Manuskript von 2009 für den Eintrag zu Marianne Grunder im Allgemeinen Künstlerlexikon (Lexikon aller Künstler aller Zeiten) – Saur-Verlag Leipzig, später Verlag Walter de Gruyter Berlin.

 

Künstlername: Mariann Grunder

 

Geschlecht: w

Bildkünstl. Beruf: Bildhauerin, Zeichnerin, Fotografin

Staat (aktuell): Schweiz

GEO-Nachweis: Schweiz

Geburtsdatum: 16. Januar 1926

Todesdatum: 28. April 2016 (Nachtrag)

Geburtsort: Bern

Letzte Erw.: 2008

Tätigkeitsort: Rubigen b. Bern

 

Mariann Grunder, Schweizer Plastikerin, Zeichnerin und Fotokünstlerin. * 16. Januar 1926 in Bern. Lebt in Rubigen bei Bern. Wächst in Bern in mittelständischen Verhältnissen auf. Äussert schon als Kind den Wunsch Bildhauerin zu werden. Besucht das Lehrerinnenseminar. Die Kriegszeit schärft das Bewusstsein für Geschichte und Politik; hört Radio, liest Zeitungen und Bücher. Weilt 1946 erstmals und dann immer wieder in Paris; malt in den Strassen der nachkriegsgeprägten Stadt, illustriert Kafka, belegt Kurse in Aktzeichnen an der Grande Chaumière. Mietet ein Atelier in Bern, später in Erlach. Fühlt sich vom konservativen Lebensumfeld eingeengt, sieht keine Perspektive als Malerin. 1954-57 absolviert sie eine Berufslehre als Steinbildhauerin in Gümligen b. Bern; der Widerstand des Materials fordert sie heraus. Gibt figürlich-symbolischen Stil in Malerei und Relief auf, nähert sich um 1955 in reduziert körperlichen Kalkstein- (selten Holz- od.Terrakotta-)Plastiken Jean Arp und Henry Moore. 1955 Teilnahme an der Biennale dei Giovani in Gorizia (I). Bau eines kleinen modernen Atelierhauses in Rubigen b. Bern (1958). Erhält 1959/60 Kiefer-Hablitzel, 1960/64 Aeschlimann-Corti-Stipendium. Um 1960/61 Hinwendung zu volumenbetonter geometrischer Formensprache. Verehrt Antoine Pevsner. 1960/61 Weiterbildung bei Laszlo Szabo in Paris. Entwickelt eigene Vision zwischen Natur, Körper und Geometrie. 1962 Teilnahme an der 3. Schweizer Plastikausstellung in Biel. 1964 erste Einzelausstellung in der Galerie Schindler in Bern und erste öffentliche Ankäufe/Aufträge, u.a. „Skulptur I“ (Muschelkalk) für Schulhaus in Biel (1965/66). Bezeichnet „Raum und Zeit“ als grundlegendes Thema, sichtbar in der Spannung zwischen Volumen und Ausdehnung. Studien-Reisen und Arbeitsaufenthalte in Frankreich, Deutsch- und Griechenland. Ab 1966 kulturpolitisch aktiv; bis 1971 als einzige Frau im Vorstand der Berner Kulturgesellschaft, 1971-75 Mitglied der Kantonalen und 1981-84 der stadtbernischen Kunstkommission und 1985-1988 Delegierte der GSMBA im Vorstand der Kunsthalle Bern. Gilt als unbeirrbar, geradlinig, selbständig. Arbeiten mit plastischen Elementen (ab 1969) führen zu stelenartigen Skulpturen, zum Dialog mit der Architektur, zur Verwendung von Beton und Tuffstein als Materialien, vor allem bei öffentlichen Aufträgen. In Stein, Zeichnung und Grafik bleibt die Betonung des Körperlichen, Torsohaften erhalten; zahlreiche Skulpturen in Alabaster. Ab 1973 schreibt MG Struktur und Form ohne vorgängige Skizzen direkt mit Hammer und Meissel in den Stein. Trotz Präsenz im In- und Ausland bleibt die Anerkennung regional. Die Retrospektive im Kunstmuseum Bern (1986) schliesst das strenge bildhauerische Schaffen gleichsam ab. 60-jährig bricht MG für 6 Monate nach New York auf und beginnt mit einer Polaroid-Kamera zu fotografieren. Sie entdeckt an jeder Hausecke „Skulpturen“. Fundstücke gruppiert sie zu Objekten. In strichbetonten Zeichnungen knüpft sie an ihre ersten „Sprays“ von 1983 an. Die Bewunderung für Meret Oppenheim, die sie seit 1964 kennt und für deren umstrittenen Berner Brunnen sie sich (um 1983) engagiert, bricht sich Bahn. Es entsteht ein auf Erfahrung beruhendes, dennoch eminent befreites Spätwerk, das sich durch Strenge und Leichtigkeit, Minimal- wie auch Surrealismus-Tendenzen auszeichnet. Verwendet neu auch Schiefer, Plexiglas, Dachpappe. 2000 zeigt MG in der Salle Poma (ca. 250m2) des Museums PasquArt in Biel ihr Opus Magnum, ein in 8-jähriger Arbeit geschaffenes, zehnteiliges „Intérieur“, das sich an Oppenheims Pariser Atelier anlehnt, gleichzeitig aber eine Parabel des Lebens-Raumes von der Geburt bis zum Tod darstellt. Auch die parallele Ausstellung im Kunsthaus Langenthal zeigt mit Zeichnungen auf Zeitungspapier, Polaroïd-Aufnahmen, installativen Skulpturen („Ikarus“, 1986) den Aufbruch zur „jungen“ Künstlerin. 2002 Première des Filmporträts MG von Marianne Burki. Eine Werkauswahl im Kunstmuseum Bern (2002), Skulpturen in Peccia (2007), Zeichnungen mit neuen figürlichen Motiven mit Klebebändern im Kunstmuseum Solothurn (2008) sowie die Verleihung des Meret Oppenheim-Preises durch das Bundesamt für Kultur (2008) dokumentieren das Interesse am Spätwerk von MG.

 

Werke des Künstlers mit Standortnamen: BADEN Kulturweg Limmat. BERN Schweiz. Eidgenossenschaft, Kanton, Kunstmuseum, Lindenhofspital, Seminar Marzili, Inselspital, Psychiatrische Universitätsklinik, Schweiz. Nationalbank, Schosshaldenfriedhof, Zahnärztliches Institut. BIEL Schulhaus Battenberg, Städt. Sammlung. BURGDORF Technikum, Rathaus. KALLNACH Bernische Kraftwerke. LANDSKRONA (S) Museum. MARL (D) Schulhof. MOUTIER Sekundarschule. MÜNSINGEN Sekundarschule, Friedhof. OBERDORF/SOLOTHURN Schule. OLTEN Pauluskirche. PRÊLES Jugendheim. RUBIGEN Schule. THUN Schulhaus Neufeld, Kunstmuseum.

 

Ausstellungen

E: 1964 Bern Gal. Schindler; 1968 Gal. Toni Gerber; 1972/90 Gal. Krebs; 1986 Kunstmuseum (Kat.); 2002 Kunstmuseum. 1967 Zürich Helmhaus (Kat.); 1984 Urania-Galerie (Kat.); 1988 Gal. Severina Teucher. 1974/81/88 Biel Gal. Silvia Steiner; 2000 Museum PasquArt (Kat.). 1979 Lenzburg Gal. Brättligäu (Staffelbach). 1985 Nola (Neapel) Gal. Miele (mit Meret Oppenheim). 1988 New York Swiss Institute (Kat.); Burgdorf Kunstraum (auch 93). 1991 Yverdon Städt. Galerie. 1995 Baden Städt. Galerie im Amtshimmel; La Neuveville Gal. Noella. 2000 Langenthal Kunsthaus. 2002 Basel Galerie Mäder. 2007 Lausanne Circuit. 2008 Solothurn Kunstmuseum (Kat.)

 

G: 1956 Basel „Schweizer Kunst“ Mustermesse-Hallen; 1968 Kunsthalle (mit GSMBK, Kat.). 1961 Braunschweig „Künstler aus Thun“, Städt. Museum (Kat.). 1962 Paris Salon de la Jeune Sculpture“, Musée Rodin (Kat.)/ Biel Schweiz. Plastikausstellung (auch 1966/70/75/80, Kat.)1964 Bern Kunstmuseum (mit GSMBK, Kat.); 1975 „Grossformate“, Kunsthalle; 1984 „SOS“, Kunstmuseum / “Unité“, Elfenau; 1985 „Berner Plastiker“, Gal. Hannah Feldmann; 1988 Skulpturenweg Grauholz (auch 1998); 2003/04 „7 x 3“, Kunsthalle; 2006 „Skulptur 06“, Mettlenpark. 1967 Wien „Schweizer Plastik“, Palais Schwarzenberg. 1973 Amsterdam „Skulptur im Freien“, Keukenhof (Kat.); 12te Biennale Middelheim (Kat.). 1974 „Schweizer Kunst seit 1944“, Wanderausstellung Osteuropa (Kat.) / Thun Kunstmuseum (mit Tritten/Jakobsen). 1975 Budapest Kleinplastik-Biennale. 1980 Burgdorf Bildhauersymposium (Kat.) / 1982 „Frauenphantasien“, Galerie Haldemann (Kat.). 1984 Bex „Bex et Arts“ (Kat.). 1985 Olten „Biennale der Schweizer Kunst“ (Kat.) / Môtiers „Art en plein air“ (Kat.). 1986 Visp „Repères“ (Kat.). 1990 Bad Ragaz „Passagen“ (Kat.). 1991/92 Baden Kulturweg an der Limmat (Kat.). 2006 Pfäffikon „Vom Schweifen der Linien“, Seedamm Kulturzentrum (Kat.). 2007/08 Peccia „Skulpturen zweier Generationen“ (Kat.).

Bibliographie:

Eigenpublikationen: Keine

Veröffentlichungen:

Baumann Felix: Kat. Städt. Helmhaus Zürich, 1965.

Joray Marcel: „La Sculpture moderne en Suisse“ (2 Bd.), Editions du Griffon, Neuchâtel, 1967 und 1989. „Le béton dans l’art contemporain“ (2 Bd.), Editions du Griffon, Neuchâtel, 1977 und 1987, S. 165-167, 195 resp. 56-57, 187.

Peter Böhm: „Lässt Steine sprechen“ in „Tagesnachrichten“, Bern, 11. August 1972, S. 7.

Lischka Gerhard Johann: „Die Oberfläche und was dahinter steckt“ in „23 Atelierbesuche“, hrsg. von Lisbet Kornfeld, Bern, 1973, S. 20-22.

Zwez Annelise: „Dualistische Grundmuster“, MG in Gal. „Brättligäu“, Lenzburg, Aargauer Tagblatt, 1.3.1979; „Der innere Aufbruch zur äusseren Freiheit“, MG im Museum PasquArt, Bieler Tagblatt 5. 7. 2000; „Ikarus’ Sturz“, MG im Kunsthaus Langenthal, Bieler Tagblatt, 11.8.2000.

Hans Christoph von Tavel: „Marianne Grunder“ in Katalog Kunstmuseum Bern, 1986.

Rüegsegger Anne: „MG Obession in Stein“, Zeitschrift „du“ Nr. 646 2/1995, S. 28-31.

Tobler Konrad: „Der Blick ist der Meissel“ in MG „Polaroids“ 1986-98, Forum Rubigen, 1999. Stämpfli-Verlag, Bern.

Andreas Meier/Marianne Burki „Von der Freiheit plastischen Gestaltens“/“Dimensionen“ in Kat. Museum PasquArt/ Kunsthaus Langenthal, 2000. Stämpfli-Verlag, Bern.

Annemarie Monteil: „Ein Zimmer fürs geheimnisvolle Jenseits“, Basler Zeitung, 4.10.2000.

Brigitte Ulmer: „Wiederholung ist der Tod“ in Basler Magazin, Kulturbeilage der Basler Zeitung, 9. 11. 2002

Christoph Vögele: „Kraftlinien, Lebenslinien“ MG als Zeichnerin in Kat. Kunstmuseum Solothurn, 2008.

Isabel Friedli: MG Zeichnungen, KM Solothurn, Kunstbulletin, Zürich, 9/2008

 

Annelise Zwez