Reto Leibundgut in der Salle Poma des Centre PasquArt 2008

Der Juckreiz der Farben

www.annelisezwez.ch    Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 30. Dezember 2008

„Chromatic Itch“ nennt der Thuner Künstler Reto Leibundgut seine raumfüllende Installation in der Salle Poma des Centre PasquArt. Ein farbiger Juckreiz der besonderen Art.

Gut 400m2 Wandfläche misst die Salle Poma des Centre PasquArt. Reto Leibundgut (geboren 1966 in Büren zum Hof) hat sie mit rund 22 000 handgeschnittenen Schindeln aus farbigem Verpackungskarton verkleidet. Es ist eine Herkules-Arbeit, die der diesjährige Gewinner des „x-mas+“-Wettbewerbs  mit einem kleinen Team vollbracht hat. Doch die Grösse war vermutlich just die Herausforderung für den Künstler.

Reto Leibundgut ist als Provokateur bekannt. Er präsentiert Sexualposen als Holzintarsien, zensurierte Prostituiertengesichter als Gobelins, macht aus Papierfliegern Kampfjets und platziert auf dem Autofriedhof eine Gedenktafel mit dem Satz: „Autofahren hat zum Zwecke dass die Menschheit schnell verrecke“.

Wo ist diese Provokation im betörenden Farbenmeer der Schindelwände in der Salle Poma? Sind es die Logos, die da und dort zerstückelt aufscheinen und auf Carlsberg (grün), Cailler (braun), Thomy (blau), Maggi (gelb) hinweisen und so subversiv unsere Konsumwelt spiegeln? Wenn dem so wäre, müsste man sagen: Das reicht nicht für eine kritische Aussage. Aber vielleicht ist das der falsche Ansatz. Denn auch die Holzschnitte nach Inseraten aus US-Immobilien-Zeitschriften, die Leibundgut im Rahmen der „Berner Monographien 2008“ zeigt (und von der Stadt Biel angekauft wurden), wirken von der Behandlung des Motivs her nicht als Reaktion auf die Hypothekenkrise in den USA.

Die Qualität der Arbeiten von Leibundgut liegt also anderswo. Vielleicht darin, dass ein Künstler (notabene ein Mann) mitten im Zeitalter der „Neuen Medien“ sagt: „Ich mag sticken, schnitzen, schneiden, kleben, sägen“. Anders ausgedrückt heisst das, Kunsthandwerk ist seine Lust. Ausgerechnet „Kunsthandwerk“, diese verfemte Gattung innerhalb der Kunst. Da wagt es also einer, Techniken anzuwenden, die eigentlich „kunstunwürdig“ sind und schleust sie durch die Hintertür in den zeitgenössischen Kunstkontext. Ist das am Ende dasselbe wie bei den jungen Musikern, die plötzlich jodeln? Könnte schon sein.

Aber die Technik reicht natürlich nicht und da lässt Leibundgut nun den Reiz einfliessen. Er sagt: „Wenn ich schon einen Tag lang sticke, schnitze, schneide… dann muss mich etwas reizen“. Das kann man dahingehend interpretieren, dass ihn selbst etwas provozieren muss, damit er es als lustvoll empfindet, sich über längere Zeit damit zu beschäftigen. Das können neben sexuell aufgeladenen Motiven zum Beispiel auch Orientteppiche in der Grösse islamischer Gebetsteppiche sein, die er zerschneidet und zu neuen Farben, Formen und Mustern klebt.  Oder es können die gigantischen Ausmasse der proportional wunderbaren Salle Poma (16 x 19 x 6 Meter) sein, die eine Wandarbeit erlauben, wie sie so sonst nirgends möglich wäre.

Arbeiten mit Schindeln aus Wellkartonschachteln von Grossfirmen, die ihm Denner, Migros, Coop gerne zur Verfügung stellen, macht Leibundgut schon seit einigen Jahren. Dabei ist neben der kunsthandwerklichen Komponente der farbliche, respektive malerische Aspekt zentral. Dass wir da und dort Buchstaben automatisch zu Logos erweitern, ist also nur ein „Surplus“, das die Arbeit ins frühe 21te Jahrhundert einbindet.

Andreas Meier, der frühere Direktor des Kunsthaus PasquArt, meinte an der Vernissage, ihn irritiere, dass Schindeln normalerweise Aussenwände verkleiden, während hier ein Innenraum gegen aussen abgegrenzt werde. So betrachtet wird die Salle Poma mit Leibundguts Werk zu einer Zelle – einem behüteten Raum, der ganz der Kunst, der Farbe, der „Malerei“ gilt. Und das ist denn wohl auch just die Qualität der Inszenierung.

Trotzdem kann man sich als kritischer Geist fragen, ob das reicht, ob da genügend „Itch“ (Juckreiz), wie der Künstler im Titel sagt, vorhanden sei. Wie Gespräche zeigen, scheiden sich die Geister, auch wenn – da ist die Meinung einhellig – die Arbeit ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der  mittlerweile seit acht Jahren bespielten Salle Poma sei.

Es ist gut, dass parallel dazu der vom Kanton Bern massgeblich finanzierte Buchkatalog vorliegt. Zum einen weil er die Installation „chromatic itch“ ins Werk Leibundguts einbettet, zum anderen aber auch weil das Buch in Form einer Art Überschreibung eines alten Pflanzenbestimmungs-buches gehalten ist. Damit dokumentiert es auf einer weiteren Ebene die Bedeutung von Sammeln, von Tradition und Neusicht im Werk des 42-jährigen Künstlers.

Info: Bis 11. Januar. Bis 31. Januar: Ausstellung Reto Leibundgut, Galerie Bernhard Bischoff & Partner, Bern. Link: www.leibundgut.nu

„x-mas+“
Der „x-mas+“-Wettbewerb wird national ausgeschrieben.
Dieses Jahr gingen 14 Bewerbungen ein.
Jurorin ist Dolores Denaro.
Die Realisierung wird vom Kunstverein respektive der Raiffeisen-Bank Biel-Bienne mit 5000 Franken unterstützt.
Frühere „x-mas+“-Preisträger: Renate Buser (2005), Barbarella Maier (2004), Peter Gysi (2003), Petra Grünig (2002).

Bildlegende:
Reto  Leibundgut verwandelte die Salle Poma des Centre PasquArt in ein bunt- schillerndes Farbenmeer.                    Bild: azw