Schibli/Weiss und Silly Mano/Peter Lüthi

Kunst am Bau ist Ausdruck des Anderen

Annelise Zwez, Bieler Tagblatt, 6. Dezember 2007

Biels Bestand an Kunst am Bau ist in den letzten Monaten gleich um zwei wichtige Arbeiten bereichert worden. Und eine dritte folgt demnächst.

Architektur hat neben einer ästhetischen vor allem  eine funktionale Zielsetzung. Ein Schulhaus hat ein Schulhaus zu sein. Dass zu jedem von der Öffentlichkeit errichteten oder erneuerten Gebäude ein Budget-Posten „Kunst am Bau“ gehört, wird längst nicht mehr als Auftrag zur „Verschönerung“ betrachtet. Eine künstlerische Intervention soll vielmehr die das Gebäude Nutzenden anregen, über den Ort und die eigene Position daselbst nachzudenken, sie vielleicht irritieren und/oder in andere Welten entführen.

Eingeweiht wurden in Biel in den letzten Monaten das neue kantonale Bildungszentrum am Walserplatz und das renovierte städtische Neumarkt-Schulhaus. Wie sehr oft fand dabei vor lauter „neu“ die „Kunst am Bau“ erst marginal Beachtung. Jetzt da sich Schüler, Lehrerschaft und Spaziergänger an die Situation gewöhnt haben, ist ein vertiefter Blick gewinnbringend.

Te souviens-tu?
Erinnerst Du Dich? steht neuerdings auf der rückwärtigen und „Te souviens-tu?“ auf der seitlichen Fassade des Neumarkt-Schulhauses; In klarer, sachlicher, heller Schrift. Tagsüber achtet man die Buchstaben wenig, aber kaum setzt die Dämmerung ein, wird die Schrift angeleuchtet und leuchtet dann selbst weiter. Bis die Kraft der Leuchtmalfarbe erlischt und nach einer Weile alles von Neuem beginnt.

Der Hauptteil des Projektes von Silly Mano und Peter Lüthi  richtet sich jedoch nicht an die „Ehemaligen“, die draussen vorbei gehen, sondern an die Kinder und ist darum Im Innern der drei Gebäude (Schulhaus, Turnhallen) situiert. Auch hier geht es um Fragen, um Sehen und Nichtsehen, um Aufleuchten und Erlöschen. Das Bieler Künstlerduo, das 2006 den von der Stadt ausgeschriebenen „Kunst am Bau“-Wettbewerb gewann, spricht von „Geistersätzen“. Denn die sehr bewusst auf ihre Orte verteilten Fragen auf den gelben Wänden der Korridore haben ihre stärkste Präsenz kurz nachdem die Letzten gegangen sind, wenn die Lichter gelöscht sind, die Leuchtfarbe aber glimmt.

Nur im Schatten eines Bewegungsmelders hat man die Chance, selbst im „Geisterland“ zu sein und gleichsam zu hören, wie die Buchstaben fragen: „Est-tu jaloux?“, „Glaubst Du an Leben auf  anderen Planeten?“, „Ist alles ein Traum?“ „Le bonheur, c’est quoi?“. Natürlich kann man die Sätze auch am Tag sehen, aber man muss gut hinschauen, um die Botschaften des Nachtlichtes zu erkennen.

Es ist die zweite Fassung ihres Projektes, das nun realisiert wurde. Die erste sah Wandtafeln vor, auf welche die Kinder ihre Antworten direkt hätten schreiben können, doch die Lehrerschaft hatte Angst vor Missbrauch. Das Zurücknehmen der Sichtbarkeit sei aber keine Reaktion auf die Ablehnung der ersten Idee, im Gegenteil, für sie stimme die jetzige Version durch und durch, sagen die beiden, denn Fühlen, Denken, Erinnern forme sich wie in ihrer Arbeit aus dem Dunkeln heraus, sei oft nicht unmittelbar fassbar, halle aber lange nach. Diese zweifache Ebene, die vertauschte Gleichzeitigkeit von hell (unsichtbar) und dunkel (sichtbar) ist es denn auch, was sich nachhaltig einprägt  und über den Inhalt der Fragen hinausweist.

Traum-Baum-Haus
Wer in den Innenhof der neuen Kaufmännischen Berufsschule am Walserplatz tritt, registriert zunächst grosse, runde, farbige „Saugnäpfe“ an der Wand. Fast automatisch fährt der Blick mit den daran befestigten Drahtseilen hinauf und erblickt das „Hexenhäuschen“ von Daniel Schibli und Markus Weiss. Die hier (und nicht zum ersten Mal) als Duo auftretenden Zürcher haben 2006 den vom Kanton betreuten Kunst am Bau-Wettbewerb gewonnen. Dass sie von den Baumhütten ausgehen, welche wohl auch heutige Berufsschüler in ihrer Kindheit konstruierten, liegt auf der Hand. Die Künstler sprechen von einem auf Träumen gebauten Haus für junge Freigeiste.

Gleichzeitig pochen sie aber auch auf konzeptionelle Momente wie dem Perfekten das Provisorische entgegensetzen, dem Begehbaren das Unerreichbare, der Struktur das Chaotische. Das ist ihnen zweifellos  geglückt, denn der Kontrast zwischen der klar gegliederten Architektur und der trashigen Bauweise des Traum-Baum-Hauses trifft  geradezu explosiv aufeinander.
Wobei allerdings das Glas der Wände  und der nach oben hin offene Lichthof gleichzeitig auch Durchlässigkeit aufzeigen, sowohl visuell wie im übertragenen Sinn. Der offene Lichthof bewirkt freilich, dass „My Castle“ – so der Titel des Projektes – dem Regen ausgesetzt ist und möglicherweise schneller altert als dass das den Auftraggebern lieb ist. Die Künstler versichern zwar, die verwendeten Materialien seien haltbarer als der Trash-Look es vermuten liesse. Nun, die Zeit wird es weisen.

Noch nicht öffentlich ist die dritte Kunst am Bau-Arbeit, die in Biel en route ist. Ariane Epars, die den Wettbewerb des Städtischen Altersheims im Drahtwerkareal gewonnen hat, ist zur Zeit daselbst an der Arbeit.