profile von Jérôme Leuba.

Wichtig ist in Môtiers der Weg – seit 1985 ist es immer derselbe Parcours – durchs Dorf hinaus zum Wald, zum Wasserfall, zur Grotte, hinauf auf das Plateau und wieder hinunter zwischen Felsen und Bäumen, um schliesslich vor dem offenen Juratal zu stehen. Daselbst nicht verpassen: Der Abstieg in Katja Schenkers Teer-Spirale, um nur den Himmel, wirklich nur den Himmel, zu sehen. Man ist dann gewappnet für die Rückkehr ins Dorf – wer weiss, vielleicht spielt ja gerade eine der Rock-Gruppen im „Puppenhaus“ von Emanuelle Antille und Jean Luc Manz.

Viel Fest und Vergnügen wartet auf die Besuchenden in Môtiers. Vor fern nur erinnert die „Uni(versität)môtiers“ von Relax (Chiarenza/Hauser & Co), dass man auch im Val Travers über Kunst nachdenken könnte, wie man das in Münster tut bei Projekten von Bruce Naumann, Martha Rosler, Thomas Schütte, Silke Wagner, Mike Kelley und anderen mehr.