Die Situation der Künstlerinnen in der Kunstszene der Schweiz 2009

„Je suis une femme, pourquoi pas vous?“

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Ansprache von Annelise Zwez anlässlich der Ausstellung 100 Jahre GSMBK-SGBK, Sektion Bern in der Galerie Regina Larsson in Siselen, 11. Oktober 2009

Als namhafte Zürcher Künstler Alis Guggenheim (1896-1958) in den 1940er-Jahren mit den Worten abservierten, man habe lange überlegt, ob man überhaupt Künstlerinnen in die Ausstellung nehmen wolle, war der Fall noch klar: Künstlerinnen wurden von den tonangebenden Institutionen diskriminiert. Dabei ging es nicht um die Kunst, sondern um die „Unfähigkeit“ der Frau, künstlerisch tätig zu sein. Kein Lob für eine Künstlerin war grösser als „sie arbeite wie ein Mann“.

In den 1970er- und 80er-Jahren kamen neue Töne auf. Die  1968er-Revolution hatte den Frauen Mut gemacht, sich selbst zu suchen, sich ihrer selbst bewusst zu werden und aus weiblichem Ich-Bewusstsein heraus Kunst zu schaffen. Doch die Männer verstanden die existenzielle Dimension dieses Aufbruchs nicht. Sie fühlten sich an-gegriffen und sprachen – extrem ausgedrückt – von „Gebärmutterkunst“.

Erst in den 1990er-Jahren wird  die Gleichzeitigkeit von Kunst von Frauen und Männern selbstverständlich und die Schwarz-Weiss-Aufteilung in „männliche“ und „weibliche“ Kunst hinfällig. Die konzeptuellen Ansätze in den Werken der Frauen werden sichtbar und die Männer verstecken ihre Sensibilität nicht länger.

Heute, 2009, kann von einer Diskriminierung von Künstlerinnen bei Wettbewerben, durch Jurien, Kunsthallen und Museen, Galerien und Off-Spaces nicht mehr die Rede sein. Der Kunstpreis der Stadt Zürich geht an Pipilotti Rist, der Meret Oppenheim-Preis des Bundes an Mariann Grunder.

Dennoch sieht es im Detail anders aus; für die jungen Künstlerinnen nicht gleich wie für die älteren.

Nehmen wir als erstes eine fiktive Künstlerin mit Jahrgang 1943. Eine hervorragende Künstlerin, die multimedial mit Fotografie, verschiedensten Malmitteln und Objekten arbeitet. Ihre Arbeiten werden in Museen gezeigt… doch selten gekauft. Dabei würden doch gerade Ankäufe die Zukunft sichern – persönlich, finanziell und vor allem auch jene der Werke selbst, denn in Sammlungen besteht die Chance, dass sie die Lebenszeit der Künstlerin überdauern. Aber: Werke von Frauen werden selbst heute noch seltener gekauft als jene von Männern. Seltener, nicht „nicht“!

Die Gründe dafür? Einkommen, die das Äufnen von Kunstsammlungen ermöglichen, werden mehrheitlich von Männern erzielt und auch wenn die Werke in Partnerschaft erworben werden,  hat der Blick des Geldgebers mehr Gewicht respektive die Partnerin nimmt Rücksicht darauf. Gut gibt es Ausnahmen, welche die „Regel“ bestätigen. Dass Männer letztlich lieber Werke von Künstlern kaufen, kann man ihnen nicht verargen, denn sie fühlen sich in ihnen emotional besser aufgehoben, spüren die Denkweisen als verwandt. Auch überholte Traditionen spielen eine Rolle und in Partnerschaften kommt hinzu, dass Eifersuchtsmomente a priori ausgeklammert sind.

Natürlich gibt es auch vermögende Frauen und nicht selten treten sie – oft ohne sich dabei in Szene zu setzen –  als Mäzeninnen auf. Aber Kunst sammeln – sich mit einem sichtbaren Vermögen umgeben, dieses gar öffentlich machen? Das ist selten, in der Schweiz noch seltener als anderswo; man denke zum Beispiel an die Sammlung Ingvild Goetz in München (in welcher übrigens die Schweizerin Zilla Leutenegger repräsentativ vertreten ist). Fazit: Dass weniger Werke von Frauen gekauft werden, liegt nicht zuletzt an den Frauen selbst! Das ist auch heute so, leider.

Nehmen wir als zweites Beispiel eine Künstlerin mit Jahrgang 1965. Sie arbeitet installativ, verwendet Video, Fundgegenstände, Papier, Klebstreifen, Pinsel und Farbe. Sie hat zahlreiche Möglichkeiten in Off-Spaces, Kunsthallen und bei internationalen Kunsttreffen in Erscheinung zu treten. Ihre Gesuche um Werkbeiträge stossen auf Echo und ihre Auftritte werden in den Medien besprochen. Aber: Ihre Überzeugung, dass Kunst etwas Ephemeres ist, das sich von Ort zu Ort wandelt  und sich nur im Austausch mit den labilen Energien von Zeit und Persönlichkeit zu Dichte steigern kann, macht ihre Kunst für Ankäufe zumindest schwierig.

Da sie keine potente Galerieverbindung hat (sich auch nie nachhaltig darum kümmerte), „vergisst“ sie, gleichzeitig mit dem Medium der Zeichnung, der Fotografie zu arbeiten, ihre Installationen in autonome Videoarbeiten weiterzudehnen, um so gleichzeitig verkäufliche Werke anbieten zu können. Sie sagt, das sei ihr egal und wenn das wirklich bis in ihre Seele hinein stimmt, so ist das bestens – ein künstlerisches Werk darf vergänglich sein – aber so ganz vermag man es oft nicht zu glauben.

Die Situation der heute 44Jährigen ist nicht im engeren Sinn frauenspezifisch, aber diese zuweilen forciert die Gesetze des Kunstmarktes ignorierende Haltung findet man bei Frauen häufiger als bei Männern. Eigentlich sollte sie einen guten 50%-Job haben parallel zu ihrer künstlerischen Tätigkeit, aber sie bekam mit 38 Jahren noch ein Kind, freute sich darauf, liebt ihr Töchterchen, aber für die Künstlerin ist jetzt alles noch viel schwieriger, obwohl sich ihr Partner Mühe gibt, seinen Anteil an der Kinder- Betreuung wahrzunehmen. Langsam wird sie müde.

Die dritte Beispiel-Künstlerin hat Jahrgang 1978. Für sie ist die Emanzipation der 68er-Frauen-Generation kein Thema. An der Hochschule der Künste, die sie 2003 abschloss, waren die Frauen in der Überzahl und es sah aus, als wäre es eine Frage der Zeit bis die Kunst ganz von den Frauen übernommen werde.

Mit Verve schuf sie Dossiers, präsentierte sich hier und dort, erhielt erste Stipendien und eines Tages lud sie der Direktor der örtlichen Kunsthalle gar ein, ihre Fruchtbarkeits-Gärten in einer Einzelausstellung zu zeigen.

Doch dann wird sie zum dritten Mal schwanger. Verweigerten die Künstlerinnen, die heute um die 60 sind, vielfach die Mutterschaft, um sich von ihren Müttern abzusetzen, so versuchen die jungen Frauen heute oft und mit Recht, alles in allem zu leben. Und scheitern dabei nicht selten.

Als „unsere“ Künstlerin mit rundem Bauch dem Direktor der Kunsthalle begegnet, sagt er: „Ach, auch du bist nun also die nächsten Jahre weg vom Fenster“. Die Ohrfeige schmerzt und setzt Widerstandskräfte frei, doch so Unrecht hat der Direktor nicht.

Welcher Galerist setzt auf eine international kaum mobile, zeitlich unflexible Künstlerin, die in absehbarer Zeit nur kleine Brötchen backen kann? Wie soll sie gegenüber sich selbst und ihrem Partner rechtfertigen, dass Kunst machen ihr Beruf ist, auch wenn er wenig einträgt und dass Kosten für Kinderbetreuung sinnvoll eingesetztes Geld sind? Was, wenn sie dieses Geld für die Kindertagesstätte für die Tage im Atelier zuerst noch verdienen muss….

Endlich kommt es in „unserem“ Fall wieder zu einer Ausstellung – sie ist erfolgreich, zehrt noch von den Zeiten als sie sich voll der Kunst widmen konnte, aber sie muss weiter in ihrer Entwicklung, darf den Anschluss nicht verpassen, muss wissen, wohin die Kunst international läuft….wie soll sie das nur schaffen bevor sie 40 Jahre alt ist und die fürs Portemonnaie und fürs Palmares so wichtigen Pfründe der Künstlerförderung geschlossen werden ?

Wir sehen also: Die Tore zum Kunstbetrieb stehen den Künstlerinnen heute grundsätzlich offen, aber die Möglichkeiten sich in der Szene erfolgreich zu etablieren, hat viele Tücken und ist ähnlich wie in der Gesamtwirtschaft, wo die Kaderstellen meist von 100%-Job-Männern wahrgenommen werden, für Frauen nur mit einem sehr hohen Einsatz zu bewerkstelligen.

Von der Kraft der künstlerischen Qualität und der Gabe, diese wortreich, intelligent und selbstbewusst zu verkörpern gar nicht zu reden.  Aber letzteres gilt auch für die Männer, für die es im Umfeld einer immer grösser werdenden Zahl von Power-Frauen längst nicht mehr so einfach ist, ihre Identität zu definieren und zu leben.

Wer weiss, vielleicht sind es die Künstler-Paare, von denen es in der Schweiz nicht wenige und viele erfolgreiche gibt, die uns hier etwas vorleben. Man denke an Hubbard/Birchler, Steiner/Lenzlinger, Chiarenza/Hauser („relax&Co.“), Lang/Baumann und andere mehr.

In diesem gesamten Kontext steht auch die SGBK. Viele betrachten sie als ein Relikt aus vergangenen Zeiten. Sie stehen ihr wohl ihre Berechtigung in einem geschicht-lichen Kontext zu, sehen sie heute aber als überflüssig. Dass dem nicht so ist, zeigen die drei skizzierten Beispiele. Die SGBK muss die Situation der Künstlerinnen heute selbstkritisch, neu, offen, zukunftsbezogen wahrnehmen.

Sie muss Querelen hinter sich lassen und die Gesellschaft als engagiertes Netzwerk gegenseitiger und Generationen übergreifender Unterstützung sowie vielfältiger Kommunikation etablieren und in der Öffentlichkeit  als Label auch so publik machen. Immer und immer wieder. Das ist ihre Chance. Ganz im Stil von Marie-Antoinette Chiarenza, die in einem Bildtitel fragt: „Je suis une femme, pourquoi pas vous?“

Der Berner Aktionskünstler San Keller postuliert in einer neuen Arbeit, dass die Künstler sich wieder vermehrt umeinander kümmern müssen, endlich aufhören sollen, sich als Konkurrenz zu betrachten, sondern das Gemeinschaftliche als Wert erkennen. Er verkündete das nicht nur, sondern suchte KollegInnen in ihren Ateliers auf und liess sich von diesen fotografieren wie er in ihrem Stil an ihren Werken arbeitet.

Diese Haltung ist der SGBK quasi auf den Leib geschrieben – es kann bei einem Netzwerk nicht nur darum gehen, sich gegenseitig mit Informationen zu bombardieren. Ziel muss vielmehr sein, sich gegenseitig zu kennen und aus diesem Kennen heraus füreinander tätig zu sein.  Warum nicht unter den Mitgliedern eine Community im Stil von „facebook“ gründen und so in Kontakt stehen?

Das Gegenargument, ach, ich weiss nicht wie man mit einem Computer umgeht, zählt nicht. Wer nicht weiss, wo die Gesellschaft heute steht, wie sie agiert, woran sie leidet, was ihr unter den Nägeln brennt, kann nicht erwarten, dass die eigene künstlerische Arbeit den Kern der Zeit trifft und Anerkennung findet, Mann oder Frau hin oder her. Aber ein Netzwerk, das unter frauenspezifischen Bedürfnissen, genau hier einhakt, hier nach innen und nach aussen, persönlich, künstlerisch und kulturpolitisch wirkt, Mut macht, unterstützt, Erfahrungen veröffentlicht, hat jederzeit die Chance für jede Frau, die dazu gehört, zur Chance zu werden. Es lebe die SGBK Bern 2009!