24. Kantonale Jahresausstellung Solothurn 2008

Ist die Kunstszene „qualitativ abgeflacht“?

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 27. November 2008

Im Dezember steht die Kunst in der Schweiz in vielen Regionen im Zeichen der Weihnachtsausstellungen. Solothurn eröffnete am vergangenen Wochenende den Reigen.

Die Jury der 24. Kantonalen Jahresausstellung in Solothurn nahm kein Blatt vor den Mund. Man habe im Vergleich zur Auswahl vor zwei Jahren, so steht im Faltblatt zu lesen, eine geringere Vielfalt und eine qualitative Abflachung festgestellt. Die Betulichkeit und Selbstgenügsamkeit vieler Arbeiten erstaune ebenso wie der Mangel an…konzeptuell starken Ansätzen.

Für die rund 70 Künstlerinnen und Künstler, welche den Auspizien der Jury genügten, ist das eine Ohrfeige. Obwohl den Solothurnern zwei Denkfehler passiert sind.  Abgedruckt in der Broschüre, die zugleich Verzeichnis der ausgestellten Werke ist, wirkt der Jurybericht wie ein Kommentar zum Gezeigten. Das stimmt aber nicht, denn der Bericht bezieht sich logischerweise auf die Juryarbeit, das heisst  die 578 Werke welche die 225 Kunstschaf-fenden  eingereicht haben. Und da –- das wissen alle, die schon einmal eine Weihnachts-ausstellung juriert haben –- gilt es wirklich die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Hälfte der Eingaben übersteht in der Regel die 1. Runde nicht.

Der zweite Fehler ist quasi „hausgemacht“. Die Solothurner Kunstvereinspräsidentin Roswitha Schild hat zwei nationale Koriphäen als Experten in die Jury berufen: Den Präsidenten der Eidgenössischen Kunstkommission, Hans Rudolf Reust, und die Tages Anzeiger-Kritikerin Barbara Basting. Damit setzte sie eine Latte, die Mainstream als Masstab versteht und eine Beurteilung unter dem Blickwinkel „was ist neu“ anstrebt.

Nun ist eine Jahresausstellung aber keine Frischlings-Schau und eine Region wie Solothurn nicht einseitig auf  Urbanität und globale Interaktion  ausgerichtet, sondern eine Versammlung aller gleichzeitig tätigen Generationen mitsamt ihrer zeitbezogenen Eigenarten. Bild:  Jörg Mollet

Die Frage ist daraufhin natürlich, wie gut ist die Ausstellung trotz der teils übertriebenen, teils falsche Kriterien anwendenden, teils aber auch berechtigten Rüge? Wie immer, ist man geneigt zu sagen. Highlights wechseln mit Eintagsfliegen. Dennoch ist der Jugend-Bonus spürbar; es sind deutlich mehr 1980er-Jahrgänge vertreten. Und was dabei auffällt ist tatsächlich ein Blickwechsel. Für die unter 30-Jährigen ist die Welt an einer Wende, der nur mit der Zerstörung von Illlusionen beizukommen ist.

Das Gesicht des „Mädchen“ auf der Rolltreppe von Martina Baldinger (*1984, Olten) ist durch grelles Licht ausgeblendet und die Malerei mündet unverhofft in  wacklige Papierformen.  Und das traditionell gemalte „Selbst-mordporträt“ des  19-jährigen, in Biel lebenden Kaspar Flück (Bild)  verrät nicht mit Sicherheit ob es, wie zu vermuten, der Website eines Amokläufers entlehnt ist oder eigene Befindlichkeit spiegelt.

An der Solothurner Jahresausstellung kann sich beteiligen wer eine Beziehung zum Kanton hat und/oder Mitglied des Kunstvereins ist. Diese für einen kleinen Kanton wichtige Öffnung bringt es unter anderm mit sich, dass zahlreiche Bieler mit und ohne Solothurner Bürgerrecht oder ähnlich, mit dabei sind.

Zu sehen sind zum Beispiel zwei souveräne Grossformate von Ise Schwartz (* 1942), aber auch zwei subtil komponierte Inkjet-Fotografien auf Papier und Alu von Beatrice Hänggi (*1971), die als „Vermeerung“ ein Werk von Jan Vermeer interpretieren. Ausgewählt wurde auch eine technisch und inhaltlich geheimnisvolle Inkjetpigmentserie von Barbara Meyer-Cesta (*1959) mit dem Titel „about blood“ und nicht zuletzt fünf leise, anteilnehmende, kleinformatige Porträts von Sarah Fuhrimann (*1976) (Bild). Ferner vier Trash pointiert umdeutende Objekt-Arbeiten von Berndt Höppner (*1942).

Gesamthaft betrachtet sind, wie der Jurybericht richtigerweise festhält, (zu) wenig plastische, installative respektive Video-Arbeiten zu sehen. Was praktische und finanzielle Gründe hat, verfälscht  den Blick auf das, was auch in der Region Solothurn an Kunst geschaffen wird. Dennoch gibt es auch in dieser Sparte Highlights; zum Beispiel das von der Kuppel ins Innere des Pantheons in Rom aufgenommene Video auf Flachbildschirm von Luzia Hürzeler (* 1976).

Wenig Raum hat – nicht unerwartet – Fröhliches, Unbeschwertes; „Übermut“ von Gergana Mantscheva (*1975) ist fast ein Solitär. Ebenso selten sind bereits auf die Finanzkrise reagierende Arbeiten; die träfste stammt von Näncy Wälti (* 1977) (Bild), die eine Art Förderband aus schwarzen Trinkhalmen mit Dollarnoten im Innern zeigt und das Wandobjekt „Durst“ nennt.

Info: Bis 4. Januar 2009

Preis und Freispiel

Solothurn will die Jahresausstellung attraktivieren.
Der Auszeichnungspreis von 5000 Franken geht an Raffaella Chiara.
Für eine Wandzeichnung, die Innen- und Aussenraum scheinbar vermischt (Bild).
Neu ist die Sonderausstellung „Freispiel“.
Drei Künstler der Schau vor zwei Jahren bespielen das Graphische Kabinett: Boris Billaud, Anina Schenker, Gabriel Alder.
Überzeugend ist die 3-Kanal-Video-Installation von Schenker mit auf schwarz-weiss reduzierten, dampfenden Körpern.

Bilder: von oben nach unten:  Jörg Mollet, Kaspar Flück, Sarah Fuhrimann, Nancy Wälti, Raffaella Chiara