Bieler Weihnachtsausstellung im Vergleich

Ist St. Gallen Hochburg der Schweizer Kunst?

www.annelisezwez.ch       Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 29. Dezember 2009

 

Die beiden Künstlerjuroren der Weihnachtsausstellung im  Bieler Museum Pasquart äusserten sich im Jurybericht sehr kritisch zur Qualität der eingereichten Werke. Haben sie Recht damit?

 

„Würde diese Ausstellung“, so schreiben die beiden Ostschweizer Kunstschaffenden Alexander Meszmer und Eva-Maria Würth im Jurybericht zur Bieler Weihnachtsausstellung, „in St. Gallen stattfinden, wäre ein grosser Teil der Werke sicherlich nicht in der Ausstellung präsent.“ Und an anderer Stelle: „Im Vergleich zu Jahresausstellungen in anderen Schweizer Regionen…ist das Niveau der Arbeiten insgesamt tiefer.“ Das ist eine währschafte Ohrfeige für die Bieler Kunstszene. Da gibt es nur eines: Nach St. Gallen reisen und nachschauen. Und auf der Fahrt quer durch die Schweiz auch gleich noch die Solothurner, die Aargauer und die Schaffhauser Jahresausstellung konsultieren.

 

Fazit: Der äusserst unhöfliche Satz ist richtig. Und falsch. Und überdies ist es nicht ganz untypisch, dass er die Bieler trifft. Richtig ist, dass das nur alle drei Jahre stattfindende St. Galler „Heimspiel“ im Kunstmuseum und in der Kunsthalle Werke von regional, national und international wesentlich bekannteren Künstlerinnen und Künstlern mitzeigt. Erwähnt seien Manon, Alexander Hahn, Ilona Rüegg, Costa Vece, Alex Hanimann. Ganz offensichtlich ist die St. Galler Ausstellung so attraktiv, dass sich die berechtigten Kunstschaffenden beteiligen, egal ob sie in der Ostschweiz, in Zürich oder im Ausland leben. Dasselbe kann man auch im Aargauischen feststellen, teilweise in Schaffhausen, weniger  im Solothurnischen und kaum in Biel.

 

Die Pointe dazu: Im Museum in St. Gallen ist ein für den Künstler wohl zukunftsweisendes Video mit dem Titel „Crescendo solo“ zu sehen. Es untersucht in sinnlich-farbigen Kapiteln das „Materialverhalten“ von computer-generierten Bildphänomenen. Als Autor zeichnet Eric Lanz – ein Bieler! Er ist in Biel aufgewachsen, lebte dann in Genf, später in Düsseldorf und jetzt neu auch in Trogen (AR). Im Pasquart fand 2005 eine Ausstellung statt; um eine Teilnahme an einer Weihnachts-austellung in Biel hat sich weder er noch seine ebenso bekannte Schulkameradin Marie-José Burki (Bruxelles) je beworben.

 

Erwähnenswert ist auch, dass man in St. Gallen auch drei der „Zeitmaschinen“ findet, die Hannes Brunner für seine Retrospektive in Biel (Januar  2009) geschaffen hat, vor dem Museum den Material-Block, den Katja Schenker für „Utopics“ gegossen hat und überdies eines des „postironischen“ Werke des Duos Com&Com, die am 16. Januar in Biel Vernissage haben werden.

 

Doch zurück zum Kern. Für das „Heimspiel“ in St. Gallen bewarben sich 326 Kunstschaffende mit einer Beziehung zur Ostschweiz respektive Lichtenstein. 71 von ihnen wurden aufgrund eingereichter Dossiers eingeladen, Originale einzureichen, 51 sind  in der Ausstellung; mit Installationen, Videos, Malerei, Zeichnung, Fotografie. Die beiden Bieler Juroren sind nicht dabei. In Biel bewarben sich 110 Kunstschaffende mit Beziehung zur Region; 55  sind in der laufenden Ausstellung vertreten. Da es in der Kunst nicht anders ist als im Sport, generiert das grössere Einzugsgebiet eine prominentere Auswahl. Kurz: Meszmer und Würth haben Ungleiches miteinander verglichen.

 

Kann Biel also zurücklehnen und denken, alles falsch, alles bestens? Nein. Oder vielleicht: Ja, aber. In St. Gallen wie in Schaffhausen und im Aargau werden das „Heimspiel“, die „Ernte“, die „Auswahl 09“ von den Museen oder in enger Zusammenarbeit mit den Direktionen veranstaltet. In Biel und Solothurn zeichnen die lokalen Kunstvereine verantwortlich. Das sind psychologisch Unterschiede, die nicht zu unterschätzen sind. In Biel wie in Solothurn respektive Olten ist die Distanznahme der Museumsleitungen jeweils deutlich spürbar.

 

Doch: Ist es nur falsch, die Latte so hoch zu setzen, dass die effektiv lokale Szene kaum eine Chance hat, mit dabei sein? In St. Gallen formiert sie sich im sogenannten „Nextex“ und vernetzt sich über ein Rahmenprogramm. In Schaffhausen klagt der Konservator, deutlich mehr als die Hälfte der Teilnehmenden wohne nicht in der Region, im Aargau herrscht Ärger, dass erneut 70% der gleichzeitig vergebenen Werkbeiträge an Kunstschaffende ausserhalb des Aargaus vergeben worden sind.

 

In Biel hingegen stehen mehrheitlich die effektiv mit der Region Verbundenen im Fokus. Es ist sichtbar, dass Biel eine lebendige Kunstszene hat. Das ist, auch wenn die Qualität tatsächlich schwankt, nicht wenig! Und es ist typisch für das, was Biels Lebensqualität ausmacht. Aber es ist auch nicht ungefährlich und heisst, dass Konkurrenz wichtig wäre. Zum Beispiel dadurch, dass man – wie es das die auf Graphik konzentrierte Grenchen macht – jedes Jahr eine Gastregion einlädt, sich mit Biel zu messen, gezielte Einladungen ausspricht und überdies die Veranstaltung selbst weiter professionalisiert, auf dass auch bielbezogen die wichtigsten Kunstschaffenden tatsächlich mitmachen, was heuer deutlich zu wenig der Fall ist.

 

Informationen

Das St. Galler„Heimspiel“ 2009 dauert bis zum 31. Januar 2010. Offen: Museum: Di-So 10-17, Mi bis 20 Uhr. Kunsthalle: Di-Fr 12-18, Mi bis 20, Sa/So 11-17 Uhr. 31. Dez./1. Jan. geschl.

Der zum dritten Mal vergebene „Straubenzeller Kulturpreis“ (20 000 Franken) erhielt das Duo „Lutz/Guggisberg“ für die hintersinnige Fotoreihe „Eindrücke aus dem Landesinnern“. Der mit ausgezeichnete Anders Guggisberg ist in Biel aufgewachsen.

Im Nextex, dem Raum der Künstlergesellschaft Visarte/Ostschweiz, sind alle 326 eingegebenen Dossiers zu sehen. Di-So 14-17 Uhr.

Mit der Gesprächsreihe „Dis-moi!“ und dem Würfelspiel „Montparnasse“ bringt sich die lokale Szene in den Kontext ein.

Die „Ernte“ in Schaffhausen dauert bis 24. Jan. 2010, die „Auswahl 09“in Aarau bis 10. Jan., die Jahresausstellung Solothurn in Olten bis 17. Jan.                                                        (azw)

Bildlegende:

Überraschung: Im Rahmen des „Heimspiel“ in St. Gallen stellt der Bieler Eric Lanz sein neuestes Video-Projekt „Crescendo solo“ vor. Bild: Anna-Tina Eberhard