Mireille Henry Kunstmuseum Moutier 2009

„Am liebsten fotografiere ich nachts wenn es schneit“

www.annelisezwez.ch     Annelise Zwez in Bieler Tagblatt vom 13. Mai 2009

Das Kunstmuseum Moutier zeigt in einer grossen Einzelausstellung Werke der bernjurassischen Künstlerin Mireille Henry (geb. 1957). Sie ist ein Füllhorn für die Sensorien subtilen Fühlens.

Während der Aufbauzeit verzweifelte Mireille Henry zuweilen fast: Die Räume wollten nicht antworten auf die Bilder, die sie ihnen anbot. Es war ein aufreibendes Warten bis sich die Energien vernetzten, die Wände als „zweite Haut“ spürbar wurden und die Fotografien, die kleinen und grossen Acryl-Bilder auf Papier ihren Platz fanden und ihr lautloses Zwiegespräch „hörbar“ wurde. Jetzt, da die Ausstellung im Kunst-museum Moutier eröffnet ist, präsentiert sie den Besuchenden ein einfühlsames „Konzert“ von Erinnerungen an Momente, in denen die Künstlerin malend oder fotografierend hinter die äussere Sichtbarkeit zu schauen vermochte.

Mireille Henry ist keine konzeptuelle Künstlerin, die rationale Thesen postuliert. Viel eher ist sie, wenn auch viel stiller, Maria Lassnig verwandt, die einst den Begriff der Fühlform prägte. Oft kann man benennen, was auf den Bildern zu sehen ist, ein Wäschetrockner zum Beispiel, eine Strasse, ein Auto, Gebäude, Felsen, Wald, Bäume, ein Hase, eine Figur, ein Krokodil, ein Schädel. Aber die Sprache trifft nicht, was zu sehen ist, denn des geht um die Nacht, welche die Gebäude nur erahnen lässt und um den Schnee, der fällt und das Bild zum Moment im Fluss der Zeit gerinnen lässt.

Das Krokodil auf grünlichem Grund tropft, die Farbe, mit welcher die Künstlerin malte, war fast wie Wasser; nur einen Moment lang verdichtete sich die Vorstellung zur sichtbaren Form. Da hielt die Malerin inne und das Bild trocknete und „erzählt“ jetzt, ganz in der Nähe eines gemalten „Luftschlosses“ und der fotogra-fierten Klus, wo einst Von Roll ihre Stahlwerke betrieb, von der Gleichzeitigkeit unserer Existenz in einem materiellen wie in einem Immateriellen Umfeld.

Die Interpretation von Kunst ist die eine Seite, die andere ist die Analyse wie eine Künstlerin den Boden dazu bereitet. Hier zum Beispiel wie die Künstlerin es schafft, die Medien Fotografie und Malerei zu kombinieren – etwas, das sehr schwierig ist. Henry gelingt es, indem sie nur minimal Farbe verwendet und auch diese häufig jenen Tönen entspricht, die wir von Schwarz-Weiss-Fotos mit Braun-, Grün- oder Rotstich kennen. Die Fotos andererseits nimmt sie oft in der Dämmerung oder gar nachts auf und vielfach durch das Fenster ihres Ateliers. Da schafft sie, auch durch den Ausdruck der Fotos als Inkjet-Print auf Papier, bewusst Verbindendes, während sie gleichzeitig unsere gewohnte Welt-Sicht wegrückt.
 
Mireille Henry bespielt in Moutier das ganze Haus. Im grossen, hellen Neubau-Saal hangen die Bilder einzeln und in Kombinationen, verteilt auf die gesamten Wände. Dabei wechseln nicht nur die Formate, sondern auch die Grössenverhältnisse innerhalb der Bilder, sodass sich für das Auge ständige Wechsel ergeben, alles im Fluss ist. Im Altbau geht die Künstlerin nicht unähnlich vor, schafft aber durch den Einbezug weitgehend unbekannter Arbeiten auf Papier aus der Sammlung des Museums, verstärkt erzählerische Momente.

Gerührt entdeckt man da zum Beispiel das wohl farbigste Blatt der ganzen Ausstellung – ein Stilleben mit Pflanzenblättern des vor wenigen Tagen verstorbenen Bieler Künstlers Walter Kohler-Chevalier von 1965, die Zeit, da „Coquis“ im Jura lebte und dem Museum von Moutier nahe stand. Es sind die „Nerven“ in den Blättern,  die formal an die Verästelungen in Henrys Fotos junger Bäume im Winter denken lassen und inhaltlich die Grundhaltung des Vernetzten visualisieren.

Last but not least zeigt Henry in dieser bisher grössten Ausstellung ihrer Karriere ihre erste Video-Arbeit. Dass sich die von Musik (Pierre Eiggimann) untermalten, Rhythmus betonenden Mehr-Kanal-Videos mit Fischen, Quallen, Blumen, Blättern, Landschaften nahtlos ins Werk einfügen, macht deutlich, wie bewusst sich die Künstlerin ihrer künstlerischen Vorstellung ist, wie präzise sie sie von einem Medium ins andere zu wandeln und zu weiten weiss.

Info: Bis 19. Juli. Führungen (französisch): Sonntag, 17. Mai, 17 Uhr und Mittwoch, 10. Juni, 18.30 Uhr.

Bildlegenden:
Mireille Henry: Fügt Inkjet-Prints und Malerei auf Papier zu assoziativen Assemblagen. Bild: azw

Nur für einen Moment aufgetaucht: Ohne Titel (Krokodil), Acryl auf Papier, 2007-2009, Mireille Henry. Bild: azw